Joey Goebel – Ich gegen Osborne
Text: Joshua | Ressort: Literatur | 15. März 2013Endlich!
Was soll man über den einzigen lebenden Schriftsteller schreiben, von dem man schon seit Jahren ungeduldig auf einen neuen Roman wartet? Joey Goebel versucht sich in „Ich gegen Osborne“ an einer Form, die so etwas wie eine Königsdisziplin ist: Ein Roman, der nur einen einzigen Tag beschreibt. Einen Schultag im Leben des 17-jährigen James Weinbach.
Es ist der erste Schultag nach den Osterferien im Jahr 1999. James hat einiges vor: Obwohl sein Vater einige Tage früher starb, möchte er seine Komplizin Chloe fragen, ob sie mit ihm ausgeht. Außerdem ist es für ihn der Tag, an dem er Schriftsteller wird. Ein Auszug aus dem Roman, an dem er gerade schreibt, wird im Kurs „Kreatives Schreiben“ kritisiert.
Mit drei Zitaten kann James Weinbach gut vorstellen:
“Dass ich so früh Filmstoff für Erwachsene sehen durfte, trug vielleicht mit dazu bei, dass ich später im Leben nicht auf Sex und Gewalt fixiert war, was bewirkte, dass ich in meiner Altersgruppe nie einen Fuß auf den Boden bekam.“ (S. 12)
“Wenn ein Seufzer menschliche Form annehmen könnte, würde er wohl wie ich mit siebzehn aussehen.“ (S. 71)
“Manchmal habe ich den Eindruck, dass ihr glaubt, freundlich zu sein, ginge auf Kosten der Coolness. Es gibt keine Freundlichkeit, es gibt keine Höflichkeit, es gibt keine Anständigkeit, und ich bin es leid.“ (S. 327)
James Weinbach ist die Oberflächlichkeit leid, das Nur-so-tun, das bloße Wirken-wollen, die Hinnahme der Verhältnisse, die Angepasstheit, die Flucht in den Exzess, die Zerstreuung, die Ablenkung von sich selbst. Und damit wird er an diesem kuriosen Tag auf unterschiedlichste Weise konfrontiert. Er muss sich positionieren.
Die coming-of-age Story bietet die wunderbare Möglichkeit, auch in unserer Zeit des wuchernden Zynismus und Sarkasmus einigermaßen unschuldige Popliteratur zu schreiben, die trotzdem das eigentümliche Wesen der Epoche erfasst. Genau das gelingt Joey Goebel. Der 17-jährige Erzähler kann sich der postmodernen Komplexität mit gesunder Naivität nähern. Man identifiziert sich mit ihm. Und Joey Goebel bietet auf grandiose Weise eine Erklärung an, weshalb uns alles zu entgleiten scheint. In der zweiten Stunde erklärt die Chemielehrerin Entropie, die sie als „treibende Kraft hinter allem“ beschreibt: “Dinge haben mehr Möglichkeiten, zu zerfallen und durcheinanderzugeraten, als eine Ordnung beizubehalten.“ Viel später transformiert James Weinbach diese These und konstatiert: „Menschen haben viel mehr Möglichkeiten, ins Schlechte abzudriften, als es nicht zu tun.“ Und so lautet eine Aussage dieses tollen Romans: Bemühen wir uns alle, nicht ins Schlechte abzudriften!
Joey Goebel – Ich gegen Osborne, Diogenes, 22,90€
Joshua Groß