Das Beste, was du kriegen kannst – Holy Ghost!

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 21. Juni 2011

Von vielen wunderbaren Disco-Entwürfen zwischen Discodeine und Wolfram, zwischen den Black Devil Disco Club und (na klar) Hercules And Love Affair sind sie mir derzeit irgendwie die Liebsten: Alex Frankel und Nicholas Millhiser aka Holy Ghost! Das gleichnamige Fulltime-Debüt weist mit zehn glitzernden Songs auf elegante Weise den Weg in Richtung Tanzfläche.

Ein Versprechen. Und zwar ein riesengroßes Versprechen. Über allem leuchtet und glitzert eine gewaltige Discokugel und sie verspricht all diese glücklich machenden Dinge: Befreiung, Emanzipation, Sex, Extase. Dabei munkelte man ja schon eine ganze Weile, dass da etwas Großartiges auf uns zukommt. Ich erinnere nur an die „Hold On“-EP, die ja nicht nur mich mit dem gleichnamigen Hit ziemlich vom Hocker fegte. Und ich weiß auch noch ziemlich genau, dass mich Holy Ghost! im letzten Jahr live richtig gekickt haben – viel mehr jedenfalls als Hercules And Love Affair. Klar, ein subjektiver Eindruck (herrje, wenn wir über Musik reden, reden wir IMMER über subjektive Eindrücke – dies ist ja das Schöne an der Sache. Dies nur mal wieder als die übliche Klarstellung. Und NEIN, ich werde diesen aus meiner Sicht einfach mal grundsätzlichen Ansatz mit absoluter Sicherheit NIEMALS im Kommentarbereich dieser Seite mit wem auch immer ausdiskutieren), aber einer, der ziemlich nachhaltig Wirkung hinterlassen hat. So nachhaltig, dass ich regelrecht GEWARTET hatte auf diese Platte. In einer Art und Weise gewartet, in der ich kaum mal auf eine Platte gewartet habe. Nö, die lasse ich eigentlich immer einfach passieren. Aber diese Songs, die mir Holy Ghost! da vorgespielt hatten, diese wollte ich doch zu gerne haben. Daheme. Zum ständigen Wiederanhören. Zum stetig wiederkehrenden Erinnern und Nacherleben dieser hochgradig euphorisierenden Momente, die mir da beschert wurden. Und ob dies euphorisierende Momente waren – die mir da zum Beispiel der Herr Frankel via „Hold My Breath“ servierte in diesem klitzekleinen Augenblick, in dem er mit einem ebenso einfachen wie und wirkungsvollen „Ohoho“ die ganze Schönheit, Sehnsucht, Melancholie, Verheißung von Disco auf den Punkt bringt. Auf den Punkt, an dem die Augen zu leuchten beginnen.

Schon da konnte ich mir btw. überhaupt nicht vorstellen, dass da irgendeine Enttäuschung lauern könnte. Die live so perfekt funktionierenden Songs auf Platte irgendwie luschig abgemischt sein könnten. Oder die so verheißungsvolle Stimme von Alex Frankel im Studio auf seltsame Weise absaufen könnte. Oder so. Ich weiß nicht mal mehr genau, was mir da nun eigentlich eine derart tiefe innere Sicherheit gegeben hat – allein, getrügt hat sie mich nicht. „Holy Ghost!“ ist genau das, was ich erwartet habe: Ein zehn Songs umfassendes Manifest betreffs all jener Punkte, die ich hier bereits angerissen habe. Befreiung für Körper, Geist und Sexualität. Die Sehnsucht nach Emanzipation von allem, was sich nach Konsens, Mainstream, schlicht dem Funktionieren im gesellschaftlichen Rahmen anhört. Die Freude an ebenso hedonistischer wie toleranter Extase. Kurz: Das Beste, was Du kriegen kannst.

Holy Ghost! – Wait & See from DFA Records on Vimeo.

Je länger ich mich in diese Platte hineinsinken ließ, je länger ich darüber nachdachte, warum dieser Stoff bei mir derart KNALLTE, desto mehr musste ich über das Phänomen einer auf den ersten Blick fehlgeleiteten musikalischen Sozialisation denken. Oder besser gesagt daran, dass sich irgendwie jeder in seiner Prä- oder Geradeso-Teenager-Zeit einen Schlenker, Ausrutscher, Fehltritt geleistet hat, der nachhaltige Folgen nach sich ziehen kann. Zumindest bei mir war es so: Disco, Alter, Disco hat mich aber so etwas von gerockt. Ohne, dass ich in irgendeiner Form auf den Punkt bringen konnte, weshalb nun eigentlich. Aber diese Typen in ihren abseitig bunten Klamotten erzählten mir staunenden Kerl in Sendungen wie „DISCO“ (na klar! Und manchmal, wenn auch nur ganz ganz manchmal sogar in der „ZDF-Hitparade“, womit die Bandbreite der verfügbaren Sendungen eigentlich ganz gut abgesteckt wäre) von Dingen, von denen ich so überhaupt keine Ahnung hatte. Von Sexyness zum Beispiel, ohne dass mir dieses Wort jemals in den Sinn gekommen wäre. Davon, cool zu sein. Cool zu sein einfach um den Coolseins wegen. Achtung, nur mal hinhören: Kool & The Gang. Nochmal: Kool & The Gang. Alter, was für ein heißer Scheiß für einen Typen aus dem südthüringer Outback, der gerade mal im Alter von zehn bis zwölf entdeckt, was es eigentlich mit dieser Popkultur auf sich hat. Und zwar ohne Plan, Kenntnis, Background oder gar persönliche Beteiligung. Was wohl auch der Grund ist dafür, dass wir hier nicht vom Studio 54 reden, von Phillysound oder David Mancuso – sondern von Santa Esmeralda und Patrick Hernandez. Oh Alter, „Born To Be Alive“, Mannometer, was ist mir die Rübe weggeflogen bei diesen bunten Lichtern, diesem fetten Locken-Afro und diesem Gepose mit dem Spazierstock.

