Die PnG-Kinowoche

Text: | Ressort: Film | 26. Januar 2012

The Artist
F 2011 / R: Michel Hazanavicius / D: Jean Dujardin, Bérénice Bejo

Das kontemporäre Kino ist vor allem Spektakel: Computereffekte steigern die Realität, die 3D-Technik sorgt für den passenden Budenzauber und der Rest ist Lärm und Remmidemmi. In diesen unseren Zeiten mit einem Stummfilm daher zu kommen grenzt fast an kommerziellen Suizid. Es gehört schon großer Mut, uneingeschränkte Liebe zum Medium und eine gehörige Portion Irrsinn dazu, ein Werk zu schaffen, das auf all diese Attribute verzichtet

Michel Hazanavicius ist so ein Wahnsinniger. Wieder einmal ist es ein Franzose, der das Kino rettet. Als er vor einigen Jahren mit der Idee ankam, einen Film zu drehen, der komplett auf die gängigen Elemente des Unterhaltungskinos verzichtet, kassierte er Lacher und ungläubiges Kopfschütteln. Mit den beiden „OSS 117“-Filmen bewies er dann, dass eine tiefe Verneigung vor der Geschichte des Mediums auch kommerziell funktionieren kann. Die charmanten Bond-Parodien legten zudem den Grundstein für die künstlerische Zusammenarbeit mit Jean Dujardin. Der begann als Stand-Up Comdian, bevor er sich als wandlungsfähiger Schauspieler mit der Hauptrolle in der Bestselleradaption „39,90“ etablierte.

Seine visuelle Komik ist wie geschaffen für Hazanavicius’ Vorhaben. „The Artist“ verzichtet komplett auf gesprochene Dialoge und erzählt seine große Liebesgeschichte ausschließlich mit Gestik und Mimik. Zur Seite steht Dujardin seine Partnerin „OSS 117“, Bérénice Bejo. Gemeinsam bilden sie das schönste Leinwandpaar, das die Lichtspielhäuser seit langer Zeit zum Leben erweckt haben.

Der schillernde Protagonist des Films ist George Valentin (Dujardin). Er ist der gefeierte Star der Stummfilmära. Eine Spur zu selbstherrlich und eitel in den Augen seines Produzenten (John Goodman), aber voll unwiderstehlichem Charme. Auch die aufstrebende Schauspielerin Peppy Miller (Bejo) kann sich dem nicht entziehen. Für einen Moment vergisst Valentin seine unglückliche Ehe und fühlt sich geschmeichelt von Peppys Bewunderung.

Alles verläuft nach Drehbuch, doch dann bricht der Tonfilm herein und damit das Ende von Valentins Karriere. Nicht Willens, sich dem Fortschritt zu unterwerfen versinkt er in Vergessenheit, während Peppy zum Star des neuen Hollywood aufsteigt.

Mit allen Mitteln des Kinos erzählt „The Artist“ eine bewegende Geschichte, des Verblassens einer Epoche und vom Niedergang der strahlenden Helden der Zwanziger, angelehnt an Ikonen wie John Barrymoore, Greta Garbo oder dem namensgebenden Rudolph Valentino. Eine außergewöhnliche Hommage an die Kindheitstage des Films, als das Kino von Murnau und Lang noch ganz Gefühl war. Komik, Leidenschaft und Tragik liegen ganz dicht beieinander und machen aus „The Artist“ richtig großes Kino. Trotz oder gerade wegen des Verzichts auf die Form des zeitgenössischen Films.

Untermalt wird dieses zelluloidgewordene Kunstwerk von Ludovic Bources mitreißendem Score. Der Wegbegleiter des Filmemachers erhielt hierfür jüngst den Golden Globe. Auch Dujardin war unter den insgesamt neun Nominierungen für den Film und sein Lächeln erschien noch strahlender, als er den Preis in den Händen hielt. Drücken wir dem Film die Oscardaumen und ein ähnliches überwältigendes Publikumsinteresse hierzulande wie in Frankreich, wo die Ode an unsere liebste Kunst zum Hit avancierte.

Drive
USA 2011 / R: Nicolas Winding Refn / D: Ryan Gosling, Carey Mulligan

Der Mann kann fahren: Driver (Ryan Gosling) ist ein Gott am Lenkrad. Wenn der Stuntman in belanglosen Actionsequenzen Autos zum Überschlagen bringt oder nachts den Fluchtwagen für Kleinkriminelle durch das Labyrinth der Straßen von Los Angeles steuert, gibt es keinen Zweiten, der kann, was er kann.
Bei Tageslicht ist er ein Buch mit sieben Siegeln – verschlossen, zurückhaltend, undurchdringlich. Seine Vergangenheit liegt im Dunkeln, seine Gegenwart verbringt er in der Werkstatt von Shannon (Bryan Cranston). Der erkennt das Potential des Jungen und sein gutes Herz. Er will ihn als Rennfahrer groß rausbringen, seine Geldgeber sind jedoch windige Gangster.
Dann ist da noch Irene (Carey Mulligan), die gleich nebenan wohnt und Driver verstohlene Blicke zuwirft, wenn sie sich im Aufzug begegnen. Sie fühlt sich ebenso zu ihm hingezogen wie ihr Sohn Benicio, um den sich Driver liebevoll kümmert. Als ihr Mann Standard (Oscar Isaac) aus dem Knast kommt, muss Driver seine Strategie ändern. Um Standard aus dem Dreck zu ziehen, lässt er sich auf einen gefährlichen Deal ein, der außer Kontrolle gerät.
Die Ruhe mit der Gosling den Einzelgänger verkörpert und die plötzliche Eruption brutaler Gewalt wirken in seiner schauspielerischen Wucht eindringlich. Sein Alter Ego erinnert ein wenig an Travis Bickle, den „Taxi Driver“, einem in die Ecke gedrängten, getrieben zum Unausweichlichen.
Allerdings ist der Schauplatz hier die Autostadt L.A., fernab des Glitters der Scheinwerfer. Es erinnert an die nächtlichen Straßen die Michael Mann („Collateral“) in Szene setzte. Gepaart mit einem einzigartige Stil, der mit den in rosa getünchten Lettern im Vorspann beginnt und sich mit der Synthesizer-Musik und den kunstvollen Slow-Motions formt, schuf Regisseur Nicolas Winding Refn einen blutigen Liebesthriller, ein außergewöhnliches Meisterwerk.

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