Jack, Alter! House! – Steffi „Yours & Mine“
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Musik | 22. Februar 2011Schon im Zusammenhang mit KTL hatte ich auf einen interessanten Punkt hingewiesen: Die Beschäftigung mit Musik, die nonverbal auskommt und auch ansonsten nicht sonderlich viele Angriffspunkte für eine fein säuberliche Kategorisierung bietet, ist meist von hohem Unterhaltungswert. Weil diese Beschäftigung in aller Regel allerlei Spannendes zutage fördert, Seltsames, Kurioses, Abseitiges, Erhellendes, Unterhaltsames – kurzum eine Menge Dinge, die den Geist wohltuend anzuregen vermögen. Warum ich dies sage? Weil ich im Zusammenhang mit dem Longplayer-Debüt von Steffi Doms auf diesen Artikel gestoßen bin, der mich dann doch anständig zum Grübeln gebracht hat: Ehrlich gesagt hatte ich bislang beim Goutieren einer Techno-Platte noch nie darüber nachgedacht, welches Geschlecht da nun eigentlich konkret an Laptop, Sequenzer, 303/606/808/909, Synthesizer oder Was-weiß-ich-noch-so-alles-für-Geräte agiert hat. Ein wenig schuldbewußt fragte ich mich: Bin ich jetzt ein schlechter, gar ignoranter Mensch? Oder lenkt diese Betrachtungsweise der Dinge meine Gedanken auf einen gar schlammigen Pfad, auf dem ich mangels Background oder Problembewusstsein oder Know-how oder Emphatie oder gar einer verhängnisvollen Mischung aus allem einfach nur steckenbleibe? (btw.: Noch mal ein Dankeschön an den Herren Max Goldt für dieses schöne sprachliche Bild.) Herrje, ich weiß es nicht.
Andererseits dachte ich dann wirklich mal etwas intensiver darüber nach, wie ich House oder meinetwegen Techno oder elektronische Musik generell goutiere. Wie ziellos auf der einen Seite und nach wie vor geradezu euphorisch auf der anderen – auch wenn ich so ganz und gar nicht zu Fraktion der beinharten Clubgänger gehöre, die stets steif und fest behauptet, Reflektionen zum Thema House wären ausschließlich nachts um 3 Uhr im xxx (bitte den Club eigener Wahl einsetzen) angebracht. Wogegen ich mich hüte etwas zu sagen, weil sie, nun ja, einfach einmal Recht haben. Abseits von diesem – ähem, nun ja – Handicap nehme ich aber alles, was ich kriegen kann – mir sind Styles und Sounds, Retrofizierung und Aktualität so etwas von schnuppe, wenn mich das kickt, was da aus den Boxen kommt. Ich nehme die Wahnwitzigen, die sich durch eine schillernde Wanne an stilistischer Vielfalt planschen (siehe TokTok), ebenso gerne wie den sauber durchdachten, beinahe schon streng konzeptionell aufgebauten Sound-Entwurf (siehe Pantha du Prince). Ich mag die strikt funktionale Track-Sammlung (wie etwa Oliver Huntemanns „H-3“) genauso gerne hören wie den Maximal-Techno eines Helmut Geier (ah, „Teufelswerk“!). Ich mag es hart, trocken und irre taumelnd an der Grenze zum EBM – ebenso wie einen geradezu sanft pulsierenden Housebeat, der mich mit Wärme geradezu einhüllt. Ich mag es, wenn es 70 Minuten am Stück durchpumpt, ich mag es, wenn mir einer mit irrlichternden Beat-Experimenten kommt und so weiter und so fort. Wer mir dies jetzt als Beliebigkeit auslegen mag, nur zu, da kann ich wohl wenig dagegen tun. Aber ich habe ohnehin etwas andere Maßstäbe und Wahrnehmungsbereiche, die nur sehr, sehr, sehr wenig mit dem klassischen Techno-Rezeptionsverhalten zu tun hat, das sich doch des öfteren mal um solche Dinge wie aktuelles Sound-Design dreht und ohnehin viel mit dem Thema Aktualität zu tun hat. Ich meine, ich höre wirklich gerne zu, wenn aus berufenem Munde darüber philosophiert wird (bei Mathias Schaffhäuser hatte ich mal das echte Vergnügen) und ich vermag auch im Ansatz zu verstehen, warum es da geht – allein fehlen mir dann doch am Ende des Tages jene Beurteilungsraster, um mich auf diese Aktualitätsdiskussionen auch nur einlassen zu können. Mehr noch: Genau genommen ist es mir am Ende des Tages dann doch vollkommen gleichgültig, ob sich da jemand auf retrofizierenden Pfaden bewegt, wenn, ja wenn ich dennoch etwas rausnehmen kann aus dem musikalischen Entwurf.
