Perlen 2010 – Agalloch und Der Weg einer Freiheit
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Musik | 11. Januar 2011Agalloch – Marrow Of The Spirit
Der Weg einer Freiheit – Der Weg einer Freiheit
Das Interessante an Metal ist ja die Tatsache, das er einfach nicht totzukriegen ist. Und er weder Rost noch sonstige Irrelevanzsymptome ansetzt – aus dem simplen Grunde, weil sich im beinharten Umfeld nach wie vor jede Menge Nischen finden, in denen sich allerlei Gelichter, Wahnsinnige und Verrückte, Irr- und Derwische herumtreiben, ausgeprägte Nonkonformisten und/oder Nihilisten der kompromisslosen Form. Was irgendwie auch ein schöner Treppenwitz ist, schließlich weist der Metal zeitgleich einen bemerkenswert hohen Durchsatz an üblen Kommerz-Kaspern, bemitleidenswerten Szene-Posern, unerfreulichen Mummenschatz und bornierter Engstirnigkeit auf. Naja, wie formulierte es Private Joker via „Full Metal Jacket“ so schön – die Dualität des Menschen. Andererseits verleiht dies diversen Metal-Veröffentlichungen auch immer so ein g‘schmackiges Gefühl auf der Zunge – zumindest für mich. Immer die ausgeprägte Reflektion: Kann ich dies jetzt wirklich vorbehaltlos prima finden oder lauert schon der erwähnte Mummenschanz um die Ecke? Das macht mir wirklich Spaß – weil ich da gerne schon mal Dinge in Frage stelle, die ich in anderen Styles (Techno beispielsweise) einfach kommentar- und rechtfertigungslos rundum prima finde. Von wegen Metal-Rezeption als simple Geschichte, dass ich nicht lache! Es geht um das sachte (und manchmal natürlich auch etwas beherztere) Abklopfen des ehernen Materials, darum, aufmerksam hörend herauszufinden, ob man vielleicht gerade dabei ist, nur ein paar Blendern auf den Leim zu gehen, die mittels des Stilmittels „Wilder Mann markieren“ halt nur ein bißchen auf den Putz hauen wollen (bestenfalls, dagegen ist ja nix einzuwenden) oder so etwas wie erwähnte Nonkonformität lediglich simulieren (schlimmstenfalls – was mich ein bißchen an Thomas Gurrath erinnert; sie wissen schon, der junge Herr von Debauchery, der Todesblei-Pornografie mit Lehramtstätigkeit verbinden zu können glaubte. Fand ich irgendwie abgefahren zu meinen, man könne knallhartes gesellschaftliches Outsidertum – und nix anderes findet sich sowohl musikalisch als auch ästhetisch auf Veröffentlichungen wie „Torture Pit“ oder „Continue To Kill“ – quasi konsequenzenfrei mit hochgradig staatstragendem Mainstream verbinden. Interessanter Irrglaube, aber auch schon wieder ein Thema für sich).
Langer Rede kurzer Sinn: Die Beschäftigung mit Metal fetzt. Fetzt erst recht, wenn man es mit Leuten wie Agalloch zu tun bekommt. Mit Leuten, bei denen es mehr gibt als nur diese eine oberflächliche Ebene des „Wilden Mann markierens“, des Tabubrechens um des Tabubrechens willen, kurz gesagt, um jenen Part des metallischen Ästhetikverständnisses, den ich offen gesagt ein bißchen langweilig finde (und mittlerweile nur noch durchgehen lasse, wenn draußen Motörhead draufsteht). Agalloch scheinen mir dann doch eher von der Sorte der Nonkonformisten zu sein, die auf der einen Seite mit Sicherheit durch und durch Metaller sind, andererseits aber auch ein durchaus offenherziges Musikverständnis ihr eigen nennen. Und die aus diesen nur auf den ersten Blick sich scheinbar antagonistischen Widersprüchen (mein Beitrag zur Kommunismus-Debatte, hehe) eine Platte zu schmieden verstehen, die an dieser Stelle eben auch Nicht-Metallern allerallerallerwärmstens ans Herz gelegt werden kann. Yep, „Marrow Of The Spirit“ punktet in allen Belangen und dies auf ganz schön vielen verschiedenen Spielfeldern – die Black Metal-Fraktion, die auf den Wumms abgeht, wird gleich mit „Into The Painted Grey“ aber so etwas von anständig abgefrühstückt, die Apocalyptic-Folker kriegen es auch mit der dicken Kelle („The Watchers Monolith“ beispielsweise, aber eigentlich hat jedes der sechs Stücke seinen dementsprechenden Anteil), Drone darf auch nicht fehlen, a bisserl Shoegazing, Prog, Post-Metal bzw. -Rock ebensowenig. Und Freunden des naturverbundenen Sounds darf ich am besten den Opener „They Escaped The Weight Of Darkness“ empfehlen, fein mit Wasserplätschern und so weiter und so fort – aber dies möchte schließlich auch so sein bei einer Band, die sich dem Naturphilosophischen eng verbunden fühlt. Ja, dies stelle ich aus Gründen so explizit heraus: Es bleibt meine unumstößliche Meinung, dass sich ein anständiger und ausgewachsener Spleen ganz hervorragend macht, wenn man sich auf den Weg macht, die wirklich aufregenden und spannenden Ufer des Musizierens zu erreichen. Und ja, ich bin der Ansicht, dass sich Agalloch genau auf diesem schönen Weg befinden.
