Das Gesetz der Serie – Haldern 2015
Text: Klaus | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 8. Oktober 2015Irgendwann hat jedes Warten mal ein Ende. Am 13. August war es endlich soweit: Donnerstag, Start des Haldern Pop Festivals 2015, für das sich die Mehrzahl der Besucher das Ticket bereits im Vorjahr organisiert hatten. Nervenaufreibendes Warten bei der Onlinebestellung oder in den Schlangen an den wenigen Vorverkaufsstellen. Endlich öffneten sich die Tore zu Kirche und Spiegelzelt mit der Byzanzbühne am Biergarten davor. Das Wetter herrlich, blauer Himmel, Sonnenschein.
Locker flockig eröffneten Puts Marie im Spiegelzelt. Schön eingefärbt fällt das Tageslicht durch die bunten Scheiben des historischen Varietezelts.
Etwas rockiger schrammelten sich White Fence durch ihr Programm auf der Biergartenbühne, vor der sich schon eine stattliche Menge versammelt hat.
Etwas gefühliger darauf Dotan im Zelt.
Und dann nahm der Reigen der Publikumslieblinge seinen Lauf. Eben jenen haben gerade auch die jungen Kölner AnnenMayKantereit mit gar nicht mal so plumpen Texten in der Muttersprache und der erstaunlich tiefe Stimme von Frontmann May. Kennt man sie aus dem Radio vermutet man eher eine Tom Waits-artige Erscheinung und nicht so einen jungen schmächtigen Hüpfer, der offensichtlich noch nicht die Säuferkarriere hinter sich hat, nach der er anhört.
Nicht ganz zu unrecht sind Ibeyi die Feuilletonlieblinge der Saison. Unbeschwert, minimalistisch mit den Stimmen stets im Mittelpunkt. Für zwei so junge Künstlerinnen eine enorm starke Bühnenpräsenz, die die Aufmerksamkeit im Raum und draussen vor der Leinwand auf sich zog.
Mit Dan Deacon stand der erste alte Bekannte auf der Bühne. Schon 2010 rockte er das Zelt mit seinem Electrotrash. Herrlich auch diesmal, mit Tanzwettbewerb, Choreografie mit links und rechts, oben, unten. Quirlige Massenbespassung galore!
Ringelpietz hoch drei. Partystimmung bis in die letzte Reihe.
Bedächtiger ging es bei Rootsblueser Benjamin Booker zu. Zeit zum Durchatmen nach dem bewegungsintensiven Auftritt davor. Trotzdem klasse.
Mit Bilderbuch war dann wieder Bewegung, Mitsingen, -gröhlen und Gekasper angesagt. Unterhaltsam und die Masse machte mit. Dank Radiopräsenz war auch ein Großteil des Publikums textsicher.
Someday Jacob überraschten mit abgehangenem, aber nicht verstaubtem, Folk aus Bremen.
So richtig neugierig waren wir auf den Auftritt von Public Service Broadcasting. Wie bringen sie ihre fiebrig zappelige Copy & Paste Mixtur zwischen Post- und Krautrock zur Aufführung? Und siehe da mit einem Schlagzeug als Taktgeber, ein paar elektronischen Helferlein, Keyboard und Gitarre funktionierte das ganz wunderbar. Konsequenter Weise verliessen sie ihre Parallelwelt nicht für anbiedernde Ansagen und hatten ein paar Floskeln wie „Hello“, „Thank You“ und „Haldern Pop“ zuvor vokoderverfremdet ins Effektgerät geladen, sodass diese an passender Stelle abgerufen werden konnten. Grandioser Abschluss des ersten Tages.
Der Samstag startet geradezu klassisch mit Cantus Domus in der Dorfkirche „St. Georg“. Funktioniert natürlich bestens in solch würdigem Rahmen.
Cantus Domus & Stargaze, beide im letzten Jahr schon dagewesen, aber diesmal auch mit ein paar Stücken in Kooperation. Sehr lohnende Klangsuche. 2014 hatte Stargaze neben seiner eigenen Show auch mit My Brightest Diamond zusammengearbeitet. Diesmal nun mit dem Chor aus Berlin und am Sonntag beide gemeinśam mit The Slow Show auf der Hauptbühne. Zu dem Zeitpunkt wussta aber noch niemand das dieser Höhepunkt der Veransatltung aufgrund des Dauerregens vor nur wenigen Hartgesottenen statfinden würde. Leider!
