Grandios gescheitert – Kele Okereke und „The Boxer“

Text: | Ressort: Musik | 29. Juni 2010


Typ im Testosteronrausch, angefixt von zweifelhafter Mucki-Buden-Ästhetik bzw. -Faszination, gar kleiner Bruder von Käpt‘n Rummelsnuff. Beziehungsweise einer, der in einer überhysterischen Bubblegum-Welt hängengeblieben ist. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Die Erforschung neuer Terrains der, ähem, Intelligent Dance Music. Überschäumende Ausflüge in diverse Felder von Dance-Pop. Grundsätzlich erstmal – na klar, DIESES Wortspiel kann man unmöglich am Wegesrande liegen lassen – freigeboxt von Bloc Party. Ja, dies hat schon etwas von einem ausgewachsenen Spalter, dieses Solo-Debüt „The Boxer“ von Kele Okereke.
Wobei ich die harschen Kritiker besser verstehen kann als die euphorischen Bejubler. Das meiste, was Kele so gemeinhin vorgehalten wird, stimmt nun einmal – da beißt die Maus keinen Faden ab. Producer XXXchange aka Alex Epton (fette Shouts für „YoYoYoYoYo“ von Spank Rock) hat für „The Boxer“ etwas hingelegt, was ich halbwegs diplomatisch mal als „einigermaßen solides, aber nicht sonderlich inspiriertes Auftrags-Handwerk“ bezeichnen möchte. Die Soundästhetik mutet konservativ bis geradezu historisch an, dafür wird großer Wert auf höchstmögliche Wirksamkeit gelegt – im Sinne von Gebolze, was Stücke wie „Walk Tall“ oder „Tenderoni“ betrifft. Oder im Sinne von ziemlich schmalzigen Emo-Schmonzettentum wie bei „Everything You Wanted“ oder „The New Rules“. In diesem Sinne ist es natürlich ganz schön ausrechenbar, wenn da – na klar! Musste ja kommen! – mit Breakbeats gearbeitet wird; von den Autotune-Effekten mal ganz zu schweigen. Es fällt mir in der Tat ziemlich schwer, hinter „The Boxer“ diese in diversen Rezensionen gerne mal beschworenen Dancefloor-Innovationen, dieses „Weit-Vorne-Sein“ im Sinne eines Auslotens von elektronischen Möglichkeiten zu entdecken. Denn eigentlich ist dies nichts weiter als die Adaption des derzeitigen Großraumdisco-Dancefloor-Verständnisses, das sich ausgehend von Eurodisco bzw. -dance via Schranz, Electroclash bzw. -punk, NuRave und Ed Banger-Kitsuné-Hartnäckigkeit erneut bis in die Regionen des Mainstreams vorgearbeitet hat. Wenn überhaupt, denn so richtig über den langen Schatten namens Bloc Party kann er dann doch nicht springen – wie sich vor allem in der zweiten Hälfte herausstellt. In der man den ein oder anderen Song um die Ohren gepfeffert bekommt, der aber so etwas von sehr nach erwähnter Band schmeckt; elektronisches Equipment hin oder her (spätestens bei „Unholy Thoughts“ ist er auf wohlbekannten Terrain endgültig angekommen).
Faszinierend finde ich „The Boxer“ trotzdem. Ich höre diese Platte gerne. Zum einen, weil ein (nicht unwesentlicher) Teil meines musikalischen Selbst mit der Aussage „Stumpf ist Trumpf“ ganz, ganz viel anzufangen weiß – und da bieten die schon erwähnten Bolzer wirklich eine satte Vollbedienung („Walk Tall“ spricht in seinem gnadenlos offenkundigen Drill Instructor-Habitus zu meinem in der Tat ein wenig, ähem, perversen Vergnügen wirklich das Allerallerallerstumpfste im Menschen an). Andererseits, weil „The Boxer“ ein ziemlich beeindruckendes Monument des Scheiterns ist. Ein in seiner – ach ja – Konsequenz und – ja, auch – Schönheit regelrecht bedrückendes Kunstwerk, das so grandios am eigenen Anspruch und dem ebenso individuellen Unvermögen gnadenlos scheitert. Und dabei ebenso gnadenlos ehrlich bleibt, auch wenn ich mir da nicht sicher bin, ob dies nun eine bewußte Entscheidung war. Natürlich wäre es für einen Mann wie Kele Okereke