Alltag im Liegestuhl – Interview mit Neonschwarz
Text: Joerg | Ressort: Musik | 9. Mai 2013„Der Alltag ist ein Wintermantel (…) Der vorübergehend auf einer Liege, der Grundlage von Ruhe und Traum, abgelegte Alltag ist ein günstiger Moment, dass wie der Schlaf unbemerkt und von hinten die Anmut hinzukommen kann.“ (Hannes Böhringer, „Harte Bank“, Merve 2004)
„Er saß so in seinem Stuhl, weil es ihm Spaß machte! Zunächst machte es seinem Körper Spaß, es beruhigte seinen Körper. Dann befreite es ihn auch in seinem Geiste. Denn erst wenn sein Körper beruhigt war, konnte er beginnen, in seinem Geist zu leben (…). Und in seinem Geiste zu leben, machte ihm Spaß, solchen Spaß, dass Spaß nicht das richtige Wort ist.“ (Samuel Beckett, „Murphy“)
„Wir müssen Formalismus, Bürokratismus, Hedonismus und Extravaganzen entschlossen zurückweisen und entschieden gegen Korruption und anderes Fehlverhalten in all seinen Äußerungen kämpfen.“ (Parteichef Xi Jinping, China, Jahrestagung des Volkskongresses, März 2013, Quelle: Mittelbayrische, 17.03.2013)
„Der Hedonismus geht von einem naiven Utopismus aus.“ (bibel-glaube.de/handbuch_orientierung/Hedonismus)
„Wenn also hedonistische Linke auf Technopartys oder Punkkonzerten versuchen, für einen Moment aus dem Bestehenden auszubrechen und in Tanz und Feierei die »freiwillige Assoziation freier Menschen« zu leben, dann hat das durchaus politische Relevanz. Das Problem jedoch ist, dass bei aller guten Absicht, bei allen guten Vorsätzen, dieses kurzfristige Ausleben der Utopie im »Ferienkommunismus« oder anderswo nur bedingt funktionieren kann, wenn es im Kern die bestehenden Verhältnisse reproduziert. (…) Was am Wochenende auf linken Solipartys oder Crustkonzerten passiert, ist bestenfalls graduell anders als das, was sich in Großraumdiscos und Kleinstadtkaschemmen abspielt.“ (Jan Töves, Phase2, Herbst 2012)
Kill Bill-Feminismus, Hedonistische Internationale oder Bemerkungen von Linus über Torsun bezüglich Hedonismus, sowie mein Einwand, dass der Kampf für ein Recht auf Party=Spaß nicht gleich dem Zelebrieren eines Rechts auf Auseinandersetzung mittels Party=Spaß sei – hin oder her: ich finde, dass in der Debatte um hedonistische Kunst, Haltungen oder Aktionen, es oft ganz schnell diese Missverständnisse gibt: ob dieser Hedonismus jetzt subversiv oder selbstgefällig, jener vielleicht sogar konterrevolutionär sei. Einer jener Begriffe, die sich beständig wider eine klare Definition einzunebeln scheinen. Dabei meinen die, die ihn positiv benutzen doch eigentlich nichts anderes damit als: Leichtigkeit, Offenheit, Vieldeutigkeit, Persiflage, Ironie, Unbekümmertheit, Satire, Schönheit, Anmut, das ganze Je-ne-sais-quoi und kritische Programm halt. Diese Unklarheit nutzen Profiteure gern, und legen dazu schnell eine ganze Palette von Triebabfuhr-Generika auf. Zum Beispiel via Exploitation-Spezialisten wie Tarantino im Großen: „Hollywood kann es einen Zacken schärfer und verkauft das bisschen Transgression seiner Kriegerinnen derweil als Sieg im Geschlechterkampf“ (Annett Jaensch, De:Bug, März 2004). Oder mit Indie-Trash-Profi Olli Schulz im Kleinen. Den neuesten TV-Auftritt des „Enddreißigers, der in einem früheren Leben mal nette Musik gemacht haben muss“ (sic!), goutiert Spiegel-Online*-Autor Arno Frank auch folgerichtig als GEWAGT: „gewagter, als er witzig war, aber immerhin war er gewagt.