Die Pforten der Wahrnehmung
Text: Joshua | Ressort: Diary, Literatur | 23. Oktober 2012„Denn das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens, und ein Denker, der ohne Paradox ist, ist wie ein Liebhaber ohne Leidenschaft.“ (Kierkegaard)
Wir hören das Rauschen. Dieses stumpfe Flirren, das eindringt in alles und uns verstört und verletzt. Als würde man erahnen, dass man im selben Moment neben einem tosendem Kompressor in grobkörnigem Dösen liegt. Physiker schreiben, dass es nichts gibt, was man „Stille“ nennen könnte. Immer sind da Reste von thermischen Rauschen oder Quanten-Rauschen. So gesehen liefert die Wissenschaft keine Beruhigung.
Aber Leuten, deren Ansichten auf Misstrauen und Mathematik basieren, sollte man grundsätzlich nicht glauben.
Die Stille ist eine Auseinandersetzung. „Zurückwerfen“ ist dafür nicht der richtige Begriff, sondern ein „Ins-Bewusstsein-Treten“ von Ereignissen, die waren und die sich auf die Gegenwart auswirken, in der ich nachts im Zug sitze und gähne. Ich spüre den Schmerz nicht mehr akut, aber alles, was er hinterlassen hat. Furchen im Verstand. Meine Ma sagte mal, dass es schwieriger wird, wenn man älter ist. Man begegnet sich mit diesen Furchen, mit mehr Reibfläche, mit der Angst, nicht verstanden zu werden und nicht gefühlt. Man hat vielleicht durch Enttäuschungen sich selbst gefunden.
Und man möchte immer präziser erklären, um nicht falsch verstanden zu werden. Dabei geht nicht darum, zu erklären. Es geht darum, zu fühlen. Die Stille lässt sich vielleicht nicht messen und in Zahlen ausdrücken. Aber man kann sie spüren. Die Stille ist ein „Ins-Bewusstsein-Treten“, weil sie wie ein Erwachen ist.
Die Stille kann nicht durch Aktionismus täuschen. Ihr fehlen die Mittel. In der Stille kann man zeigen, aber nicht erklären. Man spürt und interpretiert nicht. Menschen, mit denen man Schweigen kann, sind selten. Menschen, die vertrauen können, sind selten. Das Einzige, was die Stille fordert, ist Vertrauen. Die Stille hat nichts zu tun mit den Komplikationen, die Worte verursachen. Die Stille bedeutet nicht Abwesenheit von Klang. Sondern das Annehmen des Rauschens.
Der Umweg der Verschleierung ist der große Kontrast zu den Pforten der Wahrnehmung. Komplizen sind Menschen, die keine Erklärung brauchen.
Illustrationen: Kati Szilagyi
Text: Joshua Groß