Agalloch (Foto: Viva Hate Rec.)
Da ist es auch gar nicht schlimm, dass sich jenes Ufer meist in düsterer Finsternis gehüllt präsentiert. Wir reden ja hier von Black Metal, liebe Leute! Von einer Musik, die sich erwähnte Finsternis, ja sogar ausgeprägte Garstigkeit auf die tiefschwarzen Fahnen geschrieben hat. Und in dieser Hinsicht sind Agalloch von einer derart feinen Konsequenz, dass die Vier mein Herz erobert haben. Beim allerersten Hören, sofort, umgehend und auf der Stelle. Erneut ertappte ich mich dabei, ein bißchen die Stirne in Falten zu legen, als ich allerorts davon las, wie „Marrow Of The Spirit“ als sperrig, schwer zugänglich oder gar akustische Herausforderung bezeichnet wurde (hier zum Beispiel oder hier) – ich hatte nicht eine Sekunde ein Problem mit dieser Platte. Eher schon ein bißchen Angst, weil es einfach alles einen Tick zu wunderbar, zu großartig funktionierte. Weil ich mit nach dem letzten Stück „To Drown“ sofort wieder mit „Into The Painted Grey“ angefangen habe (hier ein sanftes Sorry an die Band – das naturverbundene Intro klemme ich mir inzwischen meistens; ja, ich weiß, ich bin ein garstiger Mensch) und danach wieder und wieder. Heavy Rotation nennt man dies wohl. Und wie diese Platte in der Heavy Rotation ist – weil mir hier der Black Metal vorgesetzt wird, den ich so unglaublich mag: Zwischen wütender Raserei und entrückter Melancholie schwankend, irrlichternd zwischen garstigen Hass und verzweifelter Lebensmüdigkeit. Und ohnehin war ich dann auch irgendwann erleichtert, als mir dann auch mal jemand aus der Seele sprach mit jenen Stellen, die subjektiv kitschig zu sein scheinen und die dennoch höchstes Vergnügen bereiten – eben weil sie in meinem Gehör hängenbleiben als gewisse Unebenheiten, an denen ich mich festbeiße. Die mich beschäftigen, fordern mit der Frage „Herrje, darf man jetzt wirklich das tun, was aber so etwas von offensichtlich das Naheliegendste ist?“ – und ja, es ist ein feines Gefühl, wenn man diese Frage irgendwann mal mit einem herzlichen „Ja!“ für sich selbst zu beantworten weiß.
Deshalb an dieser Stelle ein herzliches und heißes Dankeschön in Richtung Viva Hate Records – für diese vortreffliche Metal-Platte. Und auch dafür, mir mit „Der Weg einer Freiheit“ für das Jahr 2010 gleich noch eine Black Metal-Veröffentlichung kredenzt zu haben, die ebenfalls den Weg in die Heavy Rotation gefunden hat. Wenngleich aus etwas anderen Gründen – was mir die Band Der Weg einer Freiheit hier um die Ohren hauen, hat mal eben so locker nicht nur 95 Prozent von allem weggeklatscht, was aus dem Norden kommt (wie hier so schön festgehalten wird), sondern auch ziemlich entspannt eine die große Masse anderweitig „hart“ veranlagten Stoffes. SO fühlt sich Energie an, liebe Leute. SO und kein bißchen anders. SO legt man Hörgewohnheiten in Schutt und Asche. SO tritt man Arsch, Eier und Kopf. Und verbreitet bei all diesem Tun noch einen Pop-Appeal, den ich ähnlich in der rasenden Entrücktheit von Wolves In The Throne Room gefunden habe – ohne dass ich damit via Namedropping eine Soundverwandtschaft heraufbeschwören möchte; da geht‘s mir eher um das wohlige Gefühl des Willkommenseins, um die freundliche Einladung der Eingängigkeit, die mir diese acht Songs aussprechen. Die ja zudem auch noch vortrefflich klingt in einer ebenso klaren wie druckvollen und schnörkellosen Produktion.
Noch ein by the way zum Abschluss: Ich sag‘s ja immer – Waschzettel werden überschätzt, persönliche Backgrounds möglicherweise ebenso. Ich hatte auch so meine Freude an Der Weg einer Freiheit, bis ich dann irgendwann mal zufällig mitbekam, dass die handelnden Personen diverse Verbindungen in Richtung Hardcore aufzuweisen haben. Prompt machte ich mir ein paar Tage lang Gedanken darüber, ob sich aus der Songstruktur bzw. dem Riffing möglicherweise Querverweise aufmachen lassen (klingt ja nun wirklich nicht nach 08/15-Black Metal). Bis ich dann irgendwann mal beschlossen habe – Blödsinn. Das ist kein Hardcore, kein Metalcore und kein Sonstwas-Crossover. Einfach nur verdammt guter Black Metal. Punkt.
(Agalloch – Marrow Of The Spirit und Der Weg einer Freiheit – same sind beide via Viva Hate Records erschienen)
http://www.myspace.com/agalloch