“ (*ebenda, 26.02.2013). Unmengen dieser lustvollen, humoristischen, ekstatischen Ressourcen des Ausdrucks gedeihen halt wie Unkraut auf schlechten Nährböden wie Neokolonialismus, Sexismus, Rassismus oder Größenwahn. Da kommerziell einfach zu kopieren, – eine Form des Raubkopierens, die an Volumen die andere Variante, die der kopierten Kaufwaren, vielleicht noch übertrifft (die Verwertungs-Industrie könnte die Tantiemen an die Clubszenen niemals aufbringen) – kann man der Ausbeutung jeglichen hedonistischen Outputs auf Dauer nur schwer entgehen. Originärer Spaßterrorismus hat halt – wie echte Anmut oder Schönheit – eine geringe Halbwertszeit. Mit Slogans wie „Empört Euch!“ oder „Occupy!“ werden bereits Autos und Waschmittel verkauft. Liegestühle in extrem sitzfeindlichen Zonen könnten ein neuer Ansatz sein. Eine Variation von Flowerpower: entspanntes Niederlassen im öffentlichen Raum. Ein stimmiger Rückgriff auf die Zeit, da auf Ausklinken verbal noch mit Arbeitslager geantwortet wurde. Macht Sinn in einer Zeit, in der Merkel über die Aktionen von Pussy Riot oder Femen mit Putin übereinstimmt, dass solcherlei Lästerlichkeiten inakzeptabel seien. Alles potentielle Glimmen lebensbejahender, anarchistischer Daseinsdemonstration wird allein in domestizierter Form akzeptiert. Gemäß dem alten Schema der soften autoritären Maßnahme, die ausdrücklich zum Schutze des Wohlstands Anwendung findet. Nach der auch irgendwann die amtliche Umbenennung von Anarchie in Urlaub erfolgte, sowie die umzäunten Strandbars, die genehmigten Karnevals-Paraden und neuerdings monumentale Volks-Kunst-Events oder lange Nächte in Museen. In dem Sinne, wie die geplanten Ferien das unkontrollierte Fest, das spontane und ungeregelte Aussteigen aus den Produktionsprozessen abgelöst haben (siehe „Théorie de la fête“ von Roger Callois, La nouvelle revue française 1940), wurden alle Formen der Spontaneität, Gesten der Unbefangenkeit, der Unbekümmertheit, die das Potential hätten unterschwellig das Gesicht der Sabotage, des sozialen Ungehorsams aufblitzen zu lassen, aus der Öffentlichkeit verbannt. Der Verweis auf Harmlosigkeit wird echten Hedonisten spätestens jetzt unverzüglich aberkannt. Jene Hedonisten, die im Ernst die hässliche Gegenwelt nicht mehr ausblenden, – oder besser: nicht ausbooten, sich im Gegenteil darauf beziehen! – werden unweigerlich zu Aktivisten. Der symbolische Gehalt eines einfachen Liegestuhls, als sublimer Ausdruck einer Gegenhaltung – gegen die Gebote: Nichtstillstehen, Nichtreflektieren, ist daher gar nicht überzubewerten (siehe dazu die Photographie aus dem Zweiten Weltkrieg, welche zwei Soldaten 1942 in Liegestühlen am Atlantikwall zeigt (Quelle: Bundesarchiv). Ja, genau, das ist doch das Äquivalent zur „Apocalypse Now“-Surf-Szene im Kugelhagel – ein extrem vernünftiger hedonistischer Akt im wahnsinnigen Regelwerk eines Eroberungszugs).
Das alles, um zu erklären, was mir am Cover der NEONSCHWARZ-EP besonders angenehm auffiel. Dass die Band mitten in ihrer Hardcore-Stadt in einfachen Segeltuch-Klappstühlen abhängt und sich Longdrinks zubilligt. Dazu der Titel: „Unter’m Asphalt der Strand“.
