HGich.T – Mein Hobby: Arschloch
Text: Jensor | Ressort: Kunst, Musik, Veranstaltungen | 11. November 2010Vielleicht sollte ich mir das Ganze doch mal live anschauen. Doch, dies könnte funktionieren. Ein gewisses Maß an Unterhaltsamkeit kann, darf und sollte man diesem, ähem, Projekt HGich.T schließlich keinesfalls absprechen – und zwei Stunden anständiger Unterhaltung sollte man niemals die Tür weisen. Das gewisse Unbehagen, ausgelöst vom Tonträger „Mein Hobby: Arschloch“, lässt sich dann ja einfach runterspülen und weglachen.
Das gewichtige Problem ist die Musik. Diese ist – naturgemäß, wäre mir beinahe rausgerutscht – bei dieser Form von Pop-Kunst-Performances ein teilweise grenzwertiger Schwachpunkt. Im Spex‘schen Pop Briefing wurde der Link zur Club-Musik aufgemacht und davon geredet, dass „die Produktion bei aller Sprödheit amtlich“ und „die Beats fett“ seien – und ich machte mir bei dieser Gelegenheit mal wieder Gedanken darüber, dass das zentrale Problem der Popkritik weniger die Form als vielmehr der über doch recht weite Strecken kompetenzfreie Inhalt ist. Was auch immer im Club-Kontext (und eigentlich auch darüber hinaus in jeglichen vorstellbaren pop-musikalischen Kontext) in irgendeiner Form unter dem Prädikat „fett“ eingestuft sein mag – HGich.T sind die definitive Anti-These dazu. Immerhin: Diese 13, ähem, Stücke beziehen einen wesentlichen Teil ihrer Faszination, die ich beim ersten Genuss der CD ganz real gespürt habe, zwingend aus dem Fakt, sich vollkommen und absolut außerhalb jeglicher Dancefloor-Funktionalitäts-Kontexte zu bewegen. „Mein Hobby: Arschloch“ ist vollkommen unsexy, absolut ungroovy, unbefleckt von jeglicher Verbindung zu House, Techno, Funk, HipHop, Soul, Dub. Von alldem ist nichts, nicht mal in mikroskopisch winzigsten Spurenelementen in dieser Musik zu entdecken. Das einzige, was ich finden kann, ist purer, reiner White Trash. Und ich meine wohl, dies als Konzept annehmen zu können – was die Sache nun eben nicht einfacher macht. Denn die angesprochene Faszination erlahmte doch recht schnell; mehr als die bisherigen fünf Mal mag ich mir dies eigentlich nicht anhören wollen (und am Stück schon gleich gar nicht mehr. Vielmehr habe ich im Anschluss an die ersten zwei Durchläufe die ausgefeilte Dynamik, den wohl gesetzten Groove, die Feinheiten im Sound von Minimal Techno wieder völlig neu zu schätzen gelernt). Nun mag man einwenden, diese rein formale Musik-Kritik gehe an der Sache vorbei. Darüber kann man reden, darüber kann man diskutieren. Meine subjektive Meinung: Wer dezidiert einen Musik-Tonträger veröffentlicht, muss sich nun mal irgendwie auch gefallen lassen, wenn man sich ebenso dezidiert mit der dargebotenen Musik beschäftigt.
Um das Konzeptionelle kommt man allerdings nicht herum – zum einen, weil dieser „Frontalangriff aufs ,Geschmacksbürgertum‘“ (Aram Lintzel, Spex Sept./Okt. 2010) mit einer Konsequenz im musikalischen (wie schon dargelegt) als auch im inhaltlichen Bereich vorgetragen wird, die sich nun mal schwerlich ignorieren lässt. Zum anderen, weil das Rabbatzmachen, das Über- und Durchdrehen, das irre Taumeln an den Grenzen des so genannten guten Geschmacks und gerne auch darüber hinaus zu den bewährten, ja, von mir auch lieb gewonnenen popkulturellen Strategien zählt, mit denen sich sowohl Aufmerksamkeit erregen als auch Provokationspotenzial aufzeigen lässt. Und so ganz kann und darf ich HGich.T in dieser Hinsicht nicht absprechen, ein paar echt spektakuläre Erfolge zu landen. „Tutenchamun“ in seiner geradezu vollendeten Symbiose aus Sinnaufladung und Sinnentleerung zaubert mir stets ein Lächeln auf das Gesicht. „Franz Kafka“ transportiert ganz schön jenes Gefühl, das ich mal salopp als „Doofen-Neid“ umschreiben möchte – das durchaus neidvolle Schielen des Selbstzweifel-geplagten und kreativ-ausgebrannten Individuums auf die stumpfe (Lebens-) Fröhlichkeit eines unreflektierten und mithin unproblematischen Daseins zwischen Großraumdisco-Abfahrt und Tankstellen-Abhängens. Gegen die Selbstironie von „Künstlerschweine“ kann ich ebenfalls irgendwie nichts haben. Sagen wir mal so: Auf diesen Kurzstrecken lasse