Lost in Sound – KTL waren in der Stadt
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Musik, Veranstaltungen | 7. Februar 2011Im vergangenen Jahr machte sich Southern Lord daran, eine durchaus wichtige Wiederveröffentlichung auf den Weg zu schicken: Auf „A Bureaucratic Desire For Extra Capsular Extraction“ versammeln sich die ersten Aufnahmen von Earth, der Band um Dylan Carlson, die einst unter anderem via „Extra-Capsular Extraction“ via Sub Pop unter das Volk gebracht wurden. Die Anschaffung sei dem Interessenten gemeinsam mit „Earth 2: Special Low Frequency Version“ ganz warm empfohlen für den Fall, man wolle herausfinden, wie, wann und wo sich dieses wummernde Sound-Gebräu namens Drone-Doom mal, hmm, wie sag ich‘s mal am besten, materialisiert hat. Wobei ich mich – by the way – jetzt schon ein klitzekleines bißchen darüber ärgere, dereinst beim Label-Thema Sub Pop nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, über eben diese durchaus epochale, geradezu bahnbrechende Leistung zu schreiben – was ja schon schwer angeraten wäre, da die Veröffentlichung von solchen Platten vor 20 Jahren mit Fug und Recht als jener „ultimative kommerzielle Selbstmord“ gelten durfte, als der dies auch mal von den Vampster-Kollegen bezeichnet wurde. Aber eigentlich geht‘s hier ja um etwas anderes. Es geht darum, dass Stephen O‘Malley mal wieder in der Stadt war. Jener Mann, von dem hin und wieder auch mal behauptet wird, er wäre durchaus beeinflusst von der Art und Weise, wie sich Dylan Carlson dereinst dem Gitarrenspiel näherte. Was auf jeden Fall hinkommen könnte, wenn man sich mal anhört, wie sich Stephen O‘Malley seit nunmehr auch schon seit 1996 dem Gitarrenspiel nähert (mal ganz abgesehen davon, dass die Drone-Doom-Supergroup Teeth Of The Lions Rule The Divine mit den Herren O‘Malley, Lee Dorrian, Greg Anderson und Justin Greaves sich letztlich wohl nicht ganz grundlos nach einem Earth-Song benannt hat).
Allerdings – und da bin ich mir schon der Schwäche des gewählten Einstiegs bewusst, aber manchmal muss man jede sich bietende Gelegenheit zum Teaching nutzen – war Stephen O‘Malley ja nicht allein in die Stadt gekommen. Wir reden ja hier über KTL, über jene Kollaboration mit Peter Rehberg, den man durchaus kennen kann, wenn man sich ein wenig abseits der Hauptverkehrsrouten elektronischer Musikerzeugung bewegt. Und da rede ich nicht einmal vom eigenen musikalischen Schaffen (wobei ich besonders die Formation Fenn O‘Berg mit den Herren Rehberg, Jim O‘Rourke und Christian Fennesz herausheben möchte), sondern auch von der Verbreitungsleistung über das Label Editions Mego – unter anderem die Heimat von Oneohtrix Point Never aka Daniel Lopatin, dessen „Returnal“ 2010 diverse Jahrescharts rulte (und zwar vollkommen zu Recht). Warum ich dies erzähle? Kontext herstellen! Denn natürlich darf man sich KTL auf gar keinen Fall als Solo-Veranstaltung eines Gitarristen vorstellen, auch wenn – dies muss schon mal festgehalten werden – dieses Instrument vor allem live eine ganz schön fordernde Rolle spielt. Was mich daran erinnert, auf dem Weg zur Centraltheater-Hinterbühne einem Gespräch zweier Mitarbeiter folgende Information entnommen zu haben: „Das geht jetzt schon seit zehn Minuten so.“ Da war – natürlich – die Rede von der nachhaltigen Tiefenwirkung der O‘Malley‘schen Gitarre, die das Gebäude zu einem brummenden Bienenkorb machte.