Was zumindest ein bißchen erklärt, warum ich an „Yours & Mine“, dem bereits erwähnten Debüt der gebürtigen Niederländerin Steffi Doms, so einen unglaublichen Narren gefressen habe. Warum ich mittlerweile beinahe schon das Gefühl habe, ohne wenigstens den einen obligatorischen Steffi-Durchlauf pro Tag nicht mehr über die Runden zu kommen. Weil diese neun Tracks natürlich einen ausgesprochen Traditionalismus buchstabieren – wobei es ja durchaus zu den interessanten Aspekten der Zeit gehört, dass man auch im House- bzw. Techno-Kontext längst von Traditionalismen sprechen kann. Vom mystischen Orten wie Detroit oder Chicago, die einen festen Platz in den Rezeptionsmechanismen gefunden haben – zum Beispiel in der Rezeption von Steffi, die eigentlich ohne diesen Verweis auf „Chicago“ gar nicht über die Runden kommt. Weil es eine derart mauerfeste Referenz ist, die jedem da draußen, der ein bißchen im Saft steht, sofort signalisiert, von was wir hier reden. Von einer Musik, die sich ihrerseits auch wieder als Fortsetzung einer Tradition versteht – und da reden wir hier nicht nur von Kraftwerk und der elektronischen Seite, sondern auch von Philly-Soul und P-Funk. Was mir im Übrigen irgendwie wesentlich wichtiger erscheint als die oben angerissenen Gender-Verweise, über die nachzudenken ja ganz unterhaltsam sein mag: Aber gerne auch mal im Auge zu behalten, dass sich Techno eben nicht nur aus Kraftwerk und EBM speist, sollte eigentlich eine gewisse essentielle Bedeutung haben. Da habe ich gar kein Problem, auch mal Namedropping mit Namen wie Frankie Knuckles, Marshall Jefferson oder Larry Mr. Fingers Heard zu betreiben. Teaching, Alter!
Es geht hier also um House in einer sehr, sehr klassisch definierten Form – mit warmen, analogen Sounds und Flächen, die selbstredend retrofiziert klingen. Die mich aber mal wieder daran denken ließen, was mich da eigentlich so gekickt hat vor nunmehr auch schon gut 20 Jahren, als mich Freund Donis anfing, mit diesem Techno-Zeugs (herrje, was man eben so denkt als Metal-sozialisierter, Sonic Youth-emphatisierter, stagedivender Hardcore-Nerd in einem strikten Punk/HC-Umfeld – ich weiß noch, wie mal einer auf einer Party die Sicherung rausgedreht hat, weil ihm Pressure Drop so auf die Nerven gingen. Was haben wir gelacht. Später) zu infizieren. Diese Andersartigkeit im Umgang mit Sound, mit Melodie und ja, auch mit diesem Personality-Ding – das war echt unerhört. Und wenn ich mir die Tracks von „Yours & Mine“ anhöre, muss ich daran denken, wie faszinierend es ist, wenn sich eine Melodie aus etwas herausentwickelt, was formal gesehen eine Tonfolge ist, die so gar nichts klassisch melodiös, harmonisch Definierbares an und in sich trägt. Wie sich Pop und Eingängigkeit aus etwas schöpfen können, das einfach nur mit der Veränderung von Hörgewohnheiten zu tun hat. Denn diesen Verweis, dass aus „Yours & Mine“ eine außerordentliche (und im Ostgut-Kontext in der Tat eher ungewohnte) Pop-Attitude heraussticht, kann ich nur sehr warm unterstreichen. Oder dieser Beat, der einfach unkaputtbar ist in seinem Groove. Jack, Alter. Ich könnte