ich mich gerne von HGich.T kriegen – um so mehr, da die angesprochenen Titel auch musikalisch die angesprochene White Trash-Attitude ziemlich überzeugend rüberbringen können. Auf die lange Distanz kommt zu dem allgemeinen Ermüdungseffekt ein schleichendes Unbehagen: Was wollen mir Stücke wie „Harz for“ oder „Hauptschuhle“ eigentlich vermitteln? Ich werde da ums Verrecken das ungute Gefühl nicht los, einem allgemeinen „Unterschichten-Bashing“ beizuwohnen, auf das sich das angeblich so frontalangegriffene Geschmacksbürgertum ganz gut einigen kann (wenn der Brechreiz erst mal weg ist). Da rückt sich die Dada-Provokations-Pose ganz schnell in die Nähe eines gesellschaftlich-medialen Mainstreams zwischen Thilo Sarrazin und Guido Westerwelle, zwischen „Frauentausch“ und den „X-Diaries“, zwischen Cindy aus Marzahn und Kaya Yanar. Dies sind dann die Abgründe dieses Konzepts, vor denen mir dann doch ordentlich graut und zu denen mir dann nur noch eines einfällt: „Künstlerschweine, Künstlerschweine. Ja, ich breche euch die Beine.“
Da muss dann die abweisende Oberfläche helfen. Und da – dies muss ich neidlos und respektvoll eingestehen – ziehen HGich.T so ziemlich alle zur Verfügung stehenden Optionen. Von haltloser Durchgeknalltheit bis hin zu den wohl temperierten Ausflügen in die Welt unterhalb der Gürtellinie. Naja, mir ganz persönlich wird dieses Pippi-Kacka-Puller-Spiel irgendwann dann doch schon ordentlich auf den Sack (yep!), was aber rein subjektiv begründet ist (ich halte Fäkalhumor nicht für eine abendfüllende Veranstaltung) und möglicherweise auch etwas mit dem Alter zu tun hat (ich mag nicht mehr über jedes Provokationsstöckchen hüpfen, das mir hingehalten wird). Als Abgrenzungsstrategie zu erwähnten Mainstream-Gedankengut mag ich das Ganze durchaus hinnehmen – allerdings mit dem Verweis darauf, dass diese Strategie eben nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum vorzuweisen (diverse Stücke der Platte haben schon einige Zeit auf dem Buckel) und gerade das immer wieder gern genommene Pippi-Kacka-Puller-Spiel bereits gewisse Abnutzungserscheinungen aufzuweisen hat.
Wie schon gesagt: Vielleicht sollte ich mir das Ganze doch mal live anschauen. Die Gelegenheit bietet sich derzeit (Termine siehe unten); traut man den entsprechenden Videos und euphorischen Erlebnisberichten, lohnt es sich allemal und sei es nur für einen unterhaltsamen Abend (mit Puller). Ob man die CD zusätzlich auch noch daheim braucht, muss im vorliegenden Fall wirklich mal jeder für sich entscheiden. Für mich ist dies alles echt ambivalent: Am Stück nicht (mehr) zu ertragen, aber dafür mit ein paar satten Ausreißern nach oben gespickt. Inhaltlich (gewollt) grenzwertig – und damit meine ich nicht die A-A-Nummer, sondern eher den ebenso infantilen Rundumschlag gegen Alles und Jeden (es geht ja eben nicht nur auf diesen Frontalangriff auf das „Geschmacksbürgertum“, der wird ja genauso auf die sich auf der Gegenseite verortende Techno-Club-Kultur geritten). Eines muss man HGich.T allerdings in der Tat zugutehalten: Da hört man auch erst mal hin (die erste Faszination – auch nicht zu unterschätzen, das). Das weckt Aufmerksamkeit. Daran kann man sich richtig fein reiben. Nicht jede Platte animiert schließlich zu so einer Rezension.
HGich.T – Mein Hobby: Arschloch (Tapete Records)
Das Ganze ist live zu erleben und zwar an folgenden Orten zu folgenden Terminen:
20. November 2010 – Pahlen; Pahlazzo
25. November 2010 – Fürth; Kunstkeller o27
26. November 2010 – Trier; Exzellenzhaus
4. Dezember 2010 – Hamburg; Kampnagel
10. Dezember 2010 – Hannover; Faust eV
11. Dezember 2010 – Chemnitz; Zombie Disco @ Weltecho
16. Dezember 2010 – München; Rote Sonne
17. Dezember 2010 – Wien; brut
7. Januar 2011 – Berlin; Pierrevision @ Magnet Club
8. Januar 2011 – Neubrandenburg; Mixtape-Club
13. Januar 2011 – Jena; Rosenkeller
14. Januar 2011 – Potsdam; Waschhaus
15. Januar 2011 – Leipzig; Sweat Club
27. Januar 2011 – Aachen; Hauptquartier
28. Januar 2011 – Wiesbaden; Schlachthof
29. Januar 2011 – Offenbach; Hafen 2
11. Februar 2011 – Osnabrück; Bastard Club
18. Februar 2011 – Konstanz; Kulturladen