NEONSCHWARZ haben ihr Debut beim Hamburger Label Audiolith veröffentlicht. Marie Curry, Captain Gips, Johnny Mauser, sowie der jetzt fest zur Band gehörende DJ Spion Y, zelebrieren eine Mischung aus Hip-Hop, Soul und ein bisschen Agitprop; sie geben sich programmatisch zurückgelehnt und strahlen Gelassenheit ab. Die zuweilen umschlagen kann in eine Breitseite, eine Wut-Episode. Was der, zwischen Entspannung und Spannung, gebannten Zuhörerschaft zugemutet wird, bildet einen erfrischenden Kontrast zu handelsüblichen deutschen Soul-Music-Adepten. Im Audiolith-Kosmos überraschen diese Kalt-Warm-Duschen weniger – fügen sie sich doch stimmig ins Labelkonzept ein. Zumindest die Laid-Back-Attitüde wirkt aber einigermaßen aus dem Rahmen fallend und neu. Die EP ist gelungen, weil genauso kurz und knapp wie überbordend, genauso gefühlvoll wie agil, einerseits glamourös in den Arrangements, andererseits immer straight durch den heißen Brei auf den Punkt. Hatte das Audiolith auf dem Soul-Auge bisher etwas mit Astigmatismus zu kämpfen, so kann es mit NEONSCHWARZ nun endlich einen Act vorzeigen, der Darth Vader und Jan Delay einander auf der großen Leinwand begegnen lässt: Kampfstern Mallorca dockt an …
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Star Wars klang als Titel auch sehr düster, war als Film jedoch ein Farbenmeer – sieht man vom Weltraumhintergrund mal ab. Euren Bandname könnte man als Synonym für Verdunkelung oder Desinformation lesen. Habt ihr ihn deshalb gewählt, weil ihr in einer aufklärerischen Mission unterwegs seid – oder etwa, um einfach eine dunklere Farbe in den schrillen Medienzirkus zu bringen. Ein bisschen Darkwave und Neo-Noir in die HD-Wohnzimmer. Einen etwas existentielleren Duft hineintragen in die Sperrzone pseudodemokratisch-neofeudale Bio-Käsetheke?
Neonschwarz:
Nix Darkwave, NeoN-Noir natürlich, wenn man denn Französisch kann. Verdunkelungstaktiken wollten wir mit dem Namen allerdings wirklich nicht fahren, sondern eher unsere zwei Spezialgebiete betonen – nämlich kritische Themen und trotzdem Freude am Leben, optimistisch sein und trotzdem die Probleme nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht bringen wir dadurch ja einen etwas existentielleren Sound in die Ohren der Leute, es gibt ja schon viel Flachmist im Radio.
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Ich hörte eben im Radio, die nordkoreanische Führung habe die Schulpflicht auf zwölf Jahre erhöht. Dabei musste ich an die Kürzung der Abiturzeit in Deutschland denken. Und an die Flagge der Arbeiterpartei Koreas. Dort stehen drei Symbole für drei Gesellschaftsgruppen nebeneinander: Hammer und Sichel – Arbeiter und Bauern – flankieren den Pinsel in der Mitte. Mit anderen Worten, die Künstler werden als staatstragende Säule der Gesellschaft anerkannt. Das entspricht einem Grundgedanke Lenins, der eine Gesellschaft gern von Intellektuellen regiert gesehen hätte. Leider wurden nach Lenin, Freiheit, Gleicheit, Brüderlichkeit entweder weiter korrumpiert oder aber sinnlos durchgeprügelt. Heute sprechen die Staatsmächte von Gesellschaft, Identität und Stabilität. Diese Begriffe aus Aldous Huxleys „Brave New World“ sind als Doktrin bereits allgegenwärtig. Inwiefern tretet ihr für tradierte Formen von Politik-Modellen ein. Gibt es Punkte, wo man ruhigen Gewissens bestimmten Parteien folgen kann. Welche Partei hat kluge Köpfe, die unabhängig agieren und philosophisch interessante Fragen stellen. Oder hat Torsun (Egotronic) recht, wenn er verballhornt: „Die Partei, die Partei hat immer recht!“?
