Zu ernst gemeint – Vista Chino „Peace“

Text: | Ressort: Musik | 12. September 2013

Es fällt mir schwer, dazu etwas zu sagen. Was ist das? Kann ich das ernst nehmen? Muss ich es gar? Oder fahre ich viel besser, wenn ich genau dies nicht mache? „Peace“ ist eine Platte, die mich ratlos und auch ein bißchen sprachlos macht. Eine Platte, die sich irgendwie einer Wertung entzieht. In einer Rezension im September-Visions erklärte Daniel Gerhardt, dass diese Platte vortrefflich als Genre-Parodie für „Stoner-Rock“ durchgehen würde. Und seltsamer Weise war genau dies exakt der erste Gedanke, der mich bei „Dragona Dragona“ durchzuckte. Das können die unmöglich ernst meinen? Diesen offensichtlichen Rip-Off von, nun ja, irgendwie ein bißchen von sich selbst.

Also, bringen wir es mal auf den Punkt: Hinter Vista Chino stecken in erster Linie John Garcia und Brant Bjork, bei Nick Oliveri kann man nicht mehr so sicher sein (eher dürfte man davon ausgehen können, dass mittlerweile Mike Dean als Bassist fungiert), Gitarrist Bruno Fevery rundet das Ganze ab (wobei es vielleicht sinnvoll ist, nicht allzu intensiv dessen musikalisches Vorleben zu recherchieren). Aber die ersten beiden Namen machen klar, worum es geht: Es geht um Kyuss. Wobei es ja zu Zeiten, in denen John Garcia als Garcia Plays Kyuss und Kyuss Lives! unterwegs war, noch wesentlich offensichtlicher war, warum es geht. Ich will diesen ganzen Knatsch mit den Klagen und den Rechtsanwälten und dem Hin und dem Her im Spannungsfeld Garcia, Bjork, Josh Homme und Scott Reeder an dieser Stelle gar nicht rekapitulieren. Das steht mir nicht zu, ich war nicht dabei. Wichtig ist nur, dass wir nicht aus den Augen verlieren, worum es hier geht. Um Kyuss. Um eine Band, die nicht nur einen Sound geprägt hat, sondern auch wohl bis heute einen derart gewichtigen Namen hat und eine derartige Reputation genießt, dass es sich ganz offensichtlich lohnt, darob einen Rechtsstreit zumindest ins Auge zu fassen. Ich fand für mich, dass sich diese Information für ein gewisses Grundverständnis des Phänomens Vista Chino ganz gut macht.

Jetzt also „Peace“, das Debüt von Vista Chino: Als erstes erstaunt das Artwork. WAS ist das DAS? Ich habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass diese Zeichnung mit der Schlange und dem rauchenden Totenkopf und dieser vollkommen absurd seltsamen Schrift tatsächlich das finale Cover der Platte sein soll. Eine verstörende Erkenntnis. Die nächste verstörende Erkenntnis war der Genuss von „Dragona Dragona“: Hier ist alles, alles, alles, absolut alles auf Kyuss gebürstet. Bis in das letzte, hinterste Soundfitzelchen. Gut, John Garcia kann man schwer vorwerfen, wie John Garcia zu singen, aber wenn uns Bruno Fevery den originalgetreuen Josh Homme geben möchte, wird die Sache schon schwieriger. Vollkommen abstrus wird es, wenn man sich extra ein Studio baut, um bis in das erwähnte allerletzte Detail ranzukommen an Chris Goss‘ Sound. An „Welcome To Sky Valley“. Das irritiert mich wirklich schwer. Weil es, nun ja, ein Rip-Off ist. Okay, zu einem nicht gerade geringen Prozentsatz von sich selbst, ich das räume ich gerne ein. Wird es davon besser? Ich weiß es nicht.

Wobei „Dragona Dragona“ mit Sicherheit einer der besseren Songs von „Peace“ ist. Wenn man es mal ein wenig, ähem, stumpf braucht. Uffe Zwölf. Druff. Ein dickes Riff, nicht sehr innovativ, aber einigermaßen wirkungsvoll in der Kombination mit der Tiefe der Produktion (der Trick mit dem Bassverstärker, you know) und dem ebenso funktionalen Groove. Ohnehin die Uptempo-Stücke, gut, die werden meistens vom eigenen Drive über die Zeit gebracht. A bisserl arg viel Gegniedel für meinen Geschmack. Gegniedel der überflüssigen Sorte. Ich will gar nicht mutmaßen, ob dies mit der Fevery‘schen Vergangenheit zusammenhängt. Ich stelle nur fest, dass es mich richtig stört. Es ist ein wichtiges Element, das mich an dieses Parodie-Ding gemahnt – weil es sich für ich immer ein bißchen anhört wie gut gemeint. Wie viel gewollt. Wie dies dann weitergeht, weiß ja jeder.

Insgesamt 13 Stücke finden sich auf „Peace“. Und jedes einzelne von ihnen macht mich ein bißchen rat- und sprachloser. Was finden die Leute nur an „Barcelonian“? Für mich ist das in seinem offensichtlichen Wollen und ebenso offensichtlichen Scheitern der schrecklichste Song der Platte. Und was zum Teufel ist jetzt eigentlich die verbindende Idee hinter dem 13-Minuten-Schinken „Acidize … The Gambling Moose“? Wäre es nicht sinnvoller, drei einzelne Stücke draus zu machen, wenn man diese verbindende Idee nicht hat? Das fühlt sich alles so, so – unecht an. Und ja, John Garcia knödelt inzwischen anders als vor 15, 20 Jahren. Angestrengter. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass in zunehmenden Maße auch so etwas wie Verzweiflung aufflackert. Irgendwie habe ich das Gefühl, als spreche der Sänger permanent zu dir, zu mir, zu uns allen. „Hey, Jungs, ich bin‘s, der John Garcia. Kennt ihr mich alle noch?“ Und wenn es dann ganz schlimm kommt, folgt noch die bange Frage: „Habt ihr mich auch alle noch lieb?“ Dann wird es für mich ein wahres Trauerspiel. Weil es – um eine eingangs gestellte Frage zu beantworten – eben doch erbarmungslos ernst gemeint ist. Und ich es schmerzlich an dieser Verzweiflung merke.

Foto: Pressefoto


Peace von Vista Chino ist auf Napalm Records erschienen.
Die Band spielt im Spätherbst auch einige Konzerte in der Gegend:
25. Oktober – Christianshavn, Loppen
27. Oktober – Osnabrück, Rosenhof
28. Oktober – Hamburg, Docks
10. November – Berlin, Huxleys
11. November – Dresden, Alter Schlachthof
12. November – Warschau, Proxima
14. November – Salzburg, Rockhouse
15. November – Pratteln, Z7 Konzertfabrik
18. November – Augsburg, Kantine
19. November – Frankfurt, Batschkapp
20. November – Köln, Live Music Hall
22. November – Thourout, De Mast
23. November – Eindhoven, Klokgebouw

www.vistachinomusic.com

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