Reise niemals mit einem toten Mann

Text: | Ressort: Literatur | 18. Januar 2013

Manche Geschichten sind zu gut, um nicht erzählt zu werden, dachte Rudolph „Rudy“ Wurlitzer wohl, als er beschloss, sich nun in Romanform eines Stoffes anzunehmen, den er fast dreißig Jahre zuvor bereits als Drehbuchversion erfolglos an den Mann zu bringen versucht hatte. Wurlitzer erwarb sich bereits in den 60er-Jahren mit drogeninduzierten, experimentellen Romanen wie „Nog“ den Ruf eines Kultautors (so gehört etwa Thomas Pynchon zu seinen Fans), bis er schließlich Anfang der Siebziger dem Ruf Hollywoods folgte und von da an Drehbücher für Regiegrößen wie Volker Schlöndorff, Monte Hellmann oder Sam Peckinpah schrieb. Letzterer war es auch, der „Zebulon“ ursprünglich verfilmen sollte, aber nach dessen Tod wanderte das Skript durch die Schubladen Hollywoods, und erblickte von da an nie wieder das Tageslicht. Bis sich Wurlitzer entschloss, seinen metaphysischen Western doch noch zu erzählen.

Zebulon Shook ist ein Mountain Man, einer jener legendären Gestalten, die jenseits der erschlossenen Grenzen ein karges und entbehrungsreiches Leben in der Wildnis fristen, und nur im Frühling von den Bergen hinab kommen, wenn sie ihre Pelze verkaufen, um den Gewinn danach umgehend wieder zu verjubeln, beim Kartenspiel, für Whisky, für Huren. Nach einer Schießerei in einer heruntergekommenen Cantina wacht Zebulon eines Morgens in einem Graben auf, womöglich wurde er von einer Kugel in die Brust getroffen, womöglich auch nicht, vielleicht ist er schon tot, vielleicht auch nicht, vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.

Er war nicht tot. Nicht, dass es so schlimm gewesen wäre tot zu sein, so wie es in letzter Zeit gelaufen war.

Zebulon macht sich also wieder auf den Weg, durch ein Amerika, in dem die weißen Flecken auf der Landkarte immer weniger werden, Fortschritt und Gesetz langsam eintreffen, und doch Rücksichtslosigkeit und hemmungslose Gier alles und jeden regieren. Er trifft dabei seine alternde Mutter, einen Reporter, der ihn zum Revolverhelden stilisiert und ein halbes Dutzend weiterer obskurer Gestalten, und immer wieder Hatchet Jack, seinen von Indianern abstammenden Halbruder, sowie Delilah, eine exotische Schönheit, die auf ihre eigene Weise wie er ziellos zwischen den Welten zu wandeln scheint.

Jim Jarmusch soll sich für seinen großartige Westernballade „Dead Man“ ausgiebig bei „Zebulon“ bedient haben, und in der Tat ähneln sich die Geschichten von Zebulon Shook und William Blake, dem von Johnny Depp gespielten Antihelden aus „Dead Man“ durchaus: Beide irren wie Geister orientierungslos durch eine einstürzende alte Welt, die von der Moderne überrollt wird, beide sind sie Mörder, die im Laufe der Handlung zu Legenden werden, beide sind sie am Ende dem Tod geweiht. Doch wo „Dead Man“ kontemplative Kafka-Variation im Wilden Westen und mystischer Totentanz zugleich ist, und so tatsächlich eine Art psychedelischen Western darstellt, bleibt „Zebulon“ erst einmal ganz der Abenteuer- und Westernliteratur verpflichtet. Wurlitzer schickt seinen Helden auf ein lange Reise, zu Schiff, zu Pferd, zu Fuß, durch den Dschungel, durch die Steppe, durch Schneelandschaften, Berge und Wüsten; Mexiko, Kalifornien, New Mexico, Florida, Panama – dabei trifft er immer wieder dieselben seltsamen Zeitgenossen, schießt, wird selbst angeschossen, flieht, entkommt, kommt an, schießt erneut. Und wacht mehr als einmal auf, ohne zu wissen, ob er tot oder lebendig ist.