Neonschwarz:
In unseren Augen ist eine Gesellschaft wünschenswert, in der an erster Stelle nicht der wirtschaftliche Profit, sondern die Menschen stehen. Künstler*innen und Intellektuelle würden dann sicher auch ein größeres Gewicht erfahren und können eine Gesellschaft entscheidend positiv prägen. Und Torsun hat natürlich immer Recht! Im Ernst, bürgerliche Parteien haben für uns gerade kein besonderes Identifikationspotential – aber Heinz Strunk als Bürgermeister würden wir blind folgen.
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Politische Liedermacherei ist nun gerade keine Garantie auf ein breites Publikum. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bands mit einem Sendungsbewusstsein trotzdem sehr bewusst und strategisch über ein mögliches Publikum denken – nicht in dem Sinne, dass sie dort Käufer für Produkte, sondern Anhänger für Ideen rekrutieren könnten. Gesellschaftliche Einflussnahme via Popmusik. War Eine/Einer von Euch auf einer der Audiolith „Dorfdisko Geiselnahmen“ dabei. Was kann man heute tun, um die Kids mit Inhalten zu erreichen. Was sollen oder können denn die Jungen von Musikgruppen lernen?
Neonschwarz:
„Anhänger für Ideen rekrutieren“ klingt ein bisschen zu sehr nach Rattenfänger oder Armee. Wir würden eher denken, dass politische Musik eine gute Möglichkeit ist, Themen oder Probleme anzusprechen, die man so um sich herum sieht. Wenn sich dann ein paar Leute mehr darüber Gedanken machen und sich ihre eigene Meinung dazu bilden, dann ist das gut. Wenn sie einfach nur feiern wollen, dann dürfen sie das auch. Dorfdisko-Geiselnahme – waren wir da? Keine Erinnerung. Aber das kann einem bei Audiolith-Veranstaltungen auch gerne mal passieren, wenn man physisch anwesend war.
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Viele, gerade Punk-Bands setzten früher auf Hass oder Wut als Stilelemente. Das hat sich ja unter dem Einfluss rechter Musikkultur etwas verschoben. Man versucht zunehmend auch mit Humor, sprich Realsatire, Soul, Disco sowie teils immer noch mit Diskursrock und Hip-Hop verlorene Teile der Jugendbewegung anzusprechen. Vergisst man dabei oft, dass Frustration und physisch wie psychisch unausgelebte Triebe auch in Musik fließen müssen? Neulich, beim Schauen eines Berichts über Wacken bekam ich den Eindruck, dass die gesamte Metal-Szene völlig unpolitisch geworden sein könnte. Wo würde denn das hinführen, wenn man Wut nur noch kunsttherapeutisch auf Metal-Festivals in seelige Hippie-Kultur umwandelte – und statt bunt kommen die Hippies einfach in Schwarz. Meine Frage ist, macht man es den Rechten nicht zu einfach, wenn man ihnen die Wut- und Hass-Karte ganz überlässt. Ich denke da zum Beispiel an DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft) – hatten die nicht ein Modell, was alle Elemente verbinden konnte, Wut, Sex, Wildheit mit Sensibilität, Soul und politischem Anspruch. Gibt’s davon zu wenig – oder ist so ‚was vielleicht nicht mehr möglich, zu naiv gedacht?
Neonschwarz:
Im Prinzip werden bei uns ja Elemente wie Wut, Wildheit, Sensibilität, Soul und politischer Anspruch verbunden. Lieder wie „Heimat im Herzen“ oder „Bis die Scheiße aufhört“ zum Beispiel, sind ja nun wirklich nicht gerade Weichspülersongs. Im Großen und Ganzen haben wir aber gute Laune. Und das mit dem Sex sparen wir uns für 2013 auf. Ganz viel Sex im Jahr 2013.
Zum strategischen Austausch: Wir haben ganz neu mit „TickTickBoom“ einen Zusammenschluss politisch aktiver DJ*anes, Beatproduzent*innen, Veranstalter*innen, Grafiker*innen und Rapper*innen gegründet, der zeigt, dass Hip Hop auch gut ohne Homophobie und Sexismus funktioniert und über die Musik hinaus konkrete Projekte unterstützen will.
