In Echt
The Schwarzenbach – Farnschiffe

Text: | Ressort: Musik | 6. Januar 2013

Am Beispiel des The Schwarzenbach-Debuts „Farnschiffe“ wird sehr schön deutlich, was unzählige Pop-Bands für unglaublich tolle Leistungen erbringen. Das vergisst du manchmal und glaubst, ach die Kritiker, die singen in Gedanken doch viel besser. Fortsetzung der Reihe Popwriters sing about Popsingers: Dietmar Dath tritt erneut den Beweis an, dass Kritiker – hinter ihrem Laptop verschanzt – nicht immer nur idealsten Pop postulieren, sondern ganz praktisch ein Beispiel geben können. Seine Minimalforderung dabei scheint zu sein, dass jene – wenn schon nicht genial die Sau raus, und wenn auch nicht schamlos exzentrisch – wenigstens schonungslos ehrlich die Hosen runter lassen müssten, um solch eine gewagte Unternehmung möglichst souverän über die Bühne zu bringen. „Und du – du wärst so gern frei. Aber, dann sprich doch bitte nich‘ – wie die Polizei“ („Nein Sprich Nein Sklave“). Diesmal noch eloquenter dem Songformat huldigend, das Spoken-Words-Ding fast komplett ins Rudimentäre verbannend, stellt sich Dietmar Dath dem klassischen Pop-Format. In dieser Rolle wollte er sich sehen; darin wollte ich ihn vielleicht nicht unbedingt sehen. Nun sag nicht, dass es nicht trotzdem folgerichtig wäre, wenn sich hier verkettet, was sonst eher selten überhaupt eine Bindungsneigung zeigt: tief dekolletierter Wohnzimmer-Free-Jazz schmiegt sich an keuschen sozialkritischen Pop-Literaten. Mich berührt das ungefähr so, wie eine Wiederveröffentlichung von Hölderlin auf dem Ohr-Label. Als Geste durchaus zart, betatscht es mich als Gesamtkunstwerk etwas peinlich. Und so möchte ich mich dieser wirklich ergreifenden und sicher nett gemeinten Geste strikt entziehen. Fühle mich wie ein begossener Pudel, der sich despektierlich inmitten der geschätzten Peergroup trocken schüttelt. Anerkennung für den Mut und die Hingabe allemal! Das Experiment muss als solches wahrgenommen werden. Nicht alle Hans-Christoph Blumenbergs schaffen tatsächlich den Sprung zum Godard. Wenn ein stimmungsvoller Tatort am Ende rauskommt ist dies durchaus ein Achtungserfolg. Wenn „Farnschiffe“ verschämt als „musikalisch anspruchsvoll“ (Rolling-Stone.de) charakterisiert wird, weil ein landläufig bekannter, und in breiten – längst nicht mehr nur in linken – Kreisen durchaus anerkannter Pop-Schriftsteller singt, habe ich den Eindruck, da soll ein Unbehagen verschleiert werden darüber, dass ein Bauchgefühl gerade das Gegenteil raunte, nämlich: „Öder Anspruchspop“.  Falls man Dietmar Dath und dem Kammerflimmer Kollektief tatsächlich – neben dem Dank für den exklusiven Stream etwa – etwas schuldet, dann eine Kritik, die der Nacktheit, der Aufrichtigkeit dieser Produktion gerecht wird. Ich nehme das The Schwarzenbach gerne ab, dass sie wirklich gerungen haben mit sich und dem Material. Dietmar Dath, in seiner Pop-Singer-Rolle, scheint hier nicht aus einer Bierlaune heraus experimentiert zu haben. Die Band hat sich auf seine Person vollends eingelassen – hochkonzentriert – und auf inhaltliche Bezüge bis hin zu geringfügigen Details reagierend. Ob das Ergebnis gelungen ist, dies steht zur Debatte. The Schwarzenbach jedenfalls suchen – auch mit der Entscheidung, das Album vorab im Stream auf Rolling-Stone.de zu veröffentlichen – kontrovers die Auseinandersetzung. Und feuern die Kritik auf ihrer Webseite selbst weiter an. Unter „was die Presse sagt“ steht dort zum Beispiel: „»Über diese Platte muss noch mehr geschrieben werden.« Dr. Christoph Jacke, De:Bug“.  Hat Dr. Media das ironisch gemeint? Ich weiß zwar nicht von wann dieses Zitat stammt, eine Forderung nach noch mehr Lobhudelei unterstütze ich ausdrücklich nicht.

