Käsekuchen of Satan – Ghost verändern Hörgewohnheiten
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Kunst, Musik, Veranstaltungen | 29. September 2015Natürlich ist es die naheliegendste Verschwörungstheorie, nach der irgendwie ABBA hinter der ganzen Sache stecken müssen. Da war ja auch nix so, wie es auf den ersten Blick schien. Und ebenso wenig, wie das erwähnte Quartett eine normale Popband waren, sind Ghost eine normale Heavy-Rock-Band (das Wort Metal vermeide ich in diesem Kontext mal ganz bewußt). Womit ich mal dezidiert in Frage stellen möchte, dass Ghost ÜBERHAUPT eine Heavy-Rock-Band sind. Oder ob wir es hier mit einem höchst gezielten Anschlag auf eben jenes Prinzip zu tun haben. In den vielen Auseinandersetzungen, Debatten und Diskussionen, die rund um die neue Veröffentlichung „Meliora“ entbrannt sind, hat mir immer noch die Ansicht der oft (und ebenso oft zu Unrecht) als Hipster geschmähten Pitchfork-Crew am besten gefallen. Weil die – aus meinem Blickwinkel – wenigstens die richtigen Fragen gestellt haben: Wieviel Cheesyness verträgt das Prinzip Heavy-Rock? Was bleibt übrig, wenn man mal den Mummenschanz bei Seite lässt? „When the cloak comes off – and it will, sooner or later – there may not be much left behind“, gibt Andy O‘Connor seine Antwort auf die entsprechenden Fragen. Nun, ich sehe dies nach „Meliora“ ein wenig anders.
Wobei ich gerne zugebe, dass ich tatsächlich erst dieses Album gebraucht hatte, um zu dieser Meinung zu kommen. „Opus Eponymous“ vernahm ich mit einer Kombination aus einem gewissen Interesse und einer gewissen Irritation. Andy O‘Connor wählte dieses Bild von Honig und Essig, um diesen Ghost‘schen Effekt zu beschreiben: Diese offenkundige Diskrepanz zwischen okkulten Habitus und inszenierter Oberflächenhärte auf der einen sowie astreiner Pop-Attitude und offensiver Weichkäsigkeit hatte schon etwas. Ob das aber über den puren Novelty-Effekt hinausreichen würde? Mit „Infestissumam“ beschäftigte ich mich (gefühlte) drei Minuten, dann hatte ich keine Lust mehr. Ghost war erledigt. Doch nur ein Novelty-Gag im satanischen Gewande, der mal für ein kurzes Aufmerken gut war.
Dann kam „Meliora“ um die Ecke und auf einmal hatte ich wieder Bock – wahrscheinlich einfach aus dem Grund, weil auf dieser neuen Platte die erwähnte Diskrepanz wieder wesentlich trefflicher herausgearbeitet war. Und ich wieder vor der Frage stand, was ich nun von diesem Overkill des Kitsches zu halten habe. Das geht mit den ersten Singende-Säge-mäßigen Keyboard-Klängen los, die seit klischeebeladenen Äonen herhalten müssen, wenn es um Gruseleffekte geht – aber ein zufriedenes Grinsen erweckt, weil die Galopprichtung des anstehenden Parforceritts vorgegeben ist: Bitte einmal quer durch den Garten der Rockklischees. Gedoppelte Leadgitarren? Nur zu! Sakrale Chorakrobatik? Her damit! Hardrockende Rifflastigkeit? Aber hallo! Überbordendes Pathos? Kann man nicht genug von haben! Schon der Opener „Spirit“ ist ein Fest für alle Klischeefanatiker (und als solcher sehe ich mich schon) und es soll noch besser werden: Alles, was bei Drei nicht auf dem Baum und in der Nähe des Prinzips Heavy-Rock zu finden ist, wird absorbiert – Psychedelic, Prog, Folk, selbst der Stadion-Rock durfte sich nicht sicher fühlen. Nun ist dies interessant, aber nicht außergewöhnlich.
Dies wird es durch etwas anderes: Durch die vollkommene Abwesenheit von Härte. Ghost spielen genau genommen Softrock mit den musikalischen Mitteln von, ähem, Heavy Metal (dies wird das einzigste Mal bleiben, an dem ich diesen Begriff in diesem Kontext verwenden werde. Versprochen). An „Meliora“ ist nichts, aber auch wirklich gar nichts hart (was die irritierten Reaktionen klassischer Metalheads erklärt, die etwa bei Auftritten im Vorprogramm von Iron Maiden zu verzeichnen waren) – eine allgegenwärtige Hypermelodiosität gepaart mit einem Höchstmaß an Cheesyness erstickt jedes zart aufkeimende Härte-Gefühl im Handumdrehen. Ebenso wenig ist irgendwas an „Meliora“ düster, geheimnisumwoben oder gar okkult-gruslig. Es ist ein bißchen so, als würde man sich, na sagen wir mal „Die Nacht der reitenden Leichen“ anschauen – Gänsehaut macht da nix mehr, auch wenn die Zeitlupen-Inszenierung der untoten Tempelritter immer noch ihren Charme hat. Man darf anhand einiger Aussagen davon ausgehen, dass sich die Band dieser Punkte auch höchst bewußt ist. „Wir sind nicht blöd. Uns ist völlig klar, dass wir alberne Kostüme tragen und halbgaren, seltsam asexuellen Metal spielen“, hatte einer der namenlosen Ghuls im November 2013 dem Visions zu Protokoll gegeben.
