Der Trost von Telefonzellen von Joshua Groß und Philippe Gerlach
Text: Gudrun | Ressort: Literatur | 22. Oktober 2013Sphärenabgleich
Der Trost von Telefonzellen von Joshua Groß und Philippe Gerlach
Damit Sie, verehrter Leser wissen, woran Sie sind, vorab: Meine Helden heißen Mann, Kafka, Kleist, Schiller, Fontane, etc. Bücher, die nach 1930 erschienen sind, lese ich prinzipiell nicht. Aber die Redaktion teilte mir zu, Der Trost von Telefonzellen zu rezensieren, also las ich ein Buch, das nach 1930 erschien. Die Redaktion meinte, ich hätte den Autor schon einmal interviewt und kenne mich halbwegs mit seinen Texten aus. Wie die Redaktion darauf kam, weiß ich nicht. Ich kenne mich nur mit Texten aus, die vor 1930 erschienen sind. Sie, verehrter Leser, könnten sich fragen: Warum beginnt Sie so? Ich antworte Ihnen: Ich weiß es nicht…
Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Joshua Groß erzählte mir einmal während eines umständlichen Telefonats, dass man Sphären erschaffen müsse, die ihre Frontscheinwerfer zwar auf die Welt richten, selbst aber nicht Welt seien. Ich nage an diesem Satz. Ich bevorzuge literarischen Realismus. Der Trost von Telefonzellen schwebt zwischen Realismus und einem zweiten Realismus, wenn ich das so sagen darf. Denn beim Lesen offenbart sich immer deutlicher, dass die Geschichte wohl gerade in dieser Sphäre spielt, die ihre Frontscheinwerfer auf die Welt richtet. Der Trost von Telefonzellen ist kein literarischer Realismus. Bekennen sich die Figuren? Ja, sie wollen, dass es anders wird. Ist dieses Bekenntnis offensichtlich? Nein. Ein Beispiel?
Ich musste zugeben, dass ich mich im Leben ein bisschen zu wissenschaftlich aufführte und in der Wissenschaft ein bisschen zu lebendig (und diese ganzen Verdrehungen sind einfach nichts). Ich schaute zu, wie sich die beiden auf der Exploitation Road entfernten, dieser schmalen Straße im Verstand, die im bebenden Licht zittert wie Muskeln, die zu lange angespannt sind (welche Muskeln?).
Die Protagonisten (Emil Mino und Luca Tasso) eröffnen auf einer abgelegenen Landstraße, die sie manchmal Exploitation Road nennen, einen Buchverkaufsstand. Es ist Sommer. Ihr Unternehmen artet sukzessive aus und bald wird ein wildes Musikfestival auf den umliegenden Wiesen gefeiert. Allerdings werden Emil Mino und Luca Tasso da bereits vom BND verfolgt. Eine aberwitzige Verfolgungsjagd entsteht. Man hat den Eindruck, als müssten die Geheimagenten, die ja eigentlich wichtigeres zu tun haben sollten, permanent Risse kitten, die von den Protagonisten in die Realität gerissen werden. Ich würde also sagen, die Agenten sind auf meiner Seite und unterstützen den literarischen Realismus. Das Joshua Groß davon nicht viel hält, ist klar erkennbar. Allein der Terminus Exploitation Road suggeriert offensichtlich, dass sich der Autor manche Kniffe von Pulp, Schund und so genannten B-Movies abguckt. Mit zunehmender Dauer wird alles zunehmend verworren. Ein Fotograf meint, Emil Mino und Luca Tasso seien Detektive und erteilt ihnen den Auftrag, verschollenen Häuptlingsschmuck wieder zu beschaffen. Pikantes Detail: Der Häuptlingsschmuck wurde aus dem Karl May-Museum von einer betörenden Schauspielerin gestohlen. Die Schauspielerin ist mit dem Häuptlingsschmuck in ein Bergdorf geflohen. Wie heißt dieses Bergdorf? Flashcity. Was passiert dort? Lesen Sie es selbst. Außerdem enthalten: Die Protagonisten fahren nach Berlin, um einen Schriftsteller zu helfen, die Fantasie zu retten. Außerdem enthalten: Liebe und Enttäuschung. Außerdem enthalten: Endlose Gespräche zwischen Emil Mino und Luca Tasso.
So obskur das alles klingt, so wunderbar liest es sich, verehrter Leser. Das muss letztendlich sogar ich zugeben, trotz meiner eingangs erwähnten Abneigung gegen Literatur, die nach 1930 erschienen ist. Was da so in Flashcity passiert, wollen Sie wissen? Ein Auszug zum Schluss, der vielleicht klar macht, dass es scheinbar ums Ganze geht, so wenig sich das Alles auch in nachvollziehbaren Bahnen abspielt:
Wir lagen rauchend auf dem Rücken, das Licht war rau, beinahe konnte man es materialistisch beobachten, wir liebten uns in einem Raum aus Pappmaché und die Schwaden stiegen wie Papierflieger gegen die Decke. »«Es ist ja erst eins«, sagte sie und drehte sich um, roll over Aphrodite, diese Lippen ließen mich willenlos werden, Mädchen komm, lass uns in Interzone sterben.
Der Trost von Telefonzellen erscheint bei starfruit publications.
Gudrun Cleremont