ein Leichtes gewesen, die richtigen Checker anzurufen, Leute wie Sebastian, Feadz oder Mr. Oizo zum Beispiel, eben diese Ed Banger-Posse, oder meinethalben auch die Herren Rowlands & Simons aka The Chemical Brothers (usw. usf.). Eben die Leute, die ganz genau wissen, wie dies mit dem Dancefloor funktioniert. Wie man das Irrlichtern zwischen tiefsten Keller-Underground und fettesten Breitwand-Mainstream auf die saucoole Tour hinbekommt. Die hätten – da bin ich mir ziemlich sicher – „The Boxer“ diese ziemlich angestaubt wirkende Sound-Ästhetik aber gründlich ausgetrieben. Und in diesem Zug die seltsame Faszination dieser scheiternden Musik vernichtet. Glatt gebügelt und sauber rausproduziert.
Aber von wegen. Hier sind die Widersprüche geblieben. Die Widersprüche zwischen Dancefloor-Hedonismus und Emo-Empfindsamkeit. Zwischen Kontrollverlust und Verletzlichkeit. Zwischen dem groben Auffe-Zwölf-Kloppen und feinsinniger Melancholie. „Omne Animal Triste Post Coitum“, hieß es einst bei Pankow – Kele Okereke möchte die Traurigkeit am liebsten gleich in die Ekstase mit einpflanzen. Zusammen mit der künstlerischen Ambition, der großen Geste, dem beflügelnden Geist. Daraus kann eigentlich nichts werden und jeder „Elektroniker“ mit Verstand hätte wohl auch die Finger davon gelassen. Insofern ist es kein Wunder, dass ein „Indie“-Musiker diesen Spagat wagte, benebelt und berauscht von den Möglichkeiten, den Optionen, von der simplen, aber immer noch unglaublich reizvollen Tatsache, die Dinge selbst in der Hand, im Griff zu haben. Ohne sich darum scheren zu müssen, was irgendwelche imaginären „Anderen“ sagen.
Yeah, insofern ist „The Boxer“ irgendwie auch eine Teen-Twen-Platte. Und nein, ich kann nicht verstehen, wie alle Welt darauf kommt, Kele Okereke habe hier einen Schritt ins Erwachsenwerden getan (z.B. hier formuliert: www.jahrgangsgeraeusche.de/2010-06-17/kele-the-boxer). Häh? Seit wann geht‘s denn beim Erwachsenwerden darum, die Holzpaneele von der Decke zu brettern (wie es Hans Nieswandt mal so schön formulierte)? Um das Ausreizen von Ekstase, Rausch usw. usf.? Vielleicht habe ich dies ja auch nur alles ganz falsch verstanden, das Ding mit dem Älterwerden – nur aus meiner persönlichen Erfahrung heraus habe ich doch das Gefühl, mit einer Sache wie „Kontrollverlust“ inzwischen um einiges sorgsamer umzugehen als vor, na, sagen wir mal 20 Jahren. Einziger Beleg der „Erwachsenen“-These scheint mir da eher jene Eigentumswohnung zu sein, die sich Kele Okereke dem Vernehmen nach erworben hat und die mittlerweile auch ein schönes popkulturelles Eigenleben führt. Und kommt mir jetzt bitte nicht mit dem Argument der schon erwähnten künstlerischen Ambitioniertheit! Pah, als wäre es nicht ein Kennzeichen jugendlicher Existenz (eines von vielen, dies sei hinzugefügt, und ja, in diesem Falle ordentlich Testosteron-gesteuert), das eigene (sehr rauscherfüllte, sehr kontrollverlustreiche) Sein aufzuladen mit einem Sinn, einer Tiefe, einer intellektuellen Abfederung! Deswegen haben wir doch Philosophen gelesen und Prosa/Poesie geschrieben, komisch getrommelt und zu allem Überfluss noch komischer gequatscht. Im Hier und Jetzt gibt „The Boxer“ einen möglichen, aber unbedingt stimmigen Soundtrack dazu. Und dies ist ja nun auch keine ganz üble Leistung. Mal ganz abgesehen davon, dass man erheblich schlechter und vor allem irrelevanter in eine Solokarriere starten kann als mit einer derart faszinierenden Inszenierung des Scheiterns. (Wichita/Cooperative Music)
www.iamkele.com

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