Wo bleibt ihr denn, sagten die Spiesser zu den Spätankömmlingen …
Text: Joerg | Ressort: Allgemein, Musik | 6. Januar 2011Midlake – The Courage Of Others (2010)
Die einen nennen es Mut. Die anderen Verweigerung. Gegen den Strom schwimmen ist halt eine Kunst, die sich, je nach Standpunkt, dem einen verwegen, dem anderen als verspult/kaputt darstellt. „The Courage Of Others“ wurde bereits am zweiten Februar des letzten Jahr veröffentlicht und ist nach dem ersten Abtauchen in meinen Archiven im Begriff allmählich wieder an die Oberfläche zu trudeln. Es ist so ein Album, das nicht zu jeder Zeit, zu jeder Gelegenheit gehört werden kann. Andererseits greife ich zu Zeiten in eine Kiste mit selten gehörten Platten, zum Beispiel, wenn ich gesättigt bin vom Schnelllebigen, von der ewigen Effekthascherei oder endloser Betroffenheitslyrik. Dann strebt der Sinn zu Höherem, soll heissen, gern auch mal zu etwas mehr Abstraktion, stringenteren Konzepten oder einfach nur eigenwilligeren Produktionen.
In meiner Kiste liegt da neben Minimal Music-Sachen, Jazzrock oder experimenteller Rockmusik jetzt auch Midlakes „The courage Of Others“. Gar nicht unähnlich finde ich vom Zugang her „Daydream Nation“ von Sonic Youth – ebenfalls in besagter Kiste. Für den unruhigen, unsteten Hörer, der ich zuweilen auch bin, schweifen die Stücke von „Daydream Nation“ mal hierhin, mal dorthin. Obwohl man unterschwellig das Gefühl hat, es müsse sich eigentlich um Songs handeln, entgleiten sie ständig. Oder kehren überraschend zurück. Teilweise brachial und mit Macht. Dann unterscheidet sich „Daydream Nation“ kurzzeitig nicht mehr sehr von anderen songorientierten Alternative-Rock-Bands. Was allerdings als Stilmittel konstant auftaucht und auch die Vertrautheitslichtblitze über durchgehalten wird, das sind die emotions-gedimmten Gesangsparts, die lakonisch die hitzigsten Tempi und Riffs begleiten, wenn sie nicht gar als Sprechgesang vorgetragen werden, bzw. als Ansätze von Hymnen oder klassischen Refrains in immer wieder in Sprechgesang zurückfallen. Wie bei Sonic Youths 1988er Album, entfaltet sich auch auf „The Courage Of Others“ jenes fiese, die Erwartung, das Gewohnte ständig torpedierende Konzept/Stilmittel der steten Wiederkehr des plötzlichen Innehaltens, Nichtmitgehens. Das sich anders anfühlt als schlichtes Ausbrechen oder Aufbegehren. Man gestattet (sich) bewusst nicht, sich auf ausgetretenen Pfaden irgend einer erwartbaren Wendung über Gebühr aufzuhalten. Beim ersten Hören, und wenn es gut gemacht ist, und wenn dann auch noch gehaltvolle Texte hinzukommen, auch noch beim zwanzigsten Hören entfaltet sich immer wieder auf’s Neue ein Gefühl der Unsicherheit. Als bewege man sich auf riskantem Terrain. Das Gelände wirkt irgendwie vermint. Midlake, die im Begriff schienen im Bereich Indie-Folk-Pop als Hitlieferant eine nicht unbedeutende Rolle spielen zu können, werten nun kühnerweise gewohnte Folk-Pop-Klänge um in etwas Neues. Keine Ahnung wie das rückschauend genannt werden wird. Sicher bin ich mir nur darin, dass hier Koordinaten verschoben worden sind. Denn eines ist das 2010er Album von Midlake keinesfalls, auch wenn es sich bei eiligem Verschubladen dort bisweilen wiederfinden lässt: Retro-Folkrock.
Für mich stellt es vielmehr eine nicht zuvor gehörte Synthese von Folkrock/Folkpop und abstraktem Songwriting dar. Gerade das nicht so offen sichtliche Experiment macht den Reiz dieses Albums aus. Was den Effekt der Irritation, der Desorienturung viel stärker zur Entfaltung kommen lässt. Midlake haben eine perfekte Hybride geschaffen. Ich habe gehört, ihr Cover – welches übrigens diese Spiegelung, bzw. Zweiteilung als Motiv ebenfalls aufgreift – soll eine Hommage an Andreij Tarkovkij sein. Das würde meinen Eindruck, der sich zugestandenermassen erst nach circa einem Jahr und einigen Irritationen herausgebildet hat, noch Abrunden. Und so höre ich mit zunehmenden Genuss die momoton und seltsam kühl vor sich hinbrandenden Refrains, gesungen von Tim Smith und Eric Pulido (Backing Vocals), begleitet von dieser seltsam moderat – im Tempo, wie in den Lautstärkenwechseln – und sehr straight spielenden Band:
„I will never have the courage of others. I will not approach you at all. I was always taught to worry about things. All the many things you can’t control. How can they have the courage. Of lords that have long since past. It’s in their hands, it’s in their heads. It’s been in their blood for many years. It brings them sorrow. In a dark room he trembles alone. He trembles alone“, heisst es im Titelstück. „The Courage Of Others“ ist speziell.
Schnell annähern und begreifen gelingt nicht. Ich werde das Album noch das ein oder andere Mal hervorholen müssen, um mich davon zu überzeugen, dass es sich nicht entschlüsseln lässt, enigmatisches Vexierbild und abstrakte Interpretationsfläche zugleich bleiben will. Artrock, – der ist mir im Allgenmeinen ein Greuel. Ausnahmen, so sie sich denn zu Sargnägeln für ungute Strömungen entwickeln, sind mir dagegen nur recht und billig. Ich meine damit Strömungen, die Musik transportieren, die eklektizistisch auf den Putz hauen, ohne die geringste Ahnung zu haben. Man kann heute viel anklicken, verwerten und sampeln. Das war Gestern revolutionär. Das Gegenteil wirkt Heute attraktiv und atmet Widerstandsgeist. Und es ist ungleich schwerer zu realisieren. Beharrlich auf eigene Art Zeit reflektieren, ohne sich dabei anzubiedern. Das geht schwer und kommt verdammt anmutig rüber. So sehe ich die Sache und bin gespannt, ob es in einem Jahr noch gültig ist.
Jörg Gruneberg
[Photo: Eric Pulido (links) und Tim Smith]