In Zeiten der hängenden Teebeutel

Text: | Ressort: Literatur | 13. März 2013

Raul Werno’s wunderbarer Debütroman „Elektroluchs“ (Berlin, 2012) hat einen der tollsten ersten Absätze der jüngeren deutschen Literaturgeschichte: „Zwei dubiose Gestalten näherten sich durch die nächtlichen Ausdünstungen eines Gullydeckels. Teebeutelanhänger hingen an Schnüren aus ihren Hosentaschen. Ein wonniger Gleichmut offenbarte sich dem empfänglichen Betrachter. Katzenhaare fielen durch die gleichmäßigen Lichtkegel der Straßenlampen.“
Immer öfter begegnet man Leuten, denen Teebeutelanhänger aus den Taschen hängen. Was hat es damit auf sich? Liest man sich durch neuere Fachzeitschriften, bekommt man den Eindruck, dass dieses Phänomen auf seltsame Verwunderung stößt. Es ist allerdings eine Verwunderung, der eine vorsichtige Sicherheit innewohnt: Im sog. „Teebeutel-Movement“ vereinen sich ein generöser Anspruch und eine stilsichere Ausführung zu leckeren Bitterstoffen, die sich in der Gegenwart verbreiten. Prof. Dr. Bernhard Kügle (Mannheim, 2011) schreibt: „Das markante und provokante Zurschaustellen von Teebeutelanhängern an Teebeutelschnüren ist ein Akt der Erhabenheit.“ In der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Tee-Diskurs“ (Ausgabe 1/2013) heißt es in der Einleitung von Barbara Wies: „In dieser wirren Epoche ist der Teebeutel ein Zeichen des Innehaltens, eine Abgrenzung von üblichen, unreflektierten Mustern und das Symbol für einen neuen Rhythmus.“ Gräbt man sich tiefer in die wissenschaftliche Debatte, stößt man auf einen Anthologie-Beitrag von Prof. Dr. Arno Duftus („Was ist ein Teebeutel?“ in: „Tee und Tetris – Subkultur auf dem Vormarsch“, Köln, 2012). Ein im streng-wissenschaftlichen Duktus verfasster Text, der wie üblich anfangs den Teebeutel in den Mittelpunkt rücken will: „Natürlich wissen Sie, was ein Teebeutel ist. Meine Fragestellung scheint dilettantisch. Aber bei näherer Betrachtung wird klar, dass der Teebeutel eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft hat. Seine Wirkung wurde bislang vernachlässigt.“ Nach einer 20-seitigen Tirade kommt er zu den altbekannten Schlussphrasen: „Es ist anmaßend, den Teebeutel auf seine äußere Form zu begrenzen, anmaßend, ihn als bloßes Gefäß zu betrachten: Er hat viel mehr Ebenen, die unterschätzt werden und untersucht werden müssen. Er kommuniziert mit anderen Gegenständen und kann ab origine als Akteur im gesellschaftlichen Hypertext angesehen werden. Neue wissenschaftliche Kategorien müssen entstehen, um den bislang vernachlässigten Teebeutel in seiner eigentümlichen Unabhängigkeit untersuchen zu können. An ihm können wir die westliche Kulturgeschichte nachvollziehen. Meine Ausführungen waren nur ein Anfang. Ich hoffe inbrünstig, dass weitere Wissenschaftler dem von mir eingeschlagenen Weg folgen werden.“

Vergleicht man die unzähligen Artikel, findet man mehr Widersprüche als Gemeinsamkeiten. Oder wie Prof. Dr. Käthe Isis (München, 2013) schreibt: „In unserer Disziplin herrscht so viel Schwammigkeit. Alles fasert aus. Wir bemühen uns sehr, aber schon die Kategorisierung der verschiedenen Teebeutel-Sorten macht uns Ärger. Wie kam es überhaupt zu diesen Unstimmigkeiten? Es liegt vielleicht daran, dass der Ausgangspunkt der Teebeutel-Diskussion vom wehmütigen und wahnwitzigen Zentrum des Institutes für Jenga Turm-Forschung und Assoziationen ausgeht, das kein Wissenschaftler fassen kann. Handelt es sich bei diesem Institut tatsächlich um eine Institution, oder ist es (wie manchmal behauptet) nur der Schatten eines Institutes, der eine schlechte Kondition hat? Wie konnte dieses Institut so viel Charme absondern, dass sich um die Teebeutel-Idee eine ganze Bewegung formierte, die jetzt von der Wissenschaft untersucht werden muss? Umso schwieriger ist es, da unsere Disziplin von anderen Disziplinen belächelt wird. Interdisziplinäre Untersuchungen sind dringend nötig und damit auch die Zusammenarbeit mit fachfremden Kollegen. Lasst uns alle etwas zusammen rücken, um diesem Institut auf die Spur zu kommen. Ich kenne niemand, der je dort war.“ Diese Zusammenstellung der wissenschaftlichen Debatte muss zwangsläufig mit so einem kryptischen Auszug enden. Vielleicht konnte mein Essay etwas Problembewusstsein kreieren. Das wäre schön.

Gudrun Cleremont

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