The New Noise – Staatsakt war in der Stadt
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Diary, Kunst, Musik, Veranstaltungen | 15. April 2013Staatsakt waren in der Stadt – und zwar gleich in dreifacher Ausführung. Mit einer – zumindest für mich – faustdicken Überraschung, die live einige ganz neue Perspektiven eröffnete. Perspektiven, wie man über Die Heiterkeit nachdenken kann. Gut, ganz so bewußtseinserweiternd waren Hans Unstern und Ja, Panik zwar nicht – verdammt gut waren sie trotzdem.
Die Heiterkeit also. Die Band, die mit „Herz aus Gold“ endlich mal wieder Weltbilder in Ordnung gebracht hat. So mit „Ihr könnt eh nicht kapieren, wie die ganze Sache gemeint ist“. Hach je, zumindest als ich mir den ordentlichen Verriss von Jan Freitag (dessen Sicht der (popkulturellen) Dinge mir ohnehin weitgehend suspekt ist – was er allerdings mit der versammelten Zeit-Musikredaktion gemeinsam hat, siehe auch das recht aktuelle Kate Nash-Elaborat) in der Zeit gegeben hatte, war für mich endlich mal wieder alles klar. Und erst recht, als ich mich durch die Kommentare gearbeitet hatte, in denen die ganze Pest und Cholera der drögen Kleinbürgerlichkeit auftauchte – Mia Diekow und Mark Knopfler beispielsweise, der Ideenreichtum von Police und das öde Gewinsel von Muggertum und talentierten Musikern, den armen Schweinen, die sich den Hintern abgniedeln auf Stadtfesten und Baumarkteröffnungen und nie-, nie-, niemals einen Plattenvertrag kriegen. Schnüff. Wie formulierte es da einer in den Kommentaren als Rausschmeisser so schön: „Echauffierte Kommentare kultivierter bürgerlicher Elite auf der Zeit wie im Spiegel, beinahe für sich schon ein Gütesiegel.“ Schöner Reim, der zwar a bisserl holpert, aber von vorn bis hinten wahr ist.
Ja, auch ich habe „Herz aus Gold“ sehr gemocht. Weil mir zum einen schon immer eine Menge lag an offenkundig inszenierten Dilettantismus. An dem koketten Umdrehen des Muggertums auf das unbedingte Gegenteil – und sei es nur, um die obig erwähnten Reaktionen zur provozieren. Abgrenzung galore! Und weil ich andererseits dem spröden Charme der Band nur zu gerne erlegen bin. Diesem Schrammeln am Rande des Zusammenbruchs beispielsweise, das Verschleppen ebenso. Von den Texten müssen wir gar nicht reden. Ich zumindest nicht. Einfach gutfinden. Und dann standen die auf der Bühne im Centraltheater, die auf einmal riesengroß zu sein schien. Unendlich riesig. Viel zu riesig mit ihrem Raum, in dem nichts passierte. Ein paar wenige sparsame Lichter. Drei Musikerinnen, die einfach nur spielten. Ohne Gedöns, Getue, einfach nur spielen. Bass, Gitarre, Schlagzeug. Und Gesang. Da war es wieder, das Schrammeln am Rande des Zusammenbruchs. Ich saß die ganze Zeit und suchte verzweifelt eine Assoziation zu packen, die mir unentwegt durch die Rübe strömte. Bis es dann – ich weiß nicht, es muss schon die Hälfte des Konzertes rum gewesen sein – mit einem Schlag die Erleuchtung kam. Noiserock. NOISEROCK, Alter. Das ist es! Diese stoische Distanziertheit. Diese Unbeirrbarkeit, mit der Dinge getan werden, die aus offenbar guten Gründen nun mal getan werden müssen. Ja, gib der ganzen Sache mehr Druck, mehr Lautstärke, mehr Härte und mit einem Mal bist du mittendrin im amerikanischen Fuck-Up-Noise aus dem Nirgendwo. Der richtige stumpfe klassische Kram – Hammerhead (die Amphetamine Reptile-Hammerhead) beispielsweise oder Love 666, Monster Truck Five oder der Ween-Sidekick Moistboyz. Durchsogen von genau der gleichen Stoizität, vom schon ein bißchen verzweifelten Anmusizieren gegen das Gefühl bleischwerer Langeweile und Ödnis. Diese Erkenntnis hat mich echt von den Socken gehauen. Und mich in meiner Rezeption von Die Heiterkeit einfach mal so etwas von weitergebracht. Dankeschön für dieses Live-Erlebnis. Auch für die Location, btw.
