Die PnG-Kinotipps
Text: Lars | Ressort: Film | 19. November 2012Fraktus
D 2012 / R: Lars Jessen / D: Rocko Schamoni, Heinz Strunk
Sie waren die Pioniere der Elektronischen Musik und Begründer des Techno. Ihr Smashhit „Affe sucht Liebe“ machte sie Anfang der Achtziger im Westen der Republik bekannt. Doch Fraktus ließ sich nicht in ein Korsett zwängen und experimentierte stattdessen mit Umweltgeräuschen und selbstgebauten Instrumenten wie der Staubsaugerorgel. Zur Mitte des Jahrzehnts hin, dessen Musik sie maßgeblich prägten, wurde es ruhig, nein, totenstill um die drei Nordlichter. Was ist aus ihnen geworden? Ein unerschrockener Dokumentarfilmer begibt sich auf ihre Spuren, die von Brunsbüttel bis nach Ibiza reichen. Wird er die eigenwilligen Künstler wieder zusammen bringen und will das heute überhaupt noch jemand hören?
Studio Braun präsentiert die Reunion des Jahres und setzt Bernd Wand, Dirk Eberhard („Dickie“) Schubert und Meinhard Gnom ein längst überfälliges Denkmal. Angereichert mit persönlichen Erinnerungen von Gaststars wie Jan Delay, HP Baxter (Scooter), Stephan Remmler und Peter Illmann (Formel Eins) erleben wir eine Zeitreise in ein vergessenes Kapitel der Musikgeschichte und werden Zeugen eines spektakulären, realsatirischen Comebacks.
Oh Boy
R: Jan Ole Gerster; D: Tom Schilling, Friederike Kempter
Oh Niko – ein Film wie ein einziges Seufzen. Was soll man auch machen in einer Millionenstadt wie Berlin, wenn man die Menschen nicht mehr versteht? Irrsinn und Unsinn im Alltag bringen Niko zur Verzweiflung. Er scheitert sogar daran, sich einen ganz normalen Kaffee zu beschaffen. Der muss in der Hauptstadt immer gleich „to go“ und „arabica“ und zudem hundsteuer sein. Überall sind Schauspieler, die es zu irgendwas bringen wollen. Jeder trägt seine eigenen Probleme mit sich rum und nach außen. Die Welt soll teilhaben. Na schönen Dank.
In nüchternem Schwarz-Weiß erzählt Jan Ole Gerster seine Großstadtballade. Das angenehm unprätentiöse Debüt ist durchzogen von einer wunderbaren Tragikomik. Tom Schilling ist überragend, auch wenn er mehr reagiert als agiert, wenn ihm sein Vater (Ulrich Noethen) eine Standpauke beim Golf hält, ihn eine frühere Klassenkameradin (Friederike Kempter) versucht zu verführen oder ein Alki (Michael Gwisdek) von seinen Erinnerungen erzählt. Episodenhaft reiht sich Geschichte an Geschichte und trotzdem – am Ende, wenn die Sonne über den menschenleeren Straßen der Stadt aufgeht, ergibt alles irgendwie einen Sinn.
Lore
D/AUS/GB 2012 / R: Cate Shortland / D: Saskia Rosendahl, Kai Malina
Etwas stimmt nicht in Lores Welt. Die 15jährige ist unerschütterlich im Glauben an Führer, Volk und Vaterland. Ihr Vater ist ein ranghoher Offizier in Hitlers Regiment. Die Familie ist wohlhabend. Doch das Bild erhält Risse, als die Mutter packt. Der Krieg ist verloren, der Führer ist tot. Ihre Mutter will sich den Alliierten stellen und lässt die Kinder allein zurück. Nun ist Lore das Familienoberhaupt und muss ihre vier Geschwister, das Jüngste gerade mal ein Jahr alt, aus dem Süden Deutschlands zur Oma an die Ostsee bringen. Zu Fuß machen sich sie sich auf den von Hunger und Kälte geprägten Weg durch ein zerstörtes Land.
Vor acht Jahren legte die Australierin Cate Shortland mit „Somersault“, der Wandlung eines Mädchens zur Frau, ein beeindruckend kunstvolles Spielfilmdebüt vor. Erst die Lektüre des Tatsachenromans „Die dunkle Kammer“ von Rachel Seiffert bewog sie dazu, zum Kino zurück zu kehren. Die Unmittelbarkeit, mit der Seiffert ihre Geschichte erzählt wird von Shortland in unbequemen Nahaufnahmen eingefangen. Erbarmungslos und ohne Rückzug für die Protagonisten fängt sie die Schrecken im Nachkriegsdeutschland ein. Ihr Film, der erstmals die Ereignisse aus der Sicht einer Überzeugungstäterin zeigt, erinnert ein wenig an die Werke Michael Hanekes. Dessen stilistisch cleanes Dokument „Das weiße Band“ kontert Shortland mit dem Dreck und der hässlichen Fratze einer unmenschlichen Zeit, in der jeder sich selbst der nächste war.