Warm ums Herz – Conny Ochs „Raw Love Songs“
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Musik | 10. Februar 2011Normalerweise bin ich ja eher einer der sehr defensiven Sorte, wenn es um das Thema Namedropping geht – erst recht, wenn es weniger darum geht, gewisse stilistisch bzw. ästhetische Einordnungen vorzunehmen, sondern vor allen Dingen ein Bewertungsrahmen konstruiert werden soll. Da wird gerne Schindluder getrieben – gerade auch im weiten Felde der Singer/Songwriter, in der Sparte jener Musik, die sich mit dem Siegel „Ein Mann und seine Gitarre“ trefflich versehen lässt, wird häufig und fast schon reflexartig mit großen Namen hantiert und dies in derart unschöner inflationärer Häufigkeit, dass irgendwann auch diese große Namen im Schatten der Trivialität nur noch matter leuchten können. Oder um es einfacher zu formulieren: Wenn zu flott schnöder Durchschnitt (oder Schlimmeres) mit wirklich Außergewöhnlichem assoziiert wird, vertieft sich der Glaube, es genüge, einfach nur die Stilmittel des Außergewöhnlichen zu nutzen, um der Durchschnittlichkeit zu entkommen. Was vor allem dann ein Problem wird, wenn das Außergewöhnliche nur als Abstraktion (oder als Presseinformations-Referenz) ein Eigenleben ohne konkreten Erfahrungshintergrund führt. Oder noch mal einfacher gesagt: Namedropping betreiben, ohne das Gedroppte wirklich mal gehört zu haben, und zwar nur, weil‘s im Waschzettel steht. Oh ja, dies gibt es häufiger als einem lieb sein kann.
Deswegen die Defensive. Deswegen die Vorsicht und die Zurückhaltung auch im Falle der zehn „Raw Love Songs“ von Conny Ochs. Bis ich es nach dem dritten oder vierten Durchlauf dann doch zugelassen habe, die Assoziationen nach vorne durchzulassen, auch mal konkret zu denken und zu akzeptieren. Weil ich auch nach dem vierten Male das Gefühl nicht loswurde, hier etwas Außergewöhnlichem zuzuhören, dass mich dann doch gemahnte an Leute wie Jeff Buckley oder Nick Drake. Große Namen, fürwahr, und eine Assoziation, an der man eigentlich nur scheitern kann – und die mich dennoch nicht losgelassen hat, weil ich nicht anders konnte. Nicht, weil da ein Wiedergänger am Werke war, sondern weil ich in Spirit und Kraft, in Emotionalität und Intensität oder auch einfach in der Vielschichtigkeit bei höchstmöglicher Reduktion bei diesen zehn Songs eben etwas Außergewöhnliches entdeckte (in erster Linie zunächst mal für mich selbst, aber ein paar anderen Leuten scheint es ja immerhin ähnlich gegangen zu sein). Weil mich diese zehn Songs echt auf eine sehr direkte, unmittelbare Art und Weise angefixt haben – und dies, obwohl ich sie erst mal beiseite geschoben hatte. Weil ich derzeit ein bißchen Angst habe vor diesem Ding Singer/Songwriter, vor dem Jammerlappentum, vor der Betroffenheitsmasche und unterm Strich vor der Banalität, die zu oft aus diesen Platten zu mir spricht. Aus Platten, die sich mit zwar mit ganz viel Pathos, Emphatie und Posen inszenieren, die aber außer den handelsüblichen Floskeln und Oberflächlichkeiten nicht viel zu bieten haben. Und mich dies einfach nur noch langweilt. Und dann – Teufel noch eins – singt dieser Conny Ochs „Stampede, Stampede“ derart voller Inbrunst, Hingabe und dennoch großer Zartheit in das Mikrofon, dass ich gar nicht anders kann als aufzuhorchen, hinzuhören, mitzugehen.