diesem Beat stundenlang zuhören. Einfach nur diesem Beat, der mir in der Kombination mit den fein gesetzten Basslines ein Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelt – womit wir dann irgendwie auch wieder auf der Tanzfläche wären. Da muss ja schließlich nicht permanent gebolzt werden (auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, hier und da ist man der Ansicht, im Club herrsche stets der Peaktime-Ausnahmezustand – nun ja, mein Club wäre dies nicht). Das Explodieren ist die eine Seite von Techno, aber es gibt eben auch diese Zustand der Implosion: Das eine geht nach draußen, das andere nach innen. Trance? Herrje, wenn es nur nicht so ein verseuchter Begriff wäre. Und mithin fehlleitend – denn an der Stelle, an der, räusper, handelsüblicher Trance die Melodien mit dem Holzhammer stanzt, lässt sich Steffi auf eben jenes erwähnte, ähem, Wunder ein, aus einer eigentlich nicht vorhandenen Harmonie eine melodiöse Struktur entstehen zu lassen (das Prinzip „Mehr als die Summe der einzelnen Teile“, wenn ich dies mal so sagen darf). Dies ist wohl schon ein echter Unterschied.
Womit ich dann lustigerweise doch noch einmal bei diesem Punkt Sounddesign wäre. Um denn man nun mal nicht rumkommt im elektronischen Kontext und der gerade bei „Yours & Mine“ doch auch auf treffliche Weise zum Tragen kommt. Abseits von Aktualität, einfach im Sinne unterschiedlicher Reflektionsebenen: Es macht einen gehörigen Unterschied, in welchem Kontext man diese Platte hört. Sie funktioniert auf einer sehr schlichten Anlage ebenso wie im Club – nur eben auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Hier die Faszination der Transformation Nichtmelodie – Melodie, dort der satte Wumms der Basslines und hey Mann, Jack, der Beat, der einfach nicht kaputt gehen kann. Unter Kopfhörer ist es noch mal eine ganz andere Sache. Ach ja, unbedingt erwähnen muss ich noch die beiden Vocal-House-Stücke „Yours“ und „You Own My Mind“ mit Virgina: Hier wird dann die von mir so geliebte Pop-Transformation quasi absolut offensichtlich gemacht – und zugleich offenbart, wieviel an veränderten Techno-Hörgewohnheiten schon im Overground angekommen sind.
Ach ja, eines noch zum Schluss: Nein, auch ich vermag in „Yours & Mine“ keinen, ähem, „Frauen-Techno“ wahrzunehmen. Sorry, aber ich höre da eher einen Umgang mit der Sache, die mich dann doch eher an das klassische Anti-Stardom-Prinzip von elektronischer Musik erinnert. In diesem Sinne ist diese Platte selbstredend auch kein „Autoren-Techno“ – dafür ist mir dies alles viel zu klassisch (herrje, mein Lieblingswort, merke ich gerade, aber ich kann‘s nicht ändern) gedacht, viel zu referentiell, viel zu universell. „Yours & Mine“ lässt sich in meinem Kopf auch nicht zwingend andocken an Orte wie das Berghain oder die Panoramabar, die Musik funktioniert auch genauso gut in der Distillery. Das ist übrigens kein Zeichen von Beliebigkeit, sondern von Qualität. Erst recht, weil Steffi Doms die Langstrecke nahezu mühelos meistert – was ja auch mal zwingend herausgehoben werden muss.
„Yours & Mine“ von Steffi ist auf Ostgut Ton erschienen.