Unser Liebhaber Musik
Text: Andre | Ressort: Musik | 4. Juli 2010Alles an diesem Album ist altmodisch. Nicht „retro“- das Wort ist zu neu, um den Sachverhalt angemessen zu erfassen. Du würdest ja auch nicht sagen, der Pflaumenkuchen von deiner Oma wäre „retro“, nur weil sie das Rezept damals bereits von ihrer Grossmutter…aber lassen wir das. Es ist wieder Sommer, Zeit für jeden vernünftig denkenden Menschen wie dich, mal wieder Rockabilly und Artverwandtes rauszukramen, um mit deiner Püppi im zumindest gefühlten Little Deuce Coupe den nächsten Baggersee anzucruisen, um da zwischen nervigen HipHopAsiTeenies, öden WannaBeRastafariStudenten, groben BöhseOnkelzGerüstbauer-Lehre-Abbrechern und vorgegarten DreamTranceFickleisten den coolen Mac raushängen zu können, nicht, dass dich einer beachten würde. Abends dann sitzt du angenehm aufgeheizt mit deiner Liebsten bei Rotwein auf der Veranda, Louisiana im Sinn, es naht der Moment, zu zeigen, was du wirklich drauf hast. Und, natürlich, diese Platte hilft: Rüschenhemd statt T-Shirt, Seduktion statt Baggerei, Stil trotz Steifem, ja, auch das kann der Rock’n’Roll heute noch für dich tun, Bub.
Aber im Ernst. Junge Menschen googlen Mr Tav Falco, saugen sich „Behind the Magnolia Curtain“, um dann vor den dort verewigten, epochalen Versionen von „Brazil“ und des „Bourgeois Blues“ auf die Knie zu gehen, und begreifen, dass die Welt des Rockabilly nach dem Ende der Bettwurst nicht nur die Flaschenbierflaschen-Brut vom Meteor des P.P. Fenech gebar (womit ich jetzt wirklich nur die zahl- und konturlosen Me-too-Billy-Flachtopf-Boygroups verhohnepipeln möchte, die wie die Schmeissfliegen aus dem Schweinskopf kriechen, ist Mr Fenech doch, bei aller etwaiger Zweifelhaftigkeit ob des einen oder anderen eher nicht so geglückten Sprachbeitrags aus den Untiefen des Halfpinthirns an den interessierten Magazinmuckel doch ein eigentlich ganz grossartiger Rock’n’Roller, und davon gibt es auf der Insel nun wahrlich nicht viele, wir denken kurz scharf nach, uns fällt Mark E. Smith ein, für den in puncto brausebrandinduzierter verbaler Schräglage definitiv selbiges gilt wie für Fenech, und dann noch -meinetwegen- Billy Childish, der labert zwar nicht so viel Scheisse wie Smith und Fenech, hat dafür aber ’ne Rechtschreibschwäche (schreibt aber trotzdem Bücher (hat ja aber auch keiner gesagt, dass Smith singen könne oder Fenech Bundespräsident werden). Hier endet die Geschichte des britischen Rock’n’Roll. (Es sei denn, wir wollten die Sache unnötig verkomplizieren und Wreckless Eric ins sinkende Schiff holen, aber dafür fehlt uns die Zeit, deshalb flugs weiter im Text, den guten Mann als Fussnote der Trivia im Hinterstübchen.) Danach folgte der Oasen Untergang aka der grosse Britpopschwindel, von dem inzwischen eigentlich nur noch die Knallchargen auf Spiegel-Online erzählen, als hätte es dort mal was gegeben, das es wert gewesen wäre, vor dem Ersäufen gerettet zu werden („Die Auteurs!“ sagst du? Kleiner Klugscheisser! Du hast recht. Aber was hilft dir das? Das macht den Rest nicht besser, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil!…Die Auteurs! Also!…)-letztens übrigens mit einem hochnotpeinlichen Beitrag über/mit Paul Weller, dessen Kultur des Dünnsinn-Erzählens leider ganz anderer Natur ist als die unserer sympathischen Suffköppe von weiter oben im Text (an dieser Stelle darf sich jede ansbeingepisstfühlte Wellermimose gern über meine nicht minder sinnfreie Natur-Kultur-Dualismus-Rethorik ereifern und meinen Worten so alle Glaubwürdigkeit absprechen. Es ändert nichts daran, dass ich recht habe. Den Spiegelbeitrag findet man übrigens hier. Wer herausfindet, welcher der Leser-Kommentare wohl von mir ist, möge mich anschreiben. Tolle Preise winken!).