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Wie kam es zu Eurem Triumvirat. Wird es ein ganzes Album geben?
Neonschwarz:
Triumvirat, was für ein schönes Wort. Die Zusammenarbeit besteht inzwischen schon seit über zwei Jahren und wird wohl noch ein bisschen weitergehen, wir verstehen uns nämlich ganz gut, wir drei. Johnny und Marie kennen sich schon seit Jahren über einen gemeinsamen Freundeskreis in Lüneburg, Gips und Marie kennen sich über Johnny seit der Zusammenarbeit an „On a journey“. Seit 2010 waren wir sehr oft zu dritt unterwegs und wollten das Projekt, das sowieso schon zusammengewachsen war, unter einen gemeinsamen Namen stellen. Ein Album kann gut sein, wir backen aber erst ‚mal kleine Brötchen und planen die nächste Single.
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„Die Zerstörung des Durstes durch Wasser“, heißt ein Buchtitel von Max Bense, den ich mit Eurem Album-Titel „Unter’m Asphalt der Strand“ in Verbindung bringe. Im Grunde also das natürlichste, harmloseste Ding von der Welt, auf die Befriedigung der Elementarbedürfnisse durch die dafür geeigneten Dinge hinzuweisen. Strand – stellvertretend für Ruhe, Lockerlassen, Beschwingtsein: Leben halt! Allein das auszusprechen – geschweige denn, dies für sich, oder gar ALLE! zu fordern – grenzt an
Tabubruch und Provokation derzeit. Das darf nur die Werbeindustrie, nicht Lieschen Müller in ihrer Hartz-IV-Zone. Mir fielen viele ähnliche Illustrationen ein, als ich Euer aktuelles EP-Cover (Illustration: Ingo Fischer) sah: Zum Beispiel New Orders „Republic“, oder die „Holidays In The Sun“-Single der Sex Pistols. Das Gegenpaar: schöne Urlaubs-/feindliche Lebenswelt taucht oft auf in der Popgeschichte. Auf Eurem Cover sitzt ihr ganz entspannt vor der grauen City im Hintergrund – nicht unähnlich dem Typ im Liegestuhl, mit Sonnenbrille und Händen im Schoß, von Supertramps „Crises? What Crises?“-Album. Das „Unter’m Asphalt…“-Bild kommt aber nicht so sarkastisch, weniger scharf daher. Keine Kritik an Defätismus, sondern der Vorschlag, sich mitten im realen Schlamassel zu erden, den Wahnsinn einer Sozial-Ab- und Wegsperr-Ethik nicht mitzumachen, sich das Wasser nicht privatisieren zu lassen. Oder, wie Reisenet empfiehlt: „Wo man in HH gut die Füße in den Sand stecken kann, Wellness, Brunch und Seele baumeln lassen“. Die Mauern, den Asphalt wegreißen, dass man sichtbar aufleben darf, „up and away“! – im metaphysischen Sinne – mit Reisebüro NEONSCHWARZ. Stimmt das. Und gibt es da Anlehnungen – wie seid ihr denn auf diese Ästhetik (auf Euer Cover) gekommen?
Neonschwarz:
Wir begreifen, dass wir in einer Welt leben, die eher durch die tristen grauen Hochhäuser als durch den karibischen Sandstrand geprägt ist. Unser Cover soll dabei aber weder vermitteln, dass wir uns mit diesen Verhältnissen kritiklos arrangieren, noch dass wir den Blick für die Realität verlieren. In dem Staat, in dem wir leben, geht es uns verglichen mit anderen Teilen der Erde verdammt gut und dennoch kritisieren wir Zwang zu Lohnarbeit, soziale Kälte oder die Ausbeutung der dritten Welt. Wenn wir allerdings jeden Text mit diesem erhobenen Zeigefinger schreiben würden, fänden wir unsere Mucke selber nicht mehr sexy. Deshalb kommen wir mit einer gesunden Portion Hedonismus ganz gut durch das Leben. Die Ästhetik des Covers spielt auf keine anderen Cover an, sondern trifft diesen alltäglichen Widerspruch für uns ganz gut.
