Roskilde 2010

Text: | Ressort: Diary, Musik, Veranstaltungen | 20. Oktober 2010

Alle Jahre wieder…  grüßt das Murmeltier…  nein: öffnet das Roskilde Festival am ersten Juliwochende seine Pforten. Diesmal mit einigen Eckpunkten jenseits der Routine: 1. Ausverkauft. 71.000 Tickets für alle Tage und 4.000 Tageskarten fanden neue Besitzer und rechnet man die 25.000 freiwilligen Helfer hinzu kommt man fix auf 100.000, die sich auf dem weitläufigen Gelände vor der Stadt versammelten.

2. Der zehnte Jahrestag des Unglücks beim Pearl Jam Konzert gab Anlass sich das Geschehen von damals noch einmal vor Augen zu führen und in Erinnerung an die neun Todesopfer innezuhalten. Den offiziellen Betrag lieferten Patti Smith und Lenny Kaye mit einer kurzen Ansprache und einem Lied zu Eröffnung der Hauptbühne am Donnerstag inkl. dem symbolischen Wurf jeweils einer Rose in die Menge bzw. in den Sicherheitsgraben. Nicht nur bei denjenigen, damals dabei waren, dürfte sich ein Kloß im Hals gebildet haben. Besonders auch im Hinblick auf die tragischen Ereignisse in Duisburg steht man wieder hilflos vor der Frage, ob eine hundertprozentige Gewährleistung der Sicherheit bei solchen Großveranstaltungen überhaupt möglich ist. In Roskilde wurde pragmatisch reagiert und ein System von separat zugänglichen Bereichen vor den beiden großen Bühnen des Festivals errichtet und stets penibel darauf geachtet wieviele Personen sich in den einzelnen Abteilungen momentan aufhalten.  Ein System, das sich nun seit neun Jahren bewährt hat.

3. Die Wettervorhersage kündigte bestes Festivalwetter ohne Regen an und behielt Recht. Danke Petrus! Trotz verbriefter 70-prozentiger Regenwahrscheinlichkeit blieben wir verschont und das nun schon seit 2009. Die Statistik droht also gewaltig für nächstes Jahr…

Nisennenmondai

4. Das Programm! Eigentlich nichts neues, aber bei ca. 150 Bands und Künstlern sollte jeder noch so ausgefallene Geschmack bedient werden. Das sind zwar ein paar weniger als in den Jahren zuvor und auch eine Bühne gab es dieses Mal weniger, doch fünf sind immer noch genug, um für ein ordentliches Laufpensum  zu sorgen, will man so viel wie möglich sehen. Es gab Überraschendes zu entdecken (Nedry, Casiokids, Nisennenmondai…), Acts, von denen man schon Gutes hörte, aber noch nicht die Möglichkeit hatte sie live zu Gesicht zu bekommen (Japandroids, Miike Snow, Vampire Weekend, Kings Of Convenience, Florence And The Machine…) und natürlich Bewehrtes, das man sich auch schon lange mal reinzuiehen wollte bzw. man sich bei jeder Gelegenheit geben sollte (Motörhead, Kasabian, The National…).

Nedry

Casiokids

Japandroids

Kurioser Weise drängelte sich in der Rückschau auf das Gesehen und Gehörte ein Phänomen in den Mittelpunkt meiner Betrachtungen: Das A L T E R ! Hmmh. Das kriegt bekanntlich alle und nachdem nicht jeder Rocker ausbrannte bevor er ausfadete konnte man beim diesjährigen Event recht unterschiedliche Vorgehensweisen mit dem eigenen Mythos und der eigenen Schaffenskraft und Kreativität beobachten. Als da hätten wir:

Motörheadfan

A: Stoiker: Nie so richtig weg gewesen, zum hundertsten Mal die selbe Platte aufgenommen und sowieso ohne festen Wohnsitz und deshalb ohnehin ständig auf Tour. Richtig: Lemmy! Der kann nicht anders. Egal ob vor 60.000  oder 100 Leuten, der Mann ist immer grandios. In diese Kategorie könnte man mit einigen Abstrichen sicher auch Sick Of It All und Van Dyke Parks rechnen. Wo sonst spielt der große Meister des ausladenden Arrangements (Beach Boys, U2, Sam Phillips, Carly Simon, T-Bone Burnett, Victoria Williams, Bonnie Raitt, Fiona Apple, The Everly Brothers, Bruce Springsteen, Joanna Newsom) mit einem kompletten Orchester auf einem Festival?

Van Dyke Parks

Sick Of It All

Gorillaz

B: Wiederbelebte, die etwas neues wagen, dank der Kollaboration mit jüngeren Kollegen. Als da wären da die beiden von The Clash, Paul Simonon und Mick Jones als Teil des Aufgebots der Gorillaz. DER Auftritt des Festivals, eine grandioses Revue, ein Musical mit Streichermatrosinnen, Bobby Womack, diversen Gastsängerinnen, Rappern, Mastermind Damon Albarn, Blaskapelle, einer Fahne und natürlich den Visuals von Jamie Hewlett. Das volle Programm eben und ganz großes Kino! In der zweiten Reihe, schon etwas abgeschlagen John Paul Jones Ex-Led-Zeppelin-Bassist bei Them Crooked Vultures. Naja irgendwie Gemucke, das man durchaus so erwarten konnte und leider ohne Songs, die irgendwie hängenbleiben, mal von der einen Single abgesehn. Hier gäbe es natürlich auch die ketzerische Frage, ob die beiden Mitspieler aufgrund ihrer schillernden Vergangenheit nicht auch in dieser Rubrik explizit zu betrachten wären.

