Nothin‘ but Speed-Emo
Atlas Losing Grip

Text: | Ressort: Allgemein, Musik, Veranstaltungen | 27. Januar 2015

Die Gnade der frühen Geburt. Klar weiß ich, was der Opener „Sinking Ship“ von der neuen Atlas Losing-Grip-Platte ist – astreiner Speed Metal. Nix anderes. Und wenn da nicht die Rezensenten-Bürde zwicken würde, wäre auch nach dem ausufernden Intro (schleppt sich so fast zwei Minuten hin) definitiv Schluss. Spätestens dann, wenn dieses blöde Riff einsetzt, das ich in meinem Leben einen Tick zu oft gehört habe. Speed-Metal-Kitsch in absoluter Reinkultur. Nein nein, lasst euch da nix weißmachen mit Thrash oder so. Thrash hatte stets das Ziel, dir möglichst fies einen vor den Latz zu knallen. Speed war immer der Stoff für die Whimps. Mit dem Spandexhosen-Kneifgesang, dem Heldenpathos und den Melodien aus dem Kindergartenbereich. Wobei ich ja mal sagen muss, dass „Violence & Force“ von Exciter (bei allen gemachten Einschränkungen) den erwähnten ALG-Opener in Sachen Aggressivität und Intensität ziemlich alt aussehen lässt. Naja, wie gesagt – Gnade der frühen Geburt. Ja, ich habe „Violence & Force“ gehört. Und zwar 1984.

Ansonsten sind Atlas Losing Grip aber irgendwie schon interessant, so in popkultureller Hinsicht gesehen. Weil diese Band Dinge zusammendenkt, von denen ich Zeit meines Lebens angenommen hatte, dass sie sich zwingend ausschließen: Die langlebige Kitschigkeit von Metal auf der einen Seite (noch mal klar gesagt – wir sind hier Lichtjahre von jenen musikalischen Bereichen entfernt, die man mit dem Wörtchen „Extreme“ beschreiben könnte) und die offenbar mittlerweise ebenso groß gewordene Kitschigkeit des Punk auf der anderen Seite. Über die Metal-Seite muss ich nicht mehr viel sagen – hier möge man sich am Gesamtwerk der üblichen Speed- und Power-Metal-Verdächtigen abarbeiten, an den Rages, den Blind Guardians, den Hammerfalls, den Helloweens dieser Erde. Was den Punk betrifft, fungiert Atlas Losing Grip als echter Augenöffner: Ja, dieser ganze Emo-Bereich ist in Sachen Pathos, Kitsch und Melodieführung von den erwähnten Metal-Abgründen gar nicht mehr so weit entfernt. Deshalb funktioniert dieser Kitsch-Crossover (das an dieser Stelle gerne verwendete Adjektiv „episch“ vermeide ich bewußt, weil ich die für mich da mitschwingende positive Konnotation einfach nicht sehe) auch so vortrefflich: Da ergänzen sich die gedoppelten Gitarren exzellent mit den Ahs und Ohs aus dem Melodycore, das Speed-Geklopfe (das übrigens aus meiner Sicht rein rhythmisch mit dem Punk-Gerumpel nicht so viel zu tun hat) mit der Hymnen-Simplifizierung des Punkrock. Aber es fühlt sich für mich einfach falsch an. Irgendwie genauso falsch wie jene Ausdauer, mit der einem heutzutage ein Typ wie James Last als musikalisch ernstzunehmend um die Ohren gehauen wird. Ich habe da eine klare Sicht der Dinge: Nein, das ist er nicht. Seine Musik ist Mist. Sie war schon immer Mist und wird immer Mist bleiben – weshalb er auch vollkommen zu Recht über Jahrzehnte hinweg als Referenz undenkbar war und dies gerne auch bleiben sollte. Ähnlich sieht dies beim Speed Metal aus – und wenn ich es mir recht bedenke, sollte man mittlerweile auch an das Thema Emo mal wesentlich kritischer rangehen. Als an sich grundsätzlich Falsches, aus dem lediglich wirklich bemerkenswerte, außergewöhnliche Musiker etwas Richtiges herausholen können.

Atlas Losing Grip sind diese bemerkenswerten, außergewöhnlichen Musiker für mich nicht. Ich muss eines klar sagen: Am Stück kann ich mir „Currents“ nicht anhören. Nach vier Stücken ist der Kitschigkeitssiedepunkt erreicht – ganz egal, von welcher Seite ich auch rangehe. Was unter anderem daran liegt, dass die Platte schlicht zu lang ist. Mir wäre wohler, wenn man sich beim Songwriting eher an Stücken wie „Cynosure“ orientiert hätte – Speed Metal unter drei Minuten kann ich verkraften. Emo-Herzschmerz auf fünf bis sechs Minuten ausgewalzt hingegen nicht unbedingt. Und da sind schon ein paar Tränenzieher dabei, bei denen ich nicht so genau weiß, ob ich lachen oder weinen soll – „Kings And Fools“ ragt da besonders heraus, aber auch „Ithaka“ ist nicht zu verachten, hohoho, da wird aber auch alles aufgefahren, was an Pathos im Regal des Kunsthandwerkers zu finden war. Melodien, für deren Plakativität sich auch Blind Guardian nicht schämen würden. Oder eine folkifizierte Seefahrerromantik, die einem immer wieder gerne als als Beispiel für „musikalische Offenheit“ unter die Jacke gejubelt wird, aber bei genauerem Hinsehen einfach nur verschleiert, dass da jemand nicht in der Lage ist, außerhalb der handelsüblichen musikalischen Klischees zu agieren. Hmmnnnmm, grrr. Och nö.

„Currents“ ist via Cargo Records erschienen. Atlas Losing Grip sind auf Tour und zwar da:

28.01.15 (GER) Stuttgart, Goldmarks
29.01.15 (GER) Frankfurt, 11er
30.01.15 (GER) Köln, Underground
31.01.15 (GER) Münster, Sputnik
12.02.15 (GER) Hamburg, Headcrash
13.02.15 (GER) Wiesbaden, Kreativfabrik
14.02.15 (GER) Pforzheim, Kupferdächle
15.02.15 (NEL) Gouda, Studio Gonz
18.02.15 (ITA) Milano, Honky Tonky
19.02.15 (SUI) Solothurn, Kofmehl
20.02.15 (SUI) Bulle, Ebullition
21.02.15 (GER) München, Backstage

www.atlaslosinggrip.com

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