Gutes im Kino

Text: | Ressort: Film | 30. Oktober 2013

Drecksau

Schmutz

Irvine Welsh at his best: dreckig, dreist und derbe. James McAvoy glänzt in Jon S. Bairds Adaption von „Filth“.

Trotz des Riesenerfolgs von „Trainspotting“ vor 17 Jahren sind bisher recht wenige Werke des schottischen Autors Irvine Welsh für das Kino adaptiert worden. Dabei sind sie ihrerseits deutlich von Filmen beeinflusst. Bevor sich demnächst Danny Boyle erneut Renton, Sick Boy & Co. in seiner Adaption von „Porno“ widmet, hat sich der Regisseur und Drehbuchautor Jon S. Baird Welshs Roman „Filth“ angenommen.

Auf ähnliche Weise zeigt er kaputte Figuren, die wenig Identifikationsfläche bieten. Allen voran der Polizist Bruce (James McAvoy), der in den Straßen von Glasgow Dienst schiebt und von seinem Job ebenso wenig hält wie von seinen Kollegen. Aber der Ergeiz treibt ihn an und so bootet er auf perfide Weise einen nach dem anderen aus, um den Posten des Detective Inspectors zu ergattern. Bruce ist sich sicher, dass dann seine Frau und seine Tochter wieder zu ihm zurückkehren würden. Doch das ist nicht die einzige Wahnvorstellung in Bruce zugekokstem Hirn und mit jedem Opfer, dass er auf seinem Weg zurücklässt, driftet das Ekel weiter ab von der Realität.

Baird hatte eine Vision, die er konsequent umsetzte. So gelingt es ihm, den ätzenden Humor und die Dreistigkeit der Vorlage auf die Leinwand zu transportieren. Er findet die visuelle Entsprechung und einen überragenden Hauptdarsteller. James McAvoy („Abbitte“) wuchs selbst auf den Straßen Glasgows auf und identifiziert sich für die Adaption voll und ganz mit seiner schmierigen Figur. Eine beeindruckende Leistung in einem schwindelerregenden Rausch durch den Wahn von „Clockwork Orange“ und den Witz von „Einer flog übers Kuckucksnest“.

GB 2013 / R: Jon S. Baird / D: James McAvoy, Imogen Poots, Eddie Marsan, Jamie Bell etc.

Alles eine Frage der Zeit

Zucker!

Richard Curtis macht, was er am besten kann, diesmal eben mit einem Twist.

Richard Curtis ist ein hoffnungsloser Romantiker. Das kann in der Fabrik der Träume von unschätzbarem Wert, sowohl um die Herzen der Kinogänger zu gewinnen, als auch um an ihr Portmonee zu kommen. Nach „Vier Hochzeiten“, „Bridget Jones“, „Notting Hill“ und „Tatsächlich Liebe“ wissen die, was sie an dem britischen Neuseeländer haben – und werden auch bei seinem neuen Werk nicht enttäuscht.

Curtis erzählt die ewige Suche nach Mrs. Right diesmal anhand des 21jährigen Tims, der eben die Fähigkeit in sich trägt, in seiner eigenen Vita zurück zu reisen. Sein Schöpfer nutzt dieses Gimmick allerdings erfreulich sparsam auf seinem Wege, denn das Herz von Mary lässt sich mit Tricks nicht erobern. Für die Hauptrolle hat Curtis Brendan Gleesons („Brügge sehen und sterben“) Sohn Domhnall ausgewählt, der sie bravourös und charmant meistert. Für die rührig schöne Vater-Sohn-Geschichte kommt Bill Nighy hinzu (der alleine schon immer ein Grund ist, den Film im Original zu genießen). Nur der schönen Rachel McAdams mag man die graue Maus vom Anfang der großen Liebesgeschichte nicht so recht abkaufen. Dafür strahlt sie umso mehr, in der Blütezeit ihrer Figur. Curtis erzählt über das Verliebtsein hinaus, wenn der Alltag eintritt und der Zauber verblasst, ohne dabei jemals seine Figuren zu verraten. Sehr versöhnlich das Ganze, unterlegt mit einem wunderbaren Soundtrack hoffnungslos romantischem Liedguts von Nick Cave, Ben Folds und Ron Sexsmith.

USA/GB 2013 R: Richard Curtis; D: Domhnall Gleeson, Rachel McAdams, Bill Nighy etc.

Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen 2

Essenschlacht

Chris Pern und Cody Cameron spielen mit dem Essen und wir haben Spaß dabei.