John Paul Jones

Josh Homme

Dave Grohl

Pavement

C: Mit Anstand und Stil Zurückgekehrte wie Pavement, denen auch die selbstironischsten Ansagen gelangen: „Yeah, that was great in 1994.“  und „The next one you like too.“ Die Herren um Stephen Malkmus wissen, was man bringen kann. Spielten tight auf den Punkt. Das kann vor 15 Jahren zwar aktueller gewesen, aber kaum besser gespielt worden sein. Souveräne Show. In diese Rubrik gehört natürlich auch der Herr aus Minneapolis, der als Headliner des Sonntags, die Achtziger wieder heraufbeschwor. Ein Showman, ein Zeremonienmeister vor dem Herrn, da kommen die ganzen Hosenscheißer, Möchtegerns und Pimps noch nicht mal in die Nähe. Nur beim Höhepunkt des minutenlangen Gitarrensolos zu „Purple Rain“ fehlte mir irgend etwas. Eine glitzerpinke 100 Meter hohe Ejakulation zum Beispiel oder wenigstens eine Feuerwerksfontäne aus dem Gitarrenhals wären schön gewesen.

Prince

Zu guter Letzt noch das Negativbeispiel, für mich der totale Ausfall:

Bad Lieutenant

D: Die Bemitleidenswerten. Möglicherweise tue ich Herrm Sumner unrecht und er wurde von einer schweren Grippe oder etwas ähnlichem gebeutelt und trat trotzdem unter Aufbietung der letzten Reserven für seine Fans auf. In diesem Fall nehme ich alles folgende sofort zurück. Ohnehin waren die meisten um mich herum schlicht von den Socken. Besonders so ein testosteronstrotzender Amerikaner hinter mir ließ an seiner Begeisterung keinen Zweifel, lautstark, mit Geklatsche und Armwedelei. Seis drum. Hätte er mal den New Order Auftritt vor ein paar Jahren auf der Hauptbühne gesehen. Der war gut. Alte Herren, aber mit Würde und Professionalität. Hier und heute eigentlich: Bad Lieutenant, das aktuelle Projekt. Von denen gab es allerdings nur drei Stücke. Der Rest war ein peinliches New Order- Best-Of mit einem Sänger ohne Stimme mit einer schlecht eingespielten Tanzkapelle im Rücken. Erst im dritten oder vierten Anlauf funktionierte dann endlich das Playback von „Bizarre Love Triangle“ und ich ertappte mich bei dem Wunsch, doch bitte jetzt Commercial Breakup auf der Bühne zu haben. Zu „guter“ Letzt wurden als Zugaben auch noch drei Stücke von Joy Division gegeben und hinter mir gabs kein halten mehr.

Und dann waren da noch Alice In Chains. Auf Ihrer neuen (!) Platte ist ja kaum ein Unterschied zu den vergangenen Taten vernehmebar. Eigentlich könnte man da „Stillstand“ und ähnliches rufen, wäre da nicht ein neuer Frontmann. Aha, okay. Fällt einem ja neben AC/DC keine Band ein, bei der eine ähnliche Transplantation geglückt wäre.   …Genesis, Queen, Silly, Karat… Und dann labert eben jener Layne Staley Impersonator gleich nach dem ersten Song los: „We’ve been here before…“ ???? Wer sind wir?. Richtig ich war schon mal da und einige 10.000 sicher auch, aber du? Alter! Naja, bei meiner Bilanz von 34 Acts, die ich in den vier Tagen mehr oder weniger wahrgenommen habe darf es auch mal ein, zwei Ausfälle geben. Was bleibt: gute Stimmung und die Erinnerungen an schöne Konzerte, interessante Darbietungen, nette Leute – eigentlich Dasselbe wie immer. Nächstes Jahr? Selbstverständlich! Wir zählen schon die Tage…

Der neue Tunnel zur gefahrlosen Straßenquerung

Rebekkamaria

Die Kurie

LCD Soundsystem

Damon Albarn (Gorillaz)

Bobby Womack (Gorillaz)

Matrosinnen (Gorillaz)

Teddybears

Schaukelinstallation

Staff Benda Bilili

Kings Of Convenience

Wohnzimmer

Neu: Badespass auf dem Gelände

mit ausdrücklichen Reinigungsvorschriften

Kashmir: Lokalpatriotismus hoch drei, aber zu recht: weil gut

The Kissaway Trail

Gonjasufi: großes Kino aus der Dope-/Dubhölle

The Prodigy: Eigentlich auch was für die Altersdiskussion. Dann wohl Kategorie A. Denn Eines muss man eingestehen, auch wenn man die letzten Album sicher zu recht etwas ignoriert hat rocken sie live das Publikum wie kaum jemand sonst an diesem langen Wochenende. Nachdem sie Mitte der Neunziger live geradezu legendär waren bauten sie zwischenzeitlich extrem ab, unwillig hingerotzte kurze Shows ließen ihre Reputation in den Keller sinken. Aber das kann man ja auch mal anerkennen: sie sind wieder da und machen das wieder ganz gut. Und obendrein mal ehrlich: Was aus der letzten Zeit knallt so drastisch? Haut bei maximaler Lautstärke dermaßen rein? Naja okay der neue Scheiß ist wirklich ein bisschen dünn. Trotzdem…

Der Beweis

Eingang bei Nacht

Zufrieden bei Nedry

Local Natives: erdig, naturbelassen

The Kissaway Trail mit Unterstützung von Christian Hjelm (Figurines) und dem Gitarristen von The Temper Trap

Miike Snow: Langweilig

Warten auf Prince

Kasabian

Prince

Das Große Finale ist vorbei.

Völkerwanderung gen Heimat. Und nächstes Jahr wieder in die Gegenrichtung.

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