Einen kleine Kurzauftrit gab es dann noch von Soak. Leider nur ein paar Lieder solo vorgetragen. Besonders beeindruckend in diesem hohen Hause mit seiner lang nachhallenden Akustik. Später am Tage stand Bridie Monds-Watson dann mit Band auf der Bühne des Spiegelzelts.
Tor Miller, Junspund aus New York mit Vorliebe für oldschooligen Soul und Klavier.
Conor O’Brien mit seinen Villagers sind mittlerweile auch schon gern gesehene Stammgäste. 2013 quasi Headliner auf der großen Bühne und diesmal wie 2010 auf eigenen Wunsch wieder im Zelt. Klar sind hier die Konzerte eindringlicher, intimer, nur leider passen nur knapp 500 Zuschaer rein. Ein Dilemma für sicher nicht wenige Musikliebhaberinnen und -liebhaber.
Intergalactic Lovers eröffnen endlich die Hauptbühne im Freien und rocken leicht angefolk ordentlich los.
Etwas bedächtiger aber sehr eindringlich waren Liam ó Maonlai & Peter O’Toole, wobei Letzterer den meisten von den Hothouse Flowers bekannt sein dürfte.
Deutlich durchgedrehter gerieht der Auftriitt der Isländer Mammút.
Wenn die Wolke weg ist scheint die Sonne. Boaaargh, was fürn Kalauer….
Alcoholic Faith Mission haben schöne kleine Pophymnen im Gepäck, von den sich die eine oder andere auch gern mal als Ohrwurm einnistet.
Das Britpop doch nicht tot ist beweisen in diesem Jahr die DMA’s. Eine kleine Fußnote ist dabei die Herkunft aus der ehemaligen Kolonie Down Under. Interessanter Weise war das Trio live zum Quintett angewachsen.
Obwohl aus dem Mutterland des Britpop bewegt sich Kate Esther Calvert alias Kate Tempest in ganz anderen Gefilden. Hip Hop, Rap, Spoken Word die Grenzen verwischen. Explizides Sendungsbewußtsein, klare Worte an Staat und Volk, denn Veränderung beginnt bei jedem Einzelnen.
Soak das zweite Mal am Tage. Neben Kate Tempest als etwas leisere Stimme der jungen Generation aktuell gefeiert.
Olli Schulz ist natürlich Profi und würde er seine eher nachdenkliche Platte einfach so runterspielen blieben die Leute wahrscheinlich mit einem Kloß im Hals verdutzt vor der Bühne zurück. Nein nur nicht zu viel Wehmut oder Sinnieren, ordentlich kaspern, stattliches Laufprogramm absolvieren und dann doch immer mal ein schmissiger Song.
… und Ballons.
Rae Morris
Ein, wenn nicht das Highlight des Festivals war der Auftritt der Savages. Auch wenn die Platte schon zwei Jahre alt ist, immer noch zwingend, düster, energiegeladen. Die neuen Songs ließen hoffen.
Jehnny Beth beim Bad auf der Menge.
Sunset Sons, eine prototypische Haldernband: Vollbart, Wanderklampfe, noch nicht so bekannt, aber mal schauen.
Nils Frahm ist auch ein alter Bekannter, zuletzt mit Anne Müller 2011 im Zelt, diesmal mit viel Equipment auf der Hauptbühne und inoffizieller Start der Erased Tapes Trilogie, denn es folgen noch die Labelkollegen Kiasmos und Douglas Dare. Vor Jahren gabe es mal ein Labelspecial im Spiegelzelt und seither verging fast kein Jahr ohne eine kleine Abordnung der Labelfamile. Das kann auch gern so bleiben.
Postpunk schleicht sich ja gern mal in das Schaffen von Gitarrenbands ein doch so lupenrein wie bei Viet Cong, kombiniert mit ordentlichen Songideen findet man ihn nur selten.
Kiasmos, die Synthiekoop zwischen Pianist Ólafur Arnald und Bloodgroup Elektroniker Janus Rasmussen entließen das Publikum wippenden Fußes vom Reitplatz.
Tora besorgten dann das Finale im Zelt und zwar gar nicht mal so schlecht.
Roher, ungestümer starteten Heisskalt in den dritten und letzten Tag des Festivals.
The Districts waren zwar erst im Vorjahr hier, aber warum nicht. Kraftvoller Gitarrenrock/-pop mit Schmiss.
Nachdenklicher, melancholischer dagegen Douglas Dare. Hymnische Songs zum Piano, nur unterstützt von einem Schlagzeuger.
