Eine Nacht in vergehender Milde – Nbg.Pop 2013

Text: | Ressort: Diary, Musik, Veranstaltungen | 29. Oktober 2013

Zuallererst: Schon anhand der Festivalbändchen merkt man, dass die Veranstalter bei der dritten Auflage von Nbg.Pop noch mal drauf legen wollen. Die sind jetzt nämlich aus Stoff, nicht mehr aus Papier. Die fühlen sich jetzt nämlich ganz passabel an und kleben nicht mehr an der Armbehaarung. „Professionalisierung!“, ruft’s aus dem Himmel. „Bedeutet Professionalisierung nicht auch Ausverkauf?“, kommt’s zurück. „Keineswegs“, wird’s entschieden zurück gewiesen. Der Charme des Festivals bleibt also erhalten, trotz diverser Einlassstopps, trotz unschöner Wichtigmacherei der popeye-mäßigen Sicherheitskräfte.

Und das Programm: ausladend, blöd gesagt. Zu viel, um alles zu sehen, kurzum. Wie geht man mit einem solchen Überangebot um? Treiben lassen mit Fixpunkten… Die Nacht als Steinbruch betrachten, sich selbst als Goldgräber… Spaten geschultert, entdeckermäßig das Kinn reiben: sieben, sieben, bis das Unnötige in der Ewigkeit verschollen geht.

Alfred Tur saß beim Auftritt von Hot Club de Fürth an der Bar und zeichnete
assoziativ zur Musik der Jazzband.

Bleiben Brocken zurück…

1. Brocken: Nick & June klingen wie das Intro eines Indiefilms. Ausgemergelte Helden fahren bei einfallender Abendsonne in einer Rostlaube durch einen Spätsommerwald: Fenster geöffnet, ein Duett erklingt: carry me home (jetzt schon? Meinetwegen…)

2. Brocken: Die kalte, schwere, katholische Klarakirche. Man wartet drinnen im Dämmerlicht, nach Nachteinbruch, verfolgt kurz eine Diskussion über das Wort „Heide“, zwischen Kreuzaltar und Marienaltar stehen Gitarren bereit, ein Keyboard, Verstärker, Boxen, Mikrophone, all der Kram eben, den Jonas David braucht, um sein hymnisches Verzehrspiel zu beginnen. Der Raum vibriert, weil sich die Stimme in die harmonischen, monotonen Gitarrenloops schraubt. Der spitze Hipsterstiefel hilft dabei, das Gerät auf dem Boden zu bedienen. Gleich darauf kommt die Band: Drummer, zweite Gitarre, Keyboarderin und zwei Backgroundmädels. Stimmen werden gepitcht, Paris Texas-Soundtrack oder so, trotz der verzogenen Synthetik des Klangs wirkt das alles trotzdem noch organisch, logisch: „Das klingt wie Bon Iver… das ist gut. Ich mag Bon Iver“, wird neben mir gesagt.
Großer Applaus am Ende.

3. Brocken: Zum literarischen Teil des Abends äußere ich mich nicht groß, denn ich hatte kurz vorher eine Arno Schmidt-Ausstellung gesehen: Und wenn man sich mit Arno Schmidt beschäftigt, sieht man die Welt anders, nur…
Linus Volkmann besäuft sich auf der Bühne und findet seine eigenen Texte so witzig, dass man als Zuschauer gar nicht mehr die Texte witzig findet, sondern hauptsächlich die Tatsache, dass sich Linus Volkmann da oben so über sich selbst amüsiert.
Das auch Lesungen bei Nbg.Pop stattfinden, ist natürlich zu begrüßen!

4. Brocken (unerfreulich/erfreulich): Bei der größten Überraschung, der Gypsyjazz-Band Hot Club de Fürth, die aus Nürnbergs verschmähter Nachbarstadt kommt, buht das Publikum, als der Bandleader anfangs verkündet, dass die Band eben aus jenem Fürth komme.
(Hier offenbart sich einer der Gründe, warum Nürnberg nach außen hin so mittelmäßig wirkt: Viele der völlig degenerierten Bewohner meinen, sie müssen sich bei jeder Gelegenheit abfällig über Fürth äußern: Das ist nicht nur unsympathisch, sondern zeigt vor allem die lächerlichen Minderwertigkeitskomplexe, die offensichtlich alle so genannten Patrioten haben. „Ich liebe mein Land zu sehr, um Nationalist zu sein“, hatte Camus geschrieben. Die Nürnberger dagegen haben solche Angst vor ihrer eigenen Belanglosigkeit, dass sie sich permanent aufblasen müssen und so nur noch bräsiger, grenoidenhafter, verstockter und rückständischer erscheinen, als sie es eh schon sind.) Und dabei ist ja gerade das Nbg.Pop Ausdruck davon, dass es auch anders geht, in Nürnberg.
Daher muss man Hot Club de Fürth gleich zwei Komplimente machen: Erstens war der Auftritt musikalisch einwandfrei, leichtfüßig, als wäre er gerade Woody Allens phänomenalen Sweet and Lowdown entsprungen, zweitens war die Unerschütterlichkeit der Band gegenüber der selbstgefälligen und permanent plaudernden Zuhörerschaft die einzig angemessene Reaktion.

5. Brocken: Jesus sagt: „Alles, was ihr von den anderen erwartet, das tut auch für sie.“ (katholische Bibel)

6. Brocken: Mighty Oaks scheinen einen Hype zu haben, cause a whole lotta hipsters sind überall. Die Kirche ist voll, IPhones gezückt, Groupies kreischen. Warum Hype? Ist halt Holzfäller-Softie-Musik. Schwere, entschleunigte Drums, emphatische Wiederholung dringlicher Passagen, aus der Seele geschrieen, wohlklingend: Oh I run away/ far from this place I’ll go. Gespräch1: „Mit denen würde man gern mal Zelten fahren.“ „Die könnten am Lagerfeuer zur Abwechslung wenigstens mal Gitarre spielen.“ Gespräch2: „Deren Musik ist so rot, sagt mein Infrarotauge.“ „Als hättest du ein Infrarotauge…“ „Klar, was denkst du denn!?“

7. Brocken: Der Festsaal klebt natürlich bald, weil verschüttete Getränke und Gedrängel. Hitze, Schweiß, Lärm. Abby spielen, groß angepriesen, schnell die Erkenntnis: Nur eine weitere Band, die macht, was schon viele andere Bands machen. Äähhh… (schnell raus also!)

8. Brocken: The Mergers… Wer wissen will, wie es in den 1960ern bei dröhnenden, stampfenden, treibenden Beatkonzerten war, sollte sich mal eine Show von denen ansehen. Dabei kann ich natürlich gar nicht wissen, wie es in den 1960ern bei dröhnenden, stampfenden, treibenden Beatkonzerten war. Aber vermutlich so ähnlich. The Mergers sind vielleicht die schamloseste Verzettelung in Retromania, die sich gerade in unsere Zeitzone (UTC+01:00) geschlichen hat. Spaß hat man dabei, obwohl die Jungs wie eine Coverband klingen. Dafür wenigstens eine gute Coverband. Eine Band, die gewissenhaft die Vergangenheit covert. Also mal wieder die Einsicht: Die Gegenwart bleibt so lange trostlos, bis wir alle beginnen, uns mal was Neues auszudenken.

Well done, raunt man den Veranstaltern im leicht abgehobenen, britischen Akzent spitzlippig zu…

www.nuernberg-pop.de/festival

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