Der Tante Renate (DTR) – H4xX02
Text: Joerg | Ressort: Musik | 31. August 2011Es gibt den richtigen Club im falschen nicht. Norman Kolodziej, auch bekannt als der eine Teil des Audiolith-Duos Bratze, steht als Person dafür, dieses Paradoxon auf rationaler wie irrationaler Ebene, fassbar zu machen. Wo er auftritt, wo er die Gitarre umhängt, wo er verschmitzt seine scharfen Wasserpistolen zückt, da muss zunächst reflektiert worden sein, was der Spaß bedeuten soll. Daß der Spaß ernst und der Ernst spassig sein dürfen. Wie echte Bewegung im falschen Club unmittelbar herbeigeführt werden kann. Oder, was dies garantiert hier nun jetzt gerade auch nicht unbedingt, unter allen Umständen, bedeuten muss. Grundsätzliches Stilmittel Kolodziejs ist jedenfalls, irgendwann dazu aufzufordern, quasi um den heißen Brei herum zu tanzen. Seine Lieblings-Küchengeräte sind dabei der Quirl und der Fleischhammer. Wie bei allen guten Tanz-Musikern wirkt danach das Album, als könne es nicht ohne Club funktionieren, nicht ohne Club im Hinterkopf rezipiert werden. Die Einzel-Tracks funktionieren weniger als Bilder, denn als Ankerpunkte in einem Koordinatensystem aus Räumen. Wenn Du nicht bereit bist Dich da durchzuhangeln – was man vielleicht mit einer Art abstraktem Tanzen umschreiben könnte – dann wirst Du als Hörer nichts bemerken außer unzusammenhängende Windkanal-Test-Anordnungen. Aber, das wäre ja auch gar nicht so falsch gehört. Schließlich sind Flugsimulationen ja auch groß nichts anderes als eine Art Koordinations-Übungen im falschen Club. Und eine geflickschusterte Simulation hält gegenüber einer schulbuchmäßigen Imagination immer noch eine relative Lebensnähe parat. Wegdriften heisst bei DTR immer auch: Pass auf, sonst liegst Du gleich auf der Schnauze. Der Albumtitel „H4xX02“ steht synonym für „Häcker“. Es steht aber nicht „Häcker“ auf dem Cover, sondern „H4xX02“. Es geht hier also nicht um’s Dechiffrieren, sondern um ein Leben mit den Zeichensystemen. Erstaunlicherweise gibt es heute im Posttechno-Zeitalter durchaus noch ein Missverhältnis von Sound und Text. Oder besser gesagt, es gibt dieses Missverständnis, Subversion generiere sich in erster Linie über das geschriebene oder gesungene Wort. DTRs Tracks kommen (bis auf ganz wenige Ausnahmen) ohne Worte aus. Mehr aber, mehr noch als Egotronic und die anderen Audiolith-Text-Acts, mehr auch als Bratze, schafft DTR es, jenen Mix aus Beat und Subtext zu transportieren. Setzt man die sehr spannende Experimentierphase als Bratze dem neuen Album gegenüber, so wird dies ganz besonders deutlich. Da, wo Bratze am härtesten, am unverständlichsten Punkt eines Tracks immer noch Lied, sprich Erzählung bleibt, dort schleudert DTR ungestüm seine Beats und Riffs, völlig ungeachtet jeder Erwartungshaltung ausgeklügelt in den Raum. Irgendwo zwischen Justice, Daft Punk, Egoexpress verortet, steht DTR – wie jene – für technoiden Rock, ohne Schnörkel, ohne Art-, ohne Post-, ohne Kraut- und ohne Math-Rock. Allzu gefällige, romantische oder düstere Sounds werden ausserdem vermieden. Die Beats und Riffs agitieren. Das kennen wir aus dem Rave-Punk-Audiolith-Sound-Kosmos nur allzugut. Doch DTR gehört darin immer schon zu der Art Fixstern, die – egal aus welcher Richtung Du Dich näherst – zur allgemeinen Orientierug wichtige Koordinaten festlegen. Kompromisslos und gleichzeitig humorvoll hievt Kolodziej seine Abgesänge auf Schmusedisco und Schlagertechno sensibel aus den Mottenkisten der Rock-Garage und des Schulhof-Metal und formt daraus die schöne gläserne Vitrine jenes Rave-Punk, die Audiolith-Acts jetzt schon ein ganzes Jahrzehnt hindurch mit mehr oder weniger genialen Slogans zu füllen sich die Beine ausreißen. Wichtiges Album, weil gerade die interne Lyric-Fabrik – siehe Egotronic oder Saalschutz – gerade etwas zu schwächeln scheint. Von Abnutzungserscheinungen will ich da aber nicht sprechen – ich seh das eher als normalen Alterungs- und Verschleissprozess. Aber anderes Kapitel. Wichtig ist hier, bei DTR, dass einmal mehr die Ur-Zellen der Bewegung (letztere im wörtlichen Sinne zu verstehen) – und das sind genau jene Beats und Riffs mit den Punk- und den Disco-/Techno-Wurzeln, mit neuer Technik neu konstruiert werden. Das funktioniert, überzeugt uns, wie reinen Wein eingeschänkt bekommen. Wenn dabei auch noch ein weiterer Rave-Slogan wie beim „Fly A Plane Into Me“-Remix herauskommt. Wenn „H4xX02“, obwohl es sich sehr sich sehr stilsicher in den Kosmos der besten Instrumental-Tanz-Musik-Alben integriert, gotteslästerlich noch trashige Kurzhörstücke in die Pausen feuert. Dann wurde hier ein Merksatz für alle Musikhistoriker vorgeformt, der in etwa einmal besagen wird, dass Audioliths grossartiger Sophismus unbedingt immer in einem Atemzug mit Der Tante Renate zu nennen ist. (Audiolith)
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