Weil ich schon als Zehn-, Elf-, Zwölfjähriger das Versprechen hörte, Die Verheißung. Das Versprechen von Spaß. Die Verheißung des Andersseins. War es am Ende des Tages doch Patrick Hernandez, der mich da auf die schiefe Bahn brachte – und nicht Sonic Youth? Denn dieses „Born To Be Alive“ bin ich niemals losgeworden. Oder dieses „Don‘t Let Me Be Misunderstood“, dieses „That‘s The Way (I Like It)“ oder dieses „You Sexy Thing“. Was spätestens dann zu einer irgendwie seltsamen Situation wurde, als via New Wave Of British Heavy Metal die erste zielgerichtete Musiksozialisation in Gang kam. Naja, Depeche Mode ging ja trotzdem immer noch – trotz Iron Maiden, Judas Priest und Konsorten. Was vermutlich zumindest bei mir funktionierte, weil es irgendwie immer noch ums Anderssein ging. Gut, wir haben dann eine ganze Weile nicht mehr über das Ding mit der Extase geredet. Vielmehr über das Ding mit dem Rausch. Nein, dies ist absolut nicht dasselbe, der Rausch ist eigentlich nur ein ziemlich guter Freund von Extase. Mit dem guten gemeinsamen Kumpel Kontrollverlust. Aber irgendwie ist der Kontrollverlust im Metal-Kontext einfach eher der klassische Rausch, diese manchmal etwas grobporige Inszenierung von Heterosexualität, die uns ab und an auch Peinlichkeiten wie Madmützen, rausgestreckte Zungen oder unkorrekte Witze beschert. Extase ist da etwas Anderes: Viel mehr Sex und zwar der von jener Sorte, der mir nicht gleich ein schlechtes Gefühl vermittelt. Aber eben auch diese Kombination von Hedonismus und Toleranz, vom individuellen Kontrollverlust im Kontext einer hochgradig heterogenen Masse und dies eben auf eine Art und Weise, die auch den individuellen Kontrollverlust gleich nebenan zulässt. Wobei erschwerend noch dazu kommt, dass jeder eine ziemlich eigene Vorstellung von Kontrollverlusten hat.

Jeder Beat ein Versprechen. Jede Textzeile eine Verheißung. Eben das Beste, was Du kriegen kannst. Genau dies geben mir Holy Ghost! und dies im reichen Überfluss. Ich hoffe mal einfach nicht, hier noch groß und breit erklären zu müssen, was ich meine, wenn ich von Disco rede. Hier empfehle ich dann mal einen entspannten eigenen Internet-Exkurs, DAS mache ich jetzt hier nicht auch noch. Ich möchte lieber reden über Automato, die erste Band von Alex Frankel und Nicholas Millhiser. Und damit über HipHop. Nein, ich werde hier nicht darüber anfangen darüber zu philosophieren, man könne nun schon in Stücken wie „Cool Boots“ oder „Capes Billowing“ den Ansatz von Holy Ghost! erkennen. Weil man dies einfach nicht kann – ebenso wenig wie übrigens in der sauberen, aber nicht klinisch reinen Produktion von Tim Goldsworthy und James Murphy, jaaa, die von DFA (immerhin haben die „Holy Ghost!“ eine recht ähnliche saubere, aber nicht klinisch reine Produktion verpasst). Ich rede lieber über HipHop in Holy Ghost! „Do It Again“, Leute, wenn ich da nicht HipHop höre, weiß ich auch nicht mehr. Biggie Smalls aka Notorious B.I.G.! „Biggie, Biggie, Biggie, Can‘t You See/Sometimes Your Words Just Hypnotize Me“. Reden wir noch über eine ausgeprägte Cub-Attitude, eine satte Portion House und vor allem über Pop. Eigentlich auch über das klassische Pop-Song-Format. Über HOOKLINES! Es ist wohl gerade dieser gewaltige Pop-Aspekt, der mich da so kickt. Immer wieder und immer wieder. Naja, wie schon gesagt: Das Beste, was Du kriegen kannst. Um die Discokugel zum Funkeln zu bringen.

„Holy Ghost!“ ist via DFA Records/Cooperative Music erschienen.

http://www.holyghostnyc.com/

Foto: Jensor

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