Ob, statt Dietmar Dath Dietmar singt, oder aber einfach nur Dath agiert. Das ist einmal sehr nahe, sehr berührend. Im nächsten Augenblick ist es nüchtern, abstrakt, gezirkelt. Beim Kammerflimmer Kollektief darfst du ausdrücklich bei Konzerten einschlafen oder zur Bar gehen – denn dies ist teilweise als Konzept angelegt und im Rahmen einer Meta-Rezeption von Pop, einem Kernbereich jener Interaktionsfelder, die das Kammerflimmer Kollektief bespielt, sinnvoll, erkenntniserweiternd. Wie dies ja auch im Band-Name bereits anklingt, den ich immer als ironische Korrektur von allzuviel Massenseeligkeit und Herzschmerz gelesen habe. Dennoch will ich keinen Hehl daraus machen, dass mir dieses nüchtern-abstrakt-beschwingte Anti-Pop-Gebahren aus der Erkenntnis-Lounge etwas abgeht. Zumindest fand ich diesen Theater-Sport bisher nie annähernd so unterhaltsam wie Adolf Noise oder Animal Collective. Pseudoradikale Ambient-Großmeister wie Michael Mantler samt seinen Epigonen habe ich ebenfalls aus meinem Archiv verbannt. Am erträglichsten für mich klingen das Kammerflimmer Kollektief und Dietmar Dath – zusammen also: The Schwarzenbach (benannt nach der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, wie ein nicht weiter belegtes Portrait-Photo der Autorin auf der Bandwebseite kryptisch nahelegt) -, wenn Dietmars Stimme effektvoll verfremdet wird und die Arrangements wild ins Kraut schießen, wie etwa beim Titel „Streitkräfte aus Zimt“, der erfreulich in Richtung Ja König Ja tendiert. Prosaist und Lyriker. Diese beiden Pole werden auf „Farnschiffe“ sehr greifbar, auch sehr angreifbar zelebriert. Gerade im Vergleich zu Sängern, die sprechen – oder hin und wieder einmal sprechen -, fällt auf, dass Dath das Auratische und das Charismatische völlig abgehen. Gut, das steht schon im Einklang mit der Herangehensweise des Kammerflimmer Kollektiefs, sich dem allzu Erbaulichen, Transzendenten niemals völlig hinzugeben. Darauf muss man sich als Rezipient einstellen können, auf Inhalte, Botschaften, die sich immer wieder aus dem Zuckerguss heraus metallisch, kühl, real und unromantisch zu Wort melden. Bei aller Anti-Emo-Emo-Show ist Dietmar Dath niemals ein Zyniker, niemals NUR Satiriker oder NUR Melancholiker. Jedoch lassen die Anlehnungen an große Sprech-Gesangs-Vorbilder – und die Palette wird dick aufgetragen: von Jim Morrison („Castingflirt“) zu Jochen Distelmeyer („Positive Außenhandelsbilanz“) über Lou Reed und Kurt Wagner („Seven Shades Of Blue“) bis Max Goldt („Therapeutikon“), zu denen Dath ins Boot springt, –  dessen Ausdruck vergleichsweise unbeholfen und hölzern erscheinen. Auch, wenn die Absicht dahinter, eine listig-ironische Brechung von Pop – bis kurz vor der perfekten Persiflage – durchscheint und damit alle Experimente zu rechtfertigen trachtet. Letztlich jedoch schmerzt es nicht, es zwickt nicht, es juckt nicht einmal. Und das, obwohl die Contents theoretisch jeweils genau jene politische Sprengkraft und Virulenz haben, die man ansonsten im Songformat allzu selten vorfindet. Praktisch setzen The Schwarzenbach das Mögliche, das ihnen Zufallende nicht minimal toll um, sondern versuchen im Laufe des Albums immer noch einen drauf zu satteln, suchen die Variation, die große transzendentale Camouflage-Show. Naiven Anfängern nähme man es vielleicht ab, wenn sie sich selbst aufs Glatteis führten und wilde Pirouetten versuchten. Den hier agierenden, abgekochten Diskurs-Profis fehlen aber leider genau diese Unbekümmertheit und Unschuld. Hey!, möchte ich rufen, jetzt legt aber der Gerechtigkeit halber auch die (aktuellen) Einstürzenden Neubauten oder Witthüser & Westrupp auf – damit klar wird, dass auch Bauchgefühl und Haltung für