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Euer Label, „das“ Audiolith, hat es ja mittlerweile zu einer beachtlichen Präsenz gebracht, – oder sagen wir besser, es ist einfach nicht mehr wegzudenken aus dem Indie-Musik-Bereich. Ich sehe das so von außen, von der Warte des Beobachters aller neuen Strömungen. Wie seht
ihr das von innen her, mit den Augen von Audiolith-Label Mates. Nehmt ihr das ähnlich war. Und, wenn das stimmt mit dieser Bedeutung, diesem Einfluss – wie konnte es eurer Meinung nach dazu kommen?
Neonschwarz:
Es ist schon so, dass Audiolith bundesweit gewissen Leuten ein Begriff ist. Man trifft tatsächlich in fast jeder Stadt jemanden mit einem Audiolith-Shirt. Ich glaube, es hat auch was mit einer Art „Gemeinschaftsgefühl“ zu tun. Es gibt da anscheinend eine Sehnsucht einer „Gruppe“ anzugehören, die u.a. entschieden gegen Nazis Stellung bezieht oder sich für andere Sachen stark macht, aber sich das hemmungslose Feiern, dass Verliebtsein, das Traurigsein nicht nehmen lassen will oder sogar dieses zusammenbringen möchte.
Audiolith hat da sicherlich irgendwie irgendeinen Nerv getroffen, aber das Audiolith nun so „erfolgreich“ ist, hat letztenendes im Wesentlichen auch damit zu tun, dass die paar Menschen, die für das Label arbeiten, einfach gut und viel arbeiten. Es ist, auch wenn es den Anschein hat, nicht so, dass Lars Lewerenz den ganz Tag im Büro sitzt, Bier trinkt und kifft.
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Viele Audiolith-Bands produzieren ihre Musik selbst. Trifft dies auch bei Euch zu – und wie läuft die Produktion ab. Wie viele Vinyl-Platten werden gepresst?
Neonschwarz:
Wir haben ein paar Leute wie Ulliversal, Björn Bassrk, Timo, der bei uns lange „Das Phantom“ hieß, weil wir nur seine Beats, nicht sein Gesicht kannten, NVIE Motho, etc., mit denen wir in Austausch stehen und von denen wir Beats picken. Jeder schreibt seine Parts und hält die anderen auf dem Laufenden. Aufgenommen, gemischt und gemastert wird alles mit unserem Freund Björn, dem wir eigentlich nach Audiolith-Manier jeden Sonntag ’nen Präsentkorb vorbeibringen müssten, so viel hat er schon für uns gemacht. Weil aber an allen Ecken und Enden das Geld knapp ist, versuchen wir es oft auch mit Umarmungen als Währung. Außerdem mag er Chips und Energy-Drinks.
Vinyl haben wir 300 gemacht, die CDs waren viel mehr und mussten inzwischen nachgepresst werden.
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Über LP- oder gar CD-Verkäufe können sich Bands im Moment nicht finanzieren. Sie können doch aber auch nicht ständig auf Achse sein und Konzerte geben, oder? Habt ihr eine Idee, welche gerechteren Lösungen es künftig einmal geben könnte. Wie steht es mit dem viel besungenen
Crowdfunding? Oder einfacher, wie Mutter. Die haben zum Beispiel – fast ohne Internet – Aktien für die Album-Produktion gemacht, diese verkauft, und selbst den Vertrieb organisiert.
