Die PnG-Kinowoche
Text: Redaktion | Ressort: Film | 26. März 2012Take Shelter
USA 2011 / R: Jeff Nichols / D: Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart etc.
Hirngespinst oder Wahrheit, Wahn oder Vision? Was ereignet sich von dem, was wir auf der Leinwand, mit unseren eigenen Augen sehen, wirklich? Was existiert nur im Kopf von Curtis LaForche? „Take Shelter“ lässt uns darüber lange im Dunkeln. Der Protagonist ist ein verschlossener, aber liebenswerter Familienvater. Doch seine Lebenssituation wächst ihm allmählich über den Kopf. Der Druck auf der Arbeit, die Zukunft der gehörlosen Tochter und die finanzielle Last, die auf seinen Schultern liegt, drohen ihn zu erdrücken. Zunächst sind es nur Albträume von mysteriösen Fremden und Nahestehenden, die es auf ihn und seine Tochter abgesehen haben. Als diese jedoch immer heftiger werden, strecken sie ihre knöchrigen Finger in die Wirklichkeit aus und Curtis beginnt sich zu verändern. Wem kann er trauen? Was geschieht mit ihm? Und was hat der ständig präsente Sturm in seinen Träumen damit zu tun? Curtis fängt an den Bunker im Garten auszubauen, begibt sich aber auch gleichzeitig in die Hände einer Psychologin. Ist ihm dasselbe Schicksal wie seiner Mutter bestimmt, die er seit dem zehnten Lebensjahr in verschiedenen Anstalten besucht?
Der Film des Amerikaners Jeff Nichols, dessen großartiges Debüt „Shotgun Stories“ nie die deutschen Kinos erreichte, wirft viele Fragen auf und verweigert sich einer Antwort. Das Spiel mit der Wahrnehmung und Interpretation des Zuschauers wird im Vergleich zu Psychokammerspielen wie Bill Pullmans „Dämonisch“ variiert durch das konstante Bewusstsein der Hauptfigur, dass hier irgendwas nicht dem entspricht, was man als „normal“ definiert. Michael Shannon, der bislang nur in Nebenrollen glänzen durfte, darf hier alle Register eines in die Ecke Gedrängten ziehen und das tut er glänzend als innerlich zerrissener Mensch mit guten Absichten. Ein beklemmendes Stück Kino mit absorbierender Atmosphäre.
Die Tribute von Panem – The Hunger Games
USA 2012 / R: Gary Ross / D: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Woody Harrelson etc.
Um es gleich vorweg zu sagen: ja, „The Hunger Games“, der in hiesigen Breiten dank des Bucherfolgs den ungelenken Titel „Die Tribute von Panem“ erhalten hat, ist wirklich so gut, wie alle schreiben! Wie es der 55jährige Amerikaner Gary Ross, der bislang eher durch solide, aber dezent seichte Kost wie „Pleasantville“ oder „Seadbiscuit“ auffiel, geschafft hat, nahezu alles richtig zu machen, sollte man sich schon selbst ansehen. Seine Adaption der dreiteiligen Jugendbuchreihe von Suzanne Collins entwirft ein dystopisches Szenario, das sich visuell irgendwo zwischen dem Pop-Art von „Das fünfte Element“ und der BBC-Adaption von „Die dreibeinigen Herrscher“ ansiedelt. Hinzu kommt eine Atmosphäre, die den Geist der perspektivlosen Science Fiction-Filme der Siebziger atmet. Wenn dann noch Donald Sutherland als Präsident Snow durchs Bild huscht, wirkt es gleich noch authentischer. Ross nimmt sich über eine Stunde Zeit, diese Welt zu beschreiben und die Opfer auf das unvermeidliche vorzubereiten und spart dabei nicht an ätzender Gesellschaftssatire, die vor allem Woody Harrelson als Mentor der Protagonisten versprühen darf – und mal ehrlich, wer könnte das besser?!
Wenn es dann in die Arena geht und das Metzeln beginnt, schafft es Ross überraschend gut, wenig und doch alles zu zeigen. Das Ableben der ersten Teilnehmer filmte er mit einer dermaßen verwackelten Handkamera, dass von dessen graphischer Gewalt viel genommen wird, aber dennoch die Intensität rüberkommt. So ist es fast überraschend, dass der Film als FSK 12 durchgewunken wurde und man möchte sich gar nicht vorstellen, wie das Ergebnis unter den Fittichen des Disney-Clans ausgesehen hätte.
Klar gibt es einige Zugeständnisse an das Massenpublikum und die etwas aufgesetzt wirkende Liebesgeschichte zählt wohl dazu. Allzu viele Fragen sollte man vielleicht nicht stellen, sonst schmeckt das Popcorn nicht mehr.
Der eigentliche Zähler, der „Hunger Games“ allerdings von sämtlichen Produktionen jenseits der 100 Millionen Dollarmarke abhebt, ist Jennifer Lawrence. Schon in „Winter’s Bone“ hat sie gezeigt, dass sie zum Überleben verdammt ist und in der Rolle der Einzelkämpferin Katniss Everdeen unterstreicht sie dies eindrucksvoll. Wir sind auf die Fortsetzung der Geschichte gespannt und ob sich – wie es sich derzeit abzeichnet – Kritik und Publikum ausnahmsweise an der Kinokasse treffen werden.
Wer weiß, wohin
Frankreich, Libanon 2011 / Regie: Nadine Labaki / D: Claude Baz Moussawbaa, Layla Hakim
Wie in ihrem Regiedebüt „Caramel“ rückt die libanesische Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Nadine Labaki auch in ihrem zweiten Film starke Frauen in den Fokus, die sich gegen die Männerwelt behaupten müssen. In diesem Fall greifen sie dafür zu wirklich ungewöhnlichen Mitteln.Schauplatz ist eine Siedlung inmitten eines fiktiven Staats, in dem Moslems und Christen nach einem langen Krieg friedlich zusammen leben. Die Ankunft des ersten Fernsehers wird mit einem Volksfest begangen. Doch als die Nachrichten Bilder erneuter Ausschreitungen zwischen den Glaubensrichtungen zeigen, versuchen die Frauen alles, um ihre Männer davon ablenken. Dazu heuern sie etwa eine Gruppe ukrainischer Table-Dance-Damen an und versuchen die Wogen mit selbstgebackenen Haschkeksen zu glätten.
Im chaotischen Geiste Emir Kusturicas zeigt Labaki das Dorfleben mit einem Augenzwinkern und reichlich Tempo. „Wer weiß, wohin“ ist eine kluge Parabel über den Zwist zwischen den Religionen, die doch vieles eint. Mit dem Herz am rechten Fleck ist der Film nicht immer realitätsnah, verfolgt aber hehre Ziele. Die leicht hysterische Note ist aber vielleicht nicht jedermanns Geschmack.