Geschmacksverstärkt: Editors – „The Weight Of Your Love“
Text: Jensor | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 22. Juli 2013Anscheinend gibt es hier Polarisierungspotenzial: Die einen kriegen sich beim Genuss von „The Weight Of Your Love“ überhaupt nicht mehr eingefangen vor lauter Glückseligkeit. Die Visions-Kollegen heben das Ganze folgerichtig auf den Schild der Monatsplatte und spendieren den Editors noch eine raumgreifenden Titelgeschichte. Die anderen möchten am liebsten dem Abspielgerät eine in die Schnauze hauen (wenn man denn wüsste, wo die jeweiligen Geräte nun genau ihre Schnauze haben), nur damit es endlich aufhört. Ebenso folgerichtig setzt es einen dicken Verriss im Spex, der eben mit der Aufforderung zum Ausschalten endet. Nun könnte man in der Tat mutmaßen, dass eine Veröffentlichung, die derartige Ausschläge in beide Richtungen hervorruft, zumindest interessant oder irgendwie wesentlich sein müsste (es gibt ja eben auch spektakulär schlechte Platten). Was leider aus meiner Sicht in diesem Fall überhaupt nicht stimmt. Was bleibt, ist eine einzige matte Frage: „Ist das die neue Coldplay?“ „Nö.“ „Ah, ich hatte mich schon wegen des Gesangs gewundert.“ Und schon kann man sich mit ruhigem Gewissen wichtigeren Dingen widmen.
Was unterm Strich schon ärgerlich ist. Für mich. Weil ich nach wie vor das Opener-Trio „Lights“, „Munich“ und „Blood“ für einen der bestmöglich denkbaren Album-Starts halte. Und weil ich es höchst spannend fand, wie die Editors meine These, nach der sich einfach zu viele Rezensenten ganz simpel vom Instrumentarium ablenken lassen, mit „In This Light And On This Evening“ aber mal so etwas von belegten. Indem sie einfach klassische Editors-Songs mit Synthesizern statt mit Gitarren bebilderten. Mal abgesehen davon ist „Papillon“ ja schon ein Hit. Jetzt höre ich mir „The Weight Of Your Love“ an und denke – gar nichts. Lustlos lasse ich „Weight“ und „Sugar“ über mich ergehen. Genauso lustlos, wie Tom Smith singt. Aber! Kommt er dann doch mal in Fahrt wie bei „A Ton Of Love“, wünsche ich mir beinahe ein bißchen diese Lustlosigkeit zurück. Denn wenn die Kollegen von Plattentests schreiben, hier könne man ohne rot zu werden eine Parallele zu U2 und/oder Jon Bon Jovi ziehen, muss dies von meiner Seite bejaht werden. Leider. LEIDER! Dieses Stück – hie und da als grandiose Neuerfindung der Band gefeiert – ist das einzige, bei dem mich wirklich das eiskalte Grausen packt und ich dem Zucken im Finger, der der Sache ein Ende bereiten möchte, inzwischen auch nicht mehr wiederstehen kann. Argh, allein schon diese schreckliche Gitarre …
Mit dem ganzen Rest haben sich die Editors ihre M‘era Luna-Festivaltauglichkeit im Jahre 10 nach der Bandgründung redlich erspielt. Ganz viel Geschmacksverstärker, ganz wenig Nährwert – auf diesem Ticket reisen die aktuellen Headliner wie Nightwish, HIM, Mono Inc. oder Blutengel nun schon seit vielen Jahren und dies recht erfolgreich. Ich bin dann allerdings mal raus. Nichts gegen Pathos. Nichts gegen Überhöhung. Nichts gegen Bombast. Nichts gegen Uhs und Ohs, gegen Streicher – obwohl, naja, wenn es abgekaute, einfallslose Strings aus uralten Studiorestbeständen sind, dann habe ich schon etwas dagegen. Am Ende des Tages fühle ich mich aber ein bißchen wie der Jens aus „Fleisch ist mein Gemüse“ am legendären Silvesterabend in Brunsbüttel, der verzweifelt herumsäbelt an einem Etwas – auf der Suche nach dem konkreten Kern in einem Überfluss an Schwabbel, Fett und Sehnen. Und der feststellen muss, dass da nichts ist. Nix! GAR NIX! Auch bei „The Weight Of Your Love“ bliebt nichts übrig, wenn man mal den Bombast und den Pathos, die permanente Übertreibung der Gesten in Wort und Ton abzieht. Keine (wenigstens einigermaßen) guten respektive interessanten Songs – selbst die annehmbaren Ansätze wie bei „Formaldehyd“ werden zielsicher in Richtung Belanglosigkeit vermurkst. Aber da findet sich auch keinerlei Emotionalität, die irgendwie Spannung oder wenigstens einen Bezug aufbauen würde. Ich will ja jetzt auf gar keinen Fall auf dem Begriff Authentizität herumreiten, aber es lässt mich einfach kalt, wenn Tom Smith von Gefühlen singt (und das tut er oft). Weil ich es ihm nun mal nicht glaube, dass es ihm um Gefühle geht – sondern wahrscheinlich wirklich nur um das Stadion. In dem man eine Menge Ruhm, Ehre und Meriten einheimsen kann; Arcade Fire haben es ja vorgemacht, wie es gehen kann.
Das Schlimme: Nicht einmal darüber mag ich mich aufregen. Ich weiß ja, dass „The Weight Of Love“ nach etwas mehr als 48 Minuten vorbei ist (inzwischen ja schon nach 44 Minuten – ihr wißt ja, das Ding mit „A Ton Of Love“). Was ich meistens ohnehin erst nach weiteren zehn Minuten mitbekomme; gewissermaßen der Belanglosigkeits-Siedepunkt, wenn man völlig auf Durchzug schaltet. Richtig schmunzeln musste ich hingegen, als sich Tom Smith in erwähnter Visions-Titelgeschichte darüber philosophierte, es sich nicht verbieten zu lassen, auch mal wie Mariah Carey zu singen. Wohlan, der Herr, wohlan! Nur zu! Denn aktuell muss ich leider sagen: Dies wäre mal eine wirklich schöne Idee gewesen. Denn im Vergleich zu dieser Platte sind Mainstream-Entäußerungen geradezu ein sprudelnder Quell an Spannung, Inspiration und Kreativität – siehe beispielsweise den aktuellen Evil Outbreak von Miley Cyrus als gnadenlos durchgeknallte Madonna-Wiedergängerin mit aparter Kesha-Katy Perry-Lady Gaga-Note und sattem R’n’B-Einschlag in „We Can‘t Stop“.
„The Weight Of Your Love“ ist auf Play It Again Sam erschienen.
Am 30. Oktober kann man sich die Editors im Haus Auensee in Leipzig live ansehen.
Foto: PIAS