Ein Jahr: Was 2012 mit mir machte

Text: | Ressort: Allgemein, Diary, Media, Musik | 11. Januar 2013

Musik ist nicht alles, aber ohne Musik ist alles nichts. Klingt prima. Meint nix – nein, halt, das stimmt nicht. Musik spielt längst nicht mehr jene prägende Rolle in Sachen, ähem, Jugendkultur wie in den Zeiten, die ich mich schön hüte die „guten alten“ zu nennen. Denn auch wenn sich kaum noch jemand ernsthaft via Musik sozialisieren lässt – so mit Szene und so – die Beteiligten scheint dies nicht zu interessieren. Pop ist tot, aber er klingt verdammt gut. Die Fortsetzung 2012: Ja, ich habe Simon Reynolds‘ Buch gelesen und finde eine Menge von dem Gesagten bemerkens- und bedenkenswert, aber trotzdem hat es unglaublich viel Spaß gemacht, im vergangenen Jahr Bands, Projekten, Menschen zuzuhören. Ein paar jener Dinge und Erscheinungen, die mir da über den Weg gelaufen sind, möchte ich mal in launiger Form und lockerer Reihenfolge vorstellen – zum Auftakt mit HipHop Mixtapes und Angel Haze, mit Coverversionen und Die Nerven, mit Hype-Traps und TNGHT und mit dem Label Profound Lore und Bell Witch.

Free HipHop Mixtapes

Angel Haze – Reservation

Verrückt, wie sich die Zeiten ändern. Gerade mal im Internet gestöbert und ein Interview mit den Herren Patrick Wagner und Richard Stadlober entdeckt, in dem sich letzterer wie folgt äußerte: „Ich beobachte, dass die Leute offensichtlich viel Geld zahlen wollen, um große Konzerte zu sehen – aber bei kleinen Gigs für vier Euro denken sie: Oh, das ist so billig, das kann nicht gut sein. Die brauchen einfach Musik, um dazu im Park zu joggen.“ (Tagesspiegel, 8. Oktober 2008). Die Quintessenz des Gedankens: Billig gleich mies – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Was vermutlich schon damals nicht stimmte und 2012 gleich gar nicht mehr zu halten ist. Free Downloads rulen derzeit aber mal so etwas von okay. Und dies gerade im Genre HipHop, dem ja gerne mal reine Gewinnorientiertheit, pure Kommerzialität und auch ansonsten generelle Abzocke unterstellt wird. Wer sich hingegen beispielsweise auf DatPiff.com tummelt oder bei djbooth.com unterwegs ist, kontert gekonnt mit einem simplen „Pfff.“. Ihr Null-Checker. Death Grips, Rick Ross, Le1f, Action Bronson, Future, Sasha Go Hard, SpaceGhostPurrp oder eben Angel Haze – von all diesen Leuten finden sich freie Mixtapes, die der Qualität, ähem, regulärer Veröffentlichungen in keinster Weise nachstehen. Die auch hier ausgeprägte Rezeption etwa von Angel Haze aka Raykeea Wilson zeigt, dass sich dies längt herumgesprochen hat. Erfreulicherweise: Die Veröffentlichungen „Reservation“ und „Classick“ lohnen sowohl musikalisch als auch inhaltlich eben diese Auseinandersetzung. Das ist ganz großer Sport. 100 Prozent Respect. Und auf einen Knaller wie „New York“ habe ich gerade noch gewartet.

Coverversion

Die Nerven – Fluidum (This Charming Man)

Mist, Mist, Mist. Schon wieder so ein Hype, bei dem man mit muss. Vice und Intro, oh Mann. Herrje, die werden sogar vom Rolling Stone geliebt. Uncooler als in das gleiche Horn stoßen geht ja eigentlich gar nicht. Grrrr. Das große Schaudern. Immerhin – die Damen und Herren vom Spex fühlen sich abgestoßen, das ist ja schon mal ein gutes Zeichen. Vor allem, weil man sich dort aus genau den richtigen Gründen abgestoßen fühlt: Zum stumpf, zu redundant, zu knusprig. Aber Die Nerven sind geil. Punkt. „Fluidum“ ist genau jenes bockige, knurrige, noisige, missgestimmte, kompromisslose Stück Musik, das mir zum Jahresende noch gefehlt hat. Gebürstet auf Krawall, auf Krawall mit allem und jeden und am liebsten mit sich selbst. Der ewige Kampf zwischen Selbstzerstörung und –verliebtheit. Geil. „Ich wünschte, mein Körper wäre ein Schrapnell.“ Geil. Und dann haben sie mit ihrer offenkundig absolut vollkommen ironiefreien Coverversion von „Summertime Sadness“ in diesem Sommer auch noch allen Nerd-Arschlöchern einen satten Tritt in die Nüsse verpasst, die Anfang 2012 sich beim Thema Lana del Rey sabbernd einen abpinselten vor Glückseligkeit, aber inzwischen ob ihres teilweise schwer erträglichen Hype-Gekreisches still beschämt sind und deshalb inzwischen dissen, was das Zeug hält. Erfolglos freilich. Fuck off! Und „Küss mich hart, bevor du gehst“! PS: Wir sehen uns am 21. Januar in der Wärmehalle Süd!