Neonschwarz:
Naja, da ist natürlich ziemlich der Wurm drin im ganzen Musikbereich. Der Großteil lebt von Luft, Liebe, ’nem Zweitjob und ganz viel Bier und es geht trotzdem weiter, weil Musik machen und Konzerte geben verdammt nochmal das Schönste überhaupt ist. Wie die Zukunft der Musikbranche aussehen wird, können wir natürlich auch nicht vorhersehen. Bei der ganzen Internetsache hat die Musikindustrie scheinbar ziemlich lange gepennt und war dann überrascht, dass die Leute sich plötzlich alles irgendwo runterladen. Das Problem mit Aktien zu lösen ist aber doch schon sehr gruselig. Dann investieren Leute in eine Band, weil sie denken, dass die bald auf dem Markt Erfolg haben wird und die Aktienkurse steigen? Und die Band macht dann möglichst massenkompatible Musik, damit die Aktionäre zufrieden mit den Absatzzahlen sind? Da gehen doch gleich die Alarmglocken an, wenn noch mehr Wirtschaftsdenken in der Kultur auftaucht, als sowieso schon da ist. Vielleicht ist das aber ja ’ne Kunstaktion von denen. Dann ist es wiederum ziemlich treffend.**
Crowdfunding hat ja in einigen Fällen schon gezeigt, dass viel möglich ist, wenn ein paar Nerds zusammenhalten und eine Sache supporten. Vielleicht greifen wir da auch irgendwann mal drauf zurück. Bis dahin spielen wir aber einfach viele Konzerte und verkaufen T-Shirts. Leben können wir davon nicht, dafür haben wir derbe viel Spaß. Und wenn die Leute weiterhin so abfeiern, dann bleibt das wohl auch noch länger so.
**(A.d.A.) zur Mutter-Aktie: Hier ging es um den Verkauf von Schuldverschreibungen. Im Gegensatz zum Crowdfunding sind deren Besitzer immer zum Beispiel auch Gläubiger. Sie können nach Ablauf einer Frist ihr Geld zurückerstattet bekommen. Tatsächlich könnte man solche Papiere am Rentenmarkt oder an der Börse handeln (wie Aktien). Der Kunstmarkt scheint mir in diesem Fall aber das eigentliche Ziel gewesen zu sein – eure Einschätzung: „Kunstaktion“ trifft das Ganze also ganz gut. Ob Crowdfunding, oder Crowdinvesting nun bereits nicht manchmal schon genau so gruselig sind, wie ihr das oben beschrieben habt?! Mutters Konzept erscheint mir zumindest einfach und übersichtlich. Mehr dazu auf Mutters Blog.
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Anti-Kriegs-Konzerte sind ja irgendwie Mottenkiste – wie
Friedensbewegung. Weil man irgendwie nicht immer nur weiter gegen Symptome protestieren mag. Für, oder gegen was müsste man sich noch mehr einsetzen. Wo liegen eigentlich die Wurzeln für Ausbeutung und Kriege,
Rassismus, Homophobie etc. Könnt ihr ‚was dazu sagen – zu dem, was aktuell grundlegend schief läuft (zugegeben, eine fast unmögliche Frage – die nach der Weltformel sozusagen)?
Neonschwarz:
Genau, diese Frage beschäftigt uns natürlich. Aber das lässt sich jetzt nicht so schnell beantworten. Wir halten allerdings die kapitalistischen Verhältnisse für sehr ausschlaggebend. Ob damit Rassismus oder Homophobie direkt erklärt werden können, glauben wir jedoch auch nicht. Ein multifaktorielles Modell versuchen wir jetzt hier mal lieber nicht zu zeichnen. Frag uns in fünf Jahren noch mal, vielleicht sind wir dann schlauer!
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Mit wem würdet ihr gerne mal touren oder gemeinsam auftreten?
Neonschwarz:
Mit den Leuten von TickTickBoom. Die Zeckenrapgalas in Berlin & Hamburg waren der absolute Wahnsinn, sowohl in der Gruppe an sich als auch in Verbindung mit dem Publikum. Wenn sich solche Konzerte wiederholen lassen, dann sind wir dabei.
PNG: Danke für Eure Antworten.
Das Interview führte Jörg Gruneberg
Photos: Promo (Till Glaeser)
Neonschwarz – „Unter’m Asphalt der Strand“ EP(2012);
die neue Single „In Deiner Stadt/Gestern von Morgen“ ist am 28. März via Audiolith erschienen.
Neonschwarz – „On A Journey“ via YouTube
Neonschwarz – „Heben Ab“ via YouTube
Neonschwarz – „In Deiner Stadt“ via YouTube
https://soundcloud.com/audiolith/sets/neonschwarz-in-deiner-stadt/s-VMQSo.