Dazu braucht es gar nicht so viel: Eine Gitarre (manchmal noch eine Mundharmonika), mit der man allerdings auch umzugehen wissen muss. Reduktion kann zur grauenhaften Qual werden, wenn da nichts an Substanz ist, das man einreduzieren könnte – was natürlich immer auf das Songwriting zutrifft. Dieser Kerl hier hat aber in beiden Königsdisziplinen die Dinge gut in der Hand: Mit einer schlanken Handvoll Songs, die das ganze Repertoire in aller Vielfalt mühelos zu buchstabieren verstehen – vom verkappten Rocker, bei dem ich mir immer den ganzen Krawall gerne dazudenke (man nehme „Angels And Demons“) bis zum ziemlich klassischen Liebeslied („Lily Of The Valley), den nicht minder klassischen Erzählsong („Good House“) und so weiter und so fort. Stört es mich da, dass schon nach etwas mehr als 28 Minuten Schluss ist? Niemals! Wird nicht eher die Spiellänge eines Tonträgers als relevantes Rezensionsmerkmal maßlos überschätzt? Warum 20 belanglose Stücke hören, wenn man auch zehne haben kann, die einen wirklich bewegen? Also, ich muss da für meine Antwort nicht lange überlegen. Meine Lösung: Alles noch mal von vorne. Das macht Spaß. Das macht Freude. Ich fange meistens spätestens bei der Nummer 2, bei „Lily Of The Valley“ an mitzusummen, -singen, -pfeifen.
Was vielleicht auch ein bißchen an der mangelnden Perfektion liegt. Conny Ochs macht mir ja nix vor. „Raw Love Songs“ sind genau das: Liebeslieder, die sich einer gewissen Unausgereiftheit, Rauheit, naja, eben Unperfektion nicht nur nachhaltig bewusst sind, sondern eben diese Unperfektion als wesentliches Merkmal des Konzepts verstehen. Was dann bei aller Reduktion auf das Wesentliche für die nötigen Widersprüchlichkeiten sorgt, an denen ich mich reiben kann. Die mir dann doch diesen Blick eröffnet in die Tiefe, auf einen Menschen oder meinetwegen auch nur auf die Kunstfigur, auf die Inszenierung Conny Ochs – aber es wenigstens überhaupt ein Blick auf irgendetwas (ja, ich finde, Authentizität wird manchmal ein bisserl überschätzt).
Ach ja, weil wir gerade beim Thema sind: Conny Ochs kommt aus Halle, was aber eigentlich keine Rolle spielt. Herkunft und Regionalität habe ich schon immer für eine latent überschätztes Kriterium der Popkritik gehalten, das einzig dann von Belang schien, wenn es um die Einordnung in einen sich gegenseitig beeinflussenden „Szene“-Kontext ging (siehe Weilheim oder Hamburg, Seattle, Manchester oder Washington D.C.). Die Möglichkeiten einer Vernetzung weit über ein Umfeld der persönlichen Beziehungen hinaus sind mittlerweile derart allgegenwärtig, dass man die Geographie langsam mal raushalten sollte aus der Sache (finde ich). Ohnehin ist mir nie so richtig klargeworden, aus welchem konkreten Grunde nicht auch ein Hallenser Lieder schreiben können sollte, die nach Romantik klingen oder nach non-urbanen Folk-Roots (die dunkle Seite des Authentizitätsgehabes). Wichtiger ist da schon der Hinweis, dass Cornelius Ochs auch Sänger in einer Band ist. In einer Band namens Baby Universal, deren Schaffen an mir vorbeigegangen ist und zu der auf dem ersten Blick von meiner Seite nicht mehr zu sagen ist, als mir die paar Songs auf MySpace mitteilen. Es geht ja auch eher um den Habitus, um dieses Rock-Ding, das ja nun auch mal aus „Raw Love Songs“ heraussticht. Freund Don Bass aka Herr Hartig merkte in der jüngsten Ausgabe des Phonografischen PNG-Quartetts ganz richtig an, dass dieses Rock-Ding für eine beeindruckende Spannung sorgt. Für eine Spannung, die auch wieder den notwendigen Reibungswiderstand aufbaut. Damit mir es richtig schön warm ums Herz wird.
Ach ja, einen Vorteil hat die Sache mit Halle vielleicht doch. Die Chance ist einfach viel größer, den Herrn auch mal auf der Bühne zu sehen. Was man so hört, soll dies durchaus beeindruckend sein. Und nochmal ach ja: Conny Ochs war im letzten Jahr mit Scott „Wino“ Weinrich unterwegs – und da scheint sich Nachhaltiges ereignet zu haben. Jedenfalls ist zu erfahren, dass die Beiden gemeinsam eine Latitudes-Session in der Mache haben. Herrje, da bin ich nun aber wirklich ernsthaft gespannt und beinahe ein bißchen hippelig.
„Raw Love Songs“ von Conny Ochs ist auf Exile On Mainstream erschienen.
www.connyochs.com