Womit wir jetzt endlich mal im Konzert sind. Halt, erst noch Ohrenstöpsel rein, da wurde allerorten via Aushang dringend hingewiesen. Und vom Einlasspersonal auch noch einmal – gut, ich bin in dieser Hinsicht normalerweise nicht so nahe am Wasser gebaut, aber in diesem Fall war es ein guter Tipp. Ehrlich. Rein in das Prinzip „Lost in Sound“. Dies ist ja das wirklich, nun ja, Schöne an diesem Prinzip Drone-Doom in jener Ausprägung, wie er uns über den Daumen gepeilt 50 Unentwegten da von KTL regelrecht zelebriert wurde: Dieser Stoff lässt gaaaanz viel Raum. Raum für Deutungen, Auslegungen, Reflektionen, Überlegungen. Da ist irgendwie für jeden etwas dabei. Für all jene, die auf der Körperlichkeit und Unmittelbarkeit von Sound stehen – wobei der gewählte Raum noch als zusätzlicher Resonanzraum wirkte (ja, so ein Theaterbühnenboden ist eine feine Sache, wenn er so richtig in Schwingungen gerät und diese dann direkt an den Körper weitergibt) – ist KTL schlicht ein Fest. Nein, Unerfahrener, es ist nicht das Handy, was da in der Hose vibriert, so etwas nennt man Bassfrequenzen. Wer sich mit dem Thema Intellektualisierung von Metal beschäftigen mag, ist natürlich ebenfalls herzlich eingeladen. Selbstredend lässt sich dieser Sound auch als kritisches Statement zu einer sich immer stärker beschleunigenden Gesellschaft lesen – vor allem dann, wenn Peter Rehberg in seinen Laptop-Sounds moderne Zivilisationsgeräusche adaptiert, zitiert und in den Soundteppich einwebt. Mal von dem grundsätzlichen Prinzip der Entschleunigung, die auch bei KTL als ein zentraler Punkt eingearbeitet ist, ganz abgesehen. Apropos Laptop-Sounds: Auch das Andocken in Richtung Soundtrack ist problemlos möglich – vor allem dann, wenn wieder einmal Peter Rehberg der ganzen Geschichte auf sehr wirkungsvolle Weise einen Dreh in Richtung „Horror“ verpasst. Reden kann man auch gerne über Fragilität, was nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zum Prinzip Drone-Doom darstellt: Wenn man mal wirklich bewusst und mit Bedacht beobachtet, wie sorgsam Stephen O‘Malley seine, ähem, Riffs (oder sollte ich besser Frequenzen sagen?) spielt, aufbaut, entwirft, ausweitet, zurücknimmt, entwickelt, lernt man wirklich eine ganze Menge darüber, wieviel Sorgfältigkeit, nun ja, eben Fragilität, geradezu Zerbrechlichkeit in dieser scheinbar so stoischen Musik steckt. Und damit gleichzeitig eine Ahnung vermittelt auf welch schmaler Kante das Ganze balanciert – was dann logischerweise auch wieder eine Spannung aufbaut, die einen wesentlichen Reiz der Sache ausmacht. Zumindest ist es mir so gegangen. Naja, über das Thema Radikalität müssen wir nicht groß reden, denke ich. Ich erinnere hier nur mal an dieses „Das geht jetzt schon seit zehn Minuten so“, das da aus sehr wohl jungen Munde kam und zwar auf eine Art und Weise, die jetzt nicht gerade auf Wohlgefallen schließen ließ. Auf der anderen Seite offenbaren KTL auch einen ausgeprägten Hang zur Schaffung einer ausgeprägten Trance-Atmosphäre. Augen zu und dann wirklich „Lost in Sound“ (gab‘s auch einige Male) – wobei dies nicht immer etwas mit Trance zu tun haben muss. Das ist selbstredend auch Musik für all jene, die einfach den schlichten, gedankenbefreienden Druck der Kombination kellertiefste Riffs/Frequenzen und ergänzende, erweiternde, vielschichtige Laptop-Elektronika zu schätzen wissen. Kopf ausschalten und einfach nur die erdrückende Heavyness genießen. Das Spielchen könnte man jetzt noch ein Weilchen weitertreiben und das Schöne wäre dabei – keine der Deutungen, Auslegungen, Reflektionen, Überlegungen wäre in irgendeiner Form falsch. Was wohl unterm Strich auch ein wenig mit der feinen Unschärfe nonverbaler Musik zusammenhängt, die sich offensichtlichen Kategorisierungen gerne mal zu entziehen weiß. Wer hätte schon gedacht, dass man aus dem Zusammenspiel der Dunkelheit von Gitarre und Laptop in einer Form, in der man nie genau zu sagen weiß, wann das „klassische Konzert“ im Sinne einer Live-Reproduktion von Studioaufnahmen aufhört und wann die Improvisation anfängt, eine derartige Vielfalt von Deutungsmustern herauskristallisieren kann?
Viele dieser Deutungsmuster sind mir während der guten Stunde KTL durch den Kopf gegangen (wie schon angedeutet, wir kamen doch einige Minuten zu spät). Was ich wirklich vergnüglich fand, echt. Das war eine Anregung durch und durch, für dem Körper und den Kopf. Ah, eine Wohltat.
(Btw. – diese wurde auch nicht unnötig in die Länge gezogen durch Dinge wie Zugaben. Nein, dies ist ja eben kein „klassisches Konzert“ und Peter Rehberg und Stephen O‘Malley wissen nur zu gut um diese unumstößliche Tatsache. Wir reden hier über das Zelebrieren von Musik. Und ja, natürlich kann dies richtig geil sein.)