Nun, genau dies ist der Punkt: Mit einer unverhohlenen Übersteigerung aller denkbaren, harten Klischees bei gleichzeitiger Brechung dieser mit Mitteln von Pop, Theatralik und (Mainstream-) Kunst verändern Ghost durchaus Hörgewohnheiten. Bring back the cheese in Heavy-Rock. Sozusagen. Nun mag man innerhalb der eigenen Filterbubble darüber philosophieren, ob dies wirklich notwendig ist. Schaue ich mir allerdings mal die aktuelle Debatte darüber an, das Slayer und Iron Maiden nahezu zeitgleich neue Platten veröffentlicht haben, wird die Notwendigkeit schon klar: Ein besonders schick formulierte Auseinandersetzung, die sich allerdings dann auch inhaltlich lediglich im inzwischen ein bißchen langweiligen Aufzeigen des klassischen Metal-Wertkonservatismus erschöpft, rief auf gespenstisch vorhersehbare Weise die handelsüblichen Debatten hervor. Nein, damit meine ich nicht jene Einwände, nach denen mit Maiden hier das falsche Pferd geprügelt wird (dem stimme ich durchaus zu, kann man dieser Band nun auch beim schlechtesten Willen nicht vorwerfen, immer wieder die gleiche Platte eingespielt zu haben) – aber das Gewimmer und Geraune ob der nicht ganz unrichtigen Feststellung, dass Pop-Mainstream partiell in Sachen Sound mehr zu riskieren bereit ist, war schon beträchtlich. Und dann knallen da auch noch Ghost rein, höhlen das Prinzip Härte kompromisslos aus und garnieren das mit einer Pop-Attitude vom Allerfeinsten. Bemerkenswert ist, dass diese Idee aus musikalischer Sicht auf „Meliora“ auch noch richtig gut funktioniert (und nicht nur theoretisch wie bei dem via ZON präsentierten Miley Cyrus And Her Dead Petz, deren Platte ich mir beim besten Willen nicht noch einmal anhören möchte). Punkt 1. Punkt 2: Der im Genre gewohnten Inszenierung von Authentizität und, ähem, Ehrlichkeit wird die gnadenlose Show-Übersteuerung entgegen gesetzt. Die Vergleiche mit Kiss, Alice Cooper und wegen mir auch King Diamond lasse ich mir gern gefallen, muss allerdings einwenden, dass Ghost offenkundig keinerlei Interesse an Schockeffekten haben – dass sich diese in manchen Regionen der USA ergeben haben, geht wohl eher als Betriebsunfall durch (man sollte immer bedenken, dass die Band aus Schweden kommt und irgendwie lockt man in Europa mit dem Thema Satanismus nicht mal mehr den Klerus nachhaltig hinter dem Ofen vor). Okkultismus ist aber einfach ein perfektes Thema, das ideale Rockmusik-Klischee. Und so wird er inszeniert mit dem ganzen Brimbamborium, der einem jenes Lächeln auf das Gesicht zaubert, das man auch bei „Die Nacht der reitenden Leichen“ hat. Dieser Zirkus mit dem ständig wechselnden Papa Emeritus, der selbstredend gar nicht wechselt. Das offenkundige, weil gern gedroppte Kokettieren mit dem Prinzip „Musical“ (darauf wäre ich dann aber wirklich mal gespannt – Angst vor Musicals hin oder her). Nein, da muss dann eigentlich auch nichts mehr hinter den Masken stecken. Mir genügt aktuell, wenn eben diese Masken lange genug oben bleiben.
PS: Die offen bleibende Frage, inwiefern sich da bewusst in Gang gesetzte Prozesse abspielen, muss auch offen bleiben. Oder erwartet irgendjemand von einer offenkundigen Inszenierung eine ehrliche Antwort? Nene, so naiv sind wir hier nicht. Und eigentlich ist es mir auch egal. Klar fühlt es sich für einen Popkultur-Nerd besser an, wenn da einer mit Bewusstsein am Werk ist. Aber ich nehme gerne auch Unbewusstes, wenn es so fetzt und funktioniert.
„Meliora“ von Ghost ist via Spinefarm/Universal erschienen.
Die Band ist unterwegs und zwar (unter anderem) da:
14. November – Kopenhagen, Amager Bio
16. November – Köln, Live Music Hall
18. November – Luxemburg, Luxemburg Den Atelier
19. November – Genf, L’usine
20. November – Wien, Arena
4. Dezember – München, Backstage
5. Dezember – Utrecht, Tivoli Vredenburg
8. Dezember – Antwerpen, Trix Hall
9. Dezember – Dortmund, FZW
10. Dezember – Hamburg, Markthalle
Foto: Label