Empathie im Spiegelzelt- / tent
Gleich hintendran The Bronze Medal, auf dem Slot von Bernd Begemann, die zuvor schon in der HaldernPop Bar aufspielten, aber da passen so wenig Leute rein, dass wir uns das nach ein paar vergeblichen Versuchen in der Letzten Zeit immer gespart haben. Umso schöner, dass wir die Bronzemedaillisten doch noch sehen konnten.
Dannach ausufernde Show auf der großen Bühne: Family Of The Year
begeistern vor allem die Niederrheinerinnen in den ersten Reihen.
Und dann fing das Sopektakel mit dem Wetter an. Reichhaltiger Niederschlag verdarb die erste Hälfte des Auftritts von Father John Misty, doch nicht alle waren auf diese Sturzbäche vorbereitet. Leider. Doch es sollte noch diocker kommen…
Schön ins Zelt geflüchtet konnte draussen die Welt untergehen. Drinnen Countrypop von Delta Rae. Mmmh.
Draussen spielten inzwischen The Slow Show zusammen mit Stargaze und Cantus Domus. Dabei sollte das sicher so ein denkwürdiger Festivalauftritt werden wie vor zig Jahren der von The Divine Comedy mit dem heimischen Sinfonieorchester. Doch Petrus hatte was anderes vor und wir kapitulierten. Leider leider. Drinnen stzte dann Steve Gunn den musikalischen Reigen fort.
Aus was besteht wohl der Boden wenn die Location „Alter Reitplatz“ heißt?
Nachdem der Regen nachgelassen hatte kamen einige, nun besser gekleidet, aus ihren Zelten, Wohnmobilen und Wohnungen zurück. Gtreu dem Motto: Es gibt kein schlechte Wetter, nur unpassende Kleidung.
Willens sich den Rest des Tages nicht von etwas Wasser versauen zu lassen.
Und die Zurückgekehrten wurden von Laura Marling belohnt. Sehr schöner getragener Singer-/Songẃriter Folk. Und da ich mit den Rückverweisen einmal angefangen habe: 2010 das letzt Mal hier.
dEUS kommen ja quasi aus der Nachbarschaft und 2004 an selber Stelle. Immer großartig, immer gern genommen. Auch so kann niveauvolle erwachsene Rockmusik ohne dumme Klischees aussehen.
Massenandrang vor der Hauptbühne.
Courtney Barnett: jung, frech, schmissig, selbstbewußt. Feinster D.I.Y.-Indierock alter Schule mit frischem Blut wiederbelebt. Auch in Highlight!
Ein würdiges Finale auf der Mainstage bescherten uns dann The War On Drugs. Ebenso verschrobener, wie eingängiger Psychedelicrock mit folkiger Gründung. Angenehmes Eintauchen, wegschweben, Rundflug inklusive. Sehr schöner Kehraus.
Und zu guter Letzt im Zelt dann noch ein Paukenschlag zum Rausschmiss. Wenn ich die Ansage von Herrm Barmann richtig verstanden habe der erste Auftritt von Magnus überhaupt in unserem Lande. Gespannt war ich auch, wie das Duo aus dEUS-Frontmann Tom Barman und Dance-Produzent CJ Bolland ihre fiebrige Tanzmucke auf die Bühne bringen. Zu Fünft standen sie dann also auf der Bühne und zum Schluss kam noch der dEUS-Kollege am Bass dazu. Da waren es dann Sechs und das Spiegelzelt bebte. Herr barman flitzte von einem Bühneneck ins gegenüberliegende und wieder zurück, kleier Satz über den Sicherheitsgraben, ran ans Publikum. Ja, so sollte das sein. Das hölzerne Gerüst bebte und offensichtlich hatte nicht nur ich, sondern auch alle Anderen eine gute Zeit und waren genauso geknickt, als wir in die kühle Nacht entlassen wurden.
Und noch etwas einte uns: die Gewissheit, dass nicht nur die besten Bands gerne wiederkommen, sondern auch wir.
Kein Wunder, dass der Onlinevorverkauf fürs nächste Jahr bereits am 1.Oktober, dem Tag des Verskaufsstarts, mit Ausverkaufsmeldung abschlossen wurde. Nächste Chance dann an den üblichen Vorverkaufsstellen im Januar 2016…
Noch mehr Bilder von 2015 hier und von einigen Jahren davor hier.
alle Fotos: K. Nauber