Und nun sind wir sozusagen am neuralgischen Punkt der Rezension angekommen. Als Rezensent hat man ja nicht nur den moralischen Auftrag, Musikfreunde aller Welt an die ästhetische Hand zu nehmen, um aus dem Gröbsten raus zu kommen (ihr wisst ja, die Erziehung des Menschengeschlechts mag eine langwierige, schweisstreibende Angelegenheit sein, aber sie aufzugeben, hiesse, sich selbst aufzugeben), sondern hat natürlich PR- oder Label-Menschen im Nacken, die ja einen Beleg für eigens angefordertes Werbematerial in Form von Tonträgern haben wollen, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie das Trippeln der Finger des beauftragten Kollegen im Hause Stag-O-Lee immer eindringlicher wird. Statt Lobeshymnen auf den zweitbesten Tonträger seiner Karriere als Entertainer und ebendiesen selbst (handelt es sich bei Tav Falco doch um eine der illustresten (Kunst-)Figuren US-amerikanischer Underground-Art), nur sonderbar unpassende Exkurse in ganz andere Milieus! Das geht doch nicht! Mal ehrlich! Normalerweise werden derlei Gedankengänge von gestandenen PNG-Autoren mit einem aufbegehrenden „Na und? Mir doch egal!“-Autonomie-Ausbruch alter Schule abgeschüttelt, dieser Fall jedoch sieht anders aus: Da sitzt auf der anderen Seite des Bildschirms kein blöder Promo-Nutter, der gegen Geld noch alles geil findet, sondern ein Labelmann, der die Sache mit dem gleichen Herzblut angeht wie die Aorta. Oder anders: Wenn es den Stag-O-Lees, Keller hinten links im Glitterhouse (neudeutsch: Imprint), in erster Linie ums Geld ginge…würden sie wohl was anderes machen. Hm. Tav Falco wahrscheinlich ebenfalls. Und ich. Und du eventuell auch. Tja. Was soll ich also sagen? Memphislegende Tav Falco ist zurück! Der Mann, dem es gelungen ist, in 25 Jahren aus schweissnassem Blues, düster-scheppernden Rockabilly und schwülemTango ein sonderbare Blüten treibendes, aphrodisierendes Nachtschattengewächs zu züchten, mit dem er auf seine ganz eigene Weise zu Tanz und Kopulation auffordert. Dies ist die zweitbeste Platte seiner Karriere. Und es ist nicht so, dass er nach „Behind the Magnolia Curtain“ nur Mist abgeliefert hätte, nee nee. Die Balladen, so kann man wohl einen Grossteil der Songs bezeichnen, sind einfach nur grossartig. Und, um noch mal schnell ein paar Horror-und-so-Filmanalogien einzubauen, wir erinnern uns, ehemalige Genrevetter wie die Cramps waren ja eher Gorehounds der Herrschel-Gordon-Lewis-Schule und recht Russ-Meyer-affin, hier passen eher „Das Phantom der Oper“ oder „Interview mit einem Vampir“ (erste Hälfte), oder „Vom Winde verweht“, aber is‘ eigentlich auch egal. Ich habe den Test gemacht: Ich habe eine Bekannte, die bewegt sich innerhalb der Neo-Rockabilly-Subkultur, die war -wie eigentlich alle Frauen mit Geschmack- von Tav Falco im allgemeinen und diesem Album im speziellen, sehr sehr angetan. Sie sagte: „Das ist alles irgendwie so herrlich altmodisch! Als wäre der Rock’n’Roll schon viel älter, als er sowieso schon ist.“, und ich sagte „Vaudeville oder was?“ und wir tranken noch ein Schlückchen roten Weines aus unseren alten Kristallschwenkern, die der Mississippi sich nicht geholt hatte, die Sonne ging unter, der Verandaboden knarrte unter uns und aus den Sümpfen rief ein Käuzchen, als wir Liebe machten, und auf dem Vollmond blanken See tanzte in Rauten sein Licht.