sich genommen schon hohe Tugenden sein können. Politischer Krautrock fällt mir dazu ein – wie schon die oben erwähnten Hölderlin. Das ist, ebenso wie The Schwarzenbach – überwiegend sehr ambitioniertes Zeug gewesen, welches aber leider oft abglitt in sowas Ähnliches wie Socialist-Ambient. Dieses Genre brachte, neben tollen Robert Wyatt-Platten, eben auch Songs wie Floh De Colognes „Fließbandbaby“ oder Gruppen wie Lokomotive Kreuzberg hervor. Alles gut gemeint, bestimmt. Dennoch möchte man auch heute manchmal dazu lieber nichts mehr sagen müssen, oder rufen: „Nikel Pallat, bitte die Axt!“ . Workshop oder NILG haben dennoch den Anschluss an diese Epoche gesucht und teils auch überzeugend gefunden. The Schwarzenbach sind nach diesem Stammbaum keine befriedigenden Nachfolger. The Schwarzenbach sind jedenfalls weder eine Popgruppe im physischen, noch im metaphysischen Sinne, das heißt, weder im Sinne von zeitgemäßer, radikaler, körperlicher Stimmungs-Musik – noch im Sinne von politischer Volksmusik für Auszubildende. The Schwarzenbach sind bestenfalls die Adult-Version der Biedermeier-Beatniks Ja, Panik. Sie handeln nur FAST so wie Popmusiker, werkeln aber in Wirklichkeit irgendwie nur eklektizistisch mit dem Phänomen Popmusik herum – scheinen – wenn überhaupt – nur einen irgendwie (schön-) geistigen, abstrakten Zugang zu finden. Wenn dies wiederholt gesagt ist, wenn’s geglaubt wird – so wie man andersrum an echte Pop-Empathie und Aura glauben mag – dann kann man den Rest unter: Prosa mit Spaß am pathetischen Pop-Gross-Karaoke verorten. Alles ist erlaubt, vieles ist Hommage, nichts aber echter Soul oder Blues. Dafür alles realistisch fundiert und mit Köpfchen erschaffen, mit so wenig dathschem Utopie-SciFi-Kakao überzogen als möglich. Und dies ist tatsächlich eine neue Facette in Daths facettenreichem Œuvre. Als Performance mit Begleitband kannst du dieses Event also getrost buchen. Dath liefert – und nun sind wir doch wieder beim irrationalen Pop-Vokabular – das Emotionalste ab, was ich von ihm bisher gehört habe – und wenn er singt, die Gravitationslinie überschreitet, dann wirkt er an diesen – leider den rarsten – Stellen ganz bei sich, ganz herzlich, auch herrlich peinlich, alles in allem ziemlich … ähem, echt. Überhaupt ist das mittlerweile zweite Album von Dietmar Dath und dem Kammerflimmer Kollektief eben kein Dietmar-Dath-Und-Das-Kammerflimmer-Kollektief-Album. Zu Recht trägt die Band einen neuen schicken Namen – bleibt dabei aber anspruchsmäßig einigermaßen auf dem Teppich. Ihre Musik und Themen sind sicherlich als Summe bescheidener, als das was Möchtegern-Hipster daraus zu destillieren vermögen. „Farnschiffe“ ist zwar spürbar ambitionierter, spürbar emotionaler als das erste Album (Dietmar Dath & Kammerflimmer Kollektiv: „Im erwachten Garten“, Staubgold 2009) oder andere musikalisch begleitete Lesungen, wie etwa Daths Aufnahmen mit Mouse On Mars. Dem Kammerflimmer Kollektief wird hier auch deutlich mehr Pop abgefordert als Ambient-Experiment gestattet. All das macht das Album recht heterogen, aber zugleich auch sehr fragil. Am Ende fliegt es zwar nicht ganz auseinander, bleibt aber ein überladenes Gerüst, ein schwankendes Konstrukt – eher ein katarrhalisches Potpourri mit vieldeutig-ironischem Zuckerwerk, statt des wohl angestrebten leichtfüßigen Realitätsabgleichs unter gefühlsbetontem Ausschöpfen der persönlichen Bezugnahme.

Joerg

Zick Zack/What’s So Funny About (2012)

„Castingflirt“:

http://soundcloud.com/theschwarzenbach/09-castingflirt

„Nein Sprich Nein Sklave“:

http://soundcloud.com/theschwarzenbach/02-nein-sprich-nein-sklave

„Therapeutikon“:

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