The Hype Stories: Trap

TNGHT – TNGHT EP (Warp)

Gibt es eigentlich noch Hypes? Lassen sich noch Säue durch’s musikalische Dorf treiben auf der Spur von Ruhm, Ehre und Geld? Gewisse Zweifel daran, ob sich wirklich noch so etwas wie ein Hype mit etwas mehr an Halbwertszeit anzetteln lässt, sind durchaus angebracht. Nun ja, zumindest an Versuchen mangelte es auch 2012 nicht. Da wäre Trap zum Beispiel. Wobei die ganze Geschichte genau genommen durchaus ein bißchen älter ist bzw. sich die Beteiligten nicht so recht auf eine einigermaßen nachvollziehbare Definition einigen können. In diversen Foren geistern gar Purity Ring als Trap herum – höhöhö. Die Herrschaft der Planlosen. Aber herrje, wer will schon haarspalterisch sein? Es geht doch um das neue fette Ding! Hmm, wobei es ja eben genau genommen um das alte fette Ding geht (wenn man‘s halbwegs genau nimmt und auf T.I.s „Trap Muzik“ von 2003 runterbricht). Immerhin: Richtig hübsch anzuhören ist das Ganze ja schon, wenn die richtigen Leute Hand anlegen. Wie etwa im Falle TNGHT, was heißt Hudson Mohawke und Lucine: Die haben mit einer simplen Fünf-Track-EP die Szene aber mal so etwas von aufgemischt, dass man aber mal so etwas von spitz auf die Fortsetzung 2013 ist. Einigen wir uns also einfach auf den Bass, auf die Beats und auf das muntere Gepitche. Der Rest – ergo der Spaß – kommt dann von ganz allein. Lang lebe die Bassmusik!

Profound Lore – das Metal-Label

Bell Witch – Longing (Profound Lore)

Es gibt Plattenlabels, bei denen ich gar nicht mehr nachdenken muss. Bei denen es nicht um die Frage geht, ob ich diese oder jene Veröffentlichung vielleicht zur Erwerbung in Erwägung ziehen sollte. Könnte. Bei denen geht es lediglich um die Frage, ob ich mir einen Meilenstein einfange oder „nur“ eine sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr gute Platte. Blindkauf-Label nenne ich so etwas. Gute alte Bekannte wie Thrill Jockey, Kompakt oder SubPop nehme ich mit, wenn sie mir über den Weg laufen – schön, dass es in dieser Sparte endlich mal wieder einen Neuzugang gibt. DAS Metal-Label. Also: Wo Profound Lore draufsteht, kaufen! Mitnehmen! Alles! Ich wiederhole: Absolut alles! Mannometer, das Jahr 2011 war schon ein Knaller, aber das geht ja munter so weiter – Pallbearer und Evoken, Menace Ruine und Bosse-De-Nage, Ash Borer und Atriarch oder eben Bell Witch, die mit „Longing“ nochmal einen verdammt klassischen Schlepp-Entwurf hingeknallt haben. Doom, Leute, Doom! Was war das doch für ein affengeiles Doom-Jahr, dieses 2012. Selten hat es so viel Spaß gemacht, sich im absoluten Downtempo durch das Leben zu schleppen. Und wieviel davon an Freude habe ich Profound Lore zu verdanken! Thanks, Boys! Thanks!

So, in der nächsten Runde folgt der Rückblick auf das Krautige im Jahr 2012, auf ein spezielles Comeback, auf Grenzüberschreitungen im Metal und auf die moderne Dancefloor-Pest namens EDM. Rock on!

Fotos: P. Nguyen (Angel Haze)/Bandpage (Die Nerven/Bell Witch)

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