Mit Tempo, Witz und einer offensiven Retroaffinität gewann „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ vor vier Jahren die Herzen der Videospielnerds und Kinder der Achtziger. Mit Teil zwei beweisen die Macher nun, dass sie auch darüber hinaus Fans der japanischen Popkultur sind. Regneten im Auftakt die gigantischen Mahlzeiten vom Himmel, erwachen sie diesmal zum Leben und überdimensionale Burgerspinnen mit Frittenbeinen drohen die Welt zu erobern. Zumindest ist es das, was Erfindermogul Chester V dem einfältigen Flint Lockwood weiß machen will. Fasziniert von der schönen neuen Technikwelt, in die er einen Einblick erhält, schlurft der Geek willenlos zurück auf sein heimatliches Eiland, um den Fast Food Viechern mit seiner Erfindung den Garaus zu machen. Glücklicherweise kann er dabei auf seine Freunde vertrauen, die ihn vor der Verblendung des spitzbärtigen Masterminds bewahren und ein erstaunliches Geheimnis und allerlei zuckersüßes Viechzeug entdecken.

Mit dem Rückenwind des Erfolgs laufen das Regieduo Chris Pern und Cody Cameron und ihr Drehbuchteam nun völlig frei und ein Kalauer ums Essen jagt die nächste irrwitzige Kreatur. Daneben gibt es Seitenhiebe auf Messias Steve Jobs (der seine dezente Entsprechung in Chester V findet) und eine recht vorhersehbare, aber angenehm warmherzige Story um wahre Freundschaft. In der deutschen Fassung bleibt vom Wortwitz allerdings etwas weniger übrig und die üblich-ärgerliche Synchronisation mit „prominenten“ Stimmen (unerträglich: Cindy aus Marzahn als Primatenlakai) nervt dezent. Aber das ändert nur wenig am Unterhaltungsgrad dieses knallbunten Popkulturpotpourris.

USA 2013 / R: Chris Pern und Cody Cameron

Alphabet

Alte Schule

Erwin Wagenhofer legt den Finger tief in die offene, eiternde Wunde des Bildungssystems.

Etwas läuft gewaltig schief im Bildungssystem. Eine offensichtliche Tatsache, die auch den österreichischen Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer beschäftigte. Nach „We feed the world“ und „Let’s make money“ geht er nun zu den Wurzeln des globalen Übels, der Erziehung zu den effizienzgesteuerten Individuen unserer Zeit, die die Geschicke der Welt lenken.

Er zeigt den Irrsinn europäischen Strebens nach dem PISA-Vorbild China und stellt dem OECD-Abgeordneten Andreas Schleicher, der das Geheimnis chinesischer Bestleistungen ergründen und in die Heimat tragen will, den Professor Yang Dongping aus Beijing entgegen, der vor dem Drill seiner Landsmänner warnt. Sir Ken Robinson, ein britischer Bildungsexperte findet die richtigen Worte über die Misere und fordert einen Paradigmenwechsel, während die Teilnehmer des Wettbewerbs „CEO of the year“ nach Führungspositionen streben. Der Hirnforscher Gerald Hüther liefert erschreckende Erkenntnisse, ebenso wie der ehemalige Personalchef internationaler Konzerne Thomas Sattleberger, der ein Umdenken predigt.

Ihnen gegenüber stellt der Regisseur die Opfer: eine deutsche Schülerin, die das System anprangert, ein chinesischer Musterschüler, gefühlskalt und leer im Ausdruck. Wagenhofers Beispiele für Wege aus der Krise, sind allerdings etwas zu speziell: ein zuhause geschulter Gitarrenbauer, der Kunstpädagoge Arno Stern und der am Down-Syndrom leidende Pablo Pineda Ferrer aus Spanien, dessen Schicksal bereits im Film „Me too“ behandelt wurde. Wichtig ist Wagenhofers Film dennoch, denn er zeigt, welcher Irrsinn hinter dem modernen Bildungssystem steckt und legt den Finger tief in die Wunde.

AU/D 2013 / R: Erwin Wagenhofer

Ich fühl mich Disco

Große Gefühle

Frisches deutsches Kino mit einem Hauch von Trash, reichlich Schlager und ganz viel Herz.

Mama hatte einen Schlaganfall – die Situation überfordert Papa Hanno (Heiko Pinkowski) und seinen Sohn Florian (Frithjof Gawenda). Vor allem, weil sie es jetzt miteinander aushalten müssen. Der stille Teenager verdrängt die Tatsache, dass seine Mutter wohl nicht mehr aus dem Koma erwachen wird. Sein Vater schaut hilflos zu, wie Florian Tag für Tag ins Krankenhaus zieht. Er versucht Zugang zu seinem Sohn zu finden, aber macht dabei so ziemlich alles falsch.

Ein seltsames Gespann für die Leinwand. Der schnauzbärtige Schwimmtrainer und sein pummeliger Sohn sind wahrlich keine prototypischen Kinohelden. Aber mit welchem Charme sie, bzw. Autor und Regisseur Axel Ranisch („Dicke Mädchen“) den Zuschauer im Takt der Schlager von Christian Steiffen gewinnen, davon ließen sich bereits die Zuschauer bei der diesjährigen Berlinale begeistern. Frisches deutsches Kino mit einem Hauch von Trash und ganz viel Herz.

D 2013 / R: Axel Ranisch / D: Frithjof Gawenda, Heiko Pinkowski, Christina Grosse

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