Der Westen, den Zebulon dabei durchkämmt, ist angemessen dreckig, verrucht und denkbar weit Weg von seinem romantisiertem Mythos; die Figuren, die darin auftauchen scheinen allesamt von Gier zerfressene Hochstapler, Falschspieler, Glückritter und Pferdediebe zu sein – eine Schilderung wie sie seit New Hollywood, den Spaghetti-Western, Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ und spätestens der HBO-Serie „Deadwood“ als Voraussetzung gelten darf. Wurlitzer fügt dem nichts hinzu, auf den nächsten Schritt, die Pervertierung des Genres, wie ihn etwa Cormac McCarthy in seiner verstörenden, mittlerweile zum Klassiker avancierten Westernapokalypse „Die Abendröte im Westen“ konsequent zu Ende geht, verzichtet „Zebulon“. Es ist auch nicht anzunehmen, dass Wurlitzer dergleichen im Sinn hatte.

Sind Sie tot, Mister, oder sind Sie ein Geist?“

Zebulons Geschichte liest sich stattdessen eine Zeit lang eher wie eine altmodische Abenteuergeschichte, denn als „Schelmenroman“, oder Western, dem man das Attribut psychedelisch verleihen könnte, wie es der deutsche Klappentext suggeriert – sicher, hin- und wieder wartet sie mit ein wenig mystischem Mummenschanz auf, lässt ihren Helden an bizarren Ritualen teilnehmen, deren statische, immer im Beschreibenden verharrende Schilderung den Leser allerdings nur Beobachter sein und nie nahe genug an das Geschehen herankommen lässt. Auch Zebulons desolater Zustand bleibt anfangs nur Behauptung, findet Wurlitzer doch keine ausgefeilte sprachliche Entsprechung für das, was Jim Jarmusch in „Dead Man“ mittels Schwarz-Weiß-Aufnahmen und der hypnotischen Musik Neil Youngs zu kreieren vermag – viel zu oft heißt es schlicht nur, Zebulon fühle sich wie ein Geist, und mehr nicht. Allgemein fällt die Diskrepanz zwischen den wunderbar lakonischen, mystisch-existenzialistischen Dialogen und den im Vergleich eher kraftlosen, einfachen Beschreibungen des Restgeschehens auf, ein Verweis, dass Wurlitzer womöglich als Drehbuchautor doch weit besser ist denn als Romancier.

Doch je länger die Handlung voranschreitet, je öfter und unverhoffter Zebulon auf seine immer wiederkehrenden Gefährten Hatchet Jack und Delilah trifft, wobei man als Leser nie recht weiß, ob sie sich gegenseitig helfen oder einander im nächsten Moment erschießen werden, desto mehr entwickelt Wurlitzers Roman einen unbändigen, surrealen Sog. Vor allem im Schlussdrittel, als das Trio zusammen mit einer Calamity Jane-artigen Gestalt namens „Large Marge“ vor der Rache eines psychotischen Gefängnisdirektors flüchtet und sich mehr und mehr in der Wildnis verliert, franst der Roman doch noch ins geisterhafte, metaphysische aus, und der Bezug zur Realität geht zunehmend verloren – war es in Wirklichkeit Hatchet Jack, der damals auf Zebulon geschossen hat, war es gar Delilah? Ist der Tote, neben dem er an jenem Morgen aufgewacht ist, Hatchet Jack? Haben sie die Cantina überhaupt jemals lebend verlassen? Traum und Wirklichkeit verschwimmen, aber am Ende scheint das alles von geringer Bedeutung, die Reise geht weiter, in welcher Welt auch immer.

Komm näher, heulten der Wind und der Regen, komm näher an das Reich, in dem Leben und Tod dasselbe sind.

Zweifelsohne wäre „Zebulon“ in den Händen des richtigen Regisseurs ein denkwürdiger Film geworden, weil Wurlitzers schwarz-humoriges Werk mit seiner cineastischen Prägung über die gesamte Distanz immer mehr Film als Literatur ist – und doch reicht es nicht, als Ersatz lediglich noch einmal „Dead Man“ zu schauen. Zebulons letzte Reise ist ihr ganz eigener Totentanz.

Rudolph Wurlitzer: Zebulon

Residenz-Verlag (ISBN: 9783701715961)

22,90,- Euro

Eine Leseprobe gibt es hier…

http://www.residenzverlag.at/?m=30&o=2&id_title=1538

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