Wobei es Die Heiterkeit an diesem Abend eigentlich ein bisserl schwer hatte da so eingeklemmt zwischen zwei exzellenten Bands. Zwischen zwei Bands, die auch deutlich über das gewohnte Maß eines Konzerterlebnisses hinausgehen können. Und zwar mit Ansage – schließlich hat man ja sowohl Ja, Panik als auch Hans Unstern durchaus schon mal gesehen. Wobei ich durchaus mal festhalten muss, dass letzterer mich ebenfalls zu überraschen verstand: Ich hatte das Ganze wesentlich ätherischer, schwebender, entrückter in Erinnerung. Mit weißen Vorhängen und einem Hans Unstern, der sich sanft und vorsichtig hinein bewegte in ein Konzert, das mit den Begriffen „intim“, „ergreifend“ oder „berückend“ eher unzureichend beschrieben ist. Diese weißen Tücher – zum Beispiel. Im Centraltheater (mit „The Great Hans Unstern Swindle“ im Rücken) war von dieser Entrücktheit aber mal gar nichts mehr zu spüren. Direktheit ist das neue Ding und Dringlichkeit, Intensität. Nach einer ordentlichen Portion Lyrik – immer feste druff – geht er ab, der Ritt durch den großen Hans Unstern Schwindel. Mit überbordender Instrumentierung, mit einem Maß an Wucht und – herrje, was für ein Begriff – Spielfreude und immer dem zwingenden Ansatz, hier unbedingt etwas sagen zu wollen. Etwas wichtiges. Etwas, das in dieser Form gesagt werden muss. Und zwar auf der Bühne zwischen all diesen ganzen Ballons. Ohnehin: Hans Unstern und die Bühne. Ich mag ihn auf Platte wirklich gerne und zwar vollkommen unabhängig davon, ob er sich eher melancholisch-zugänglich gibt wie auf „Kratz dich raus“ oder eher aufmüpfig-sperrig wie auf „The Great Hans Unstern Swindle“ gibt. Aber live ist noch mal ein ganz anderer Schnack, wie die Kollegen aus dem Norden zu sagen pflegen. Ich saß diesmal im Theatersessel und fühlte mich berührt ins tiefste Innere von diesem Derwisch, der da auf der Bühne wirbelte, spielte, brillierte. Im Zusammenspiel mit einer ziemlich präsenten Band. Und mit dem ein oder anderen durchaus überraschenden Instrument, wenn ich da nur an seinen Saitenstuhl denke, der da mit Inbrunst bearbeitet wurde. Ja, die Tuba war auch dabei. Ja, ich hatte ein wohliges Lächeln auf den Lippen und zwar bevor der letzte Song ertönte. Da war ich schon drauf und dran, mich zum Tresengang breitquatschen zu lassen und bat dann doch noch um Geduld. Welch weise Vorahnung! Ich hätte mich ein Leben lang geärgert, die folgenden Minuten nicht in voller Schönheit genossen zu haben: Da intonierte Hans Unstern mit Unterstützung an der großen Harfe eine akustisch-technoide Version von „Endlos Endlos“, bei der ich beinahe ein paar Tränen im Auge hatte, so wunderbar war diese. Wenn es auf der Welt irgendjemanden gibt, der diese Version irgendwo für die Ewigkeit gebannt besitzt – schnuppe, ob als Tonträger oder Datei – möge er es mich wissen lassen. Weil ich die Erinnerung an diesen Moment im roten Theatersessel und den Ballons vor Augen nur zu gerne wieder auffrischen würde.
Tja, Ja, Panik. Kann man als aufrechter Mensch irgendetwas gegen jemanden wie Andreas Spechtl sagen? In jeglicher Hinsicht? Musikalisch, ästhetisch, inhaltlich? Meine klare Antwort: Nein. Weil da Wahrheit drinsteckt. In jeder Note, in jedem Satz. Weil Ja, Panik auf eine absolut unprätentiöse Art und Weise eine famose Live-Band sind, die sich auch von einem nicht wirklich einwandfreien Sound aus der Ruhe bringen lässt. Wobei mich dieser nicht wirklich einwandfreie Sound beim letzten Auftritt des Abends schon richtig überrascht hat – wo hatten die denn den auf einmal hergeholt? Das irritierte schon ein wenig bei einer Band, die richtig Bock darauf hatte, den Laden zu rocken (nein, nicht breitbeinig, eher in der klassischen Definition mit lauter Gitarre, Piano und so weiter). So viel Bock, dass man es geradezu körperlich im Theatersessel spüren konnte. Was ja immer eine helle Freude ist.
Hans Unstern
Die Heiterkeit
Ja, Panik
Ja, Panik
Fotos: Klaus Nauber