Roskilde 2017: Paris Syndrom galore

Text: | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 8. Februar 2018

Was früher der Almab- oder auftrieb, die Völkerwanderung, der Pilgerpfad waren um Menschen zwecks Erleuchtung zusammenzuführen, sind heuer Festivals. Okay so neu ist die Erfindung nicht, Roskilde gibt es seit 1972. Auch dieses Jahr wieder friedlich und hochgradig kulturgeladen, was man von kaum einer der vorgenannten Massenmobilmachungen der Vergangenheit sagen kann.

Roskilde, Dänemark nach einigen Stunden Auto- und Kahnfahrt. Die Dauerparty läuft schon seit Samstag 24.06. Da gab es zur Eröffnung eine Wikingerparty mit entsprechender Musik und Feuerchen. Aber jetzt hier am Dienstag (27.06) Abend ist man immer noch oder schon wieder bester Stimmung.

Auf der Risung Bühne im westlichen Campingplatzzentrum erquicken seit Sonntag diverse Nachwuchsbands, hauptsächlich aus Skandinavien, die früh angereisten Zuschauer. Hier: Ştiu Nu Ştiu aus Schweden.

Das Volk ist nicht nur dabei, sondern geht auch entsprechend mit.

Dør Nr. 13 haben sicher die eine oder andere Oasis-Platte im Schrank. Indiepop mit Postpunknote.

Rising Stage

Ja auch für das leibliche Wohl ist gesorgt. Obststand

The Love Coffin wandeln auf etwas düsteren Spuren. The Cure-Gedächtnisgitarre und sanft gecroonte Zeilen.

Die zentrale Campingplatzallee an der sich von der Rising Bühne nordwärts die einzelnen Campparties aneinanderreihen.

Party Time Excellent

Mittwoch 28.06.: Los geht’s! Knapp 200 Künstler singend, musizierend, auflegend, knöpfchendrehend, sprayend, bildend oder wie auch immer performend buhlen um die Gunst des Kunden. Quasi das komplette coole Dänemark ist angereist und feiert sich und das alljährliche Klassentreffen. Und der Gast steht vor der Qual der Wahl:

Warpaint, Phlake oder Idels? Unsere Wahl fiel auf der Erstgennaten, wie unschwer zu erkennen ist. Schöne neue Platte, die Band gut bei der Sache, rundum gelungene Show.

In der überdachten Fressmeile schon wieder Entscheidungen: Köttbullar, Burger, Salat oder doch frittierte Insekten?

Marching Church, das neue Projekt von Iceage-Sänger Elias Bender Rønnenfeldt hat natürlich ein Heimspiel.

Red Fang: Straight geradeaus, etwas schlierend, druckvoll, mitreißend. Hammer!

The Weeknd

The Hellacopters

Justice

Lorenzo Woodrose der Frontmann von Baby Woodrose mit einem Akustikset, das wohl hauptsächlich aus Coverversionen bestand, deren Originale ihm seit frühen Tagen wichtig sind. Passend dazu die Soloplatte „Galmandsværk“ unter seinen bürgerlichen Namen Uffe Lorenzen.

Biergarten

Post Hardcore aus Bergen (Norwegen): Karina Ljone von Blood Command zeigt den anderen Growlern was ’ne Harke ist.

Merch

Graffiti

Sam Herring und seine Future Islands: Immer ein Erlebnis! Großes Kino.

Zu zweit etwas verloren auf der Riesenbühne: Royal Blood.

Immer ein intensives Erlebnis: Oathbreaker, die düstere Macht aus Belgien.

Wartburg 353

Apollo Stage

Recycling

Erasure als Überraschung. Natürlich Pflicht bei Achtziger Sozialisation. Ja die Luft wird auch mal knapp. Aber wer kann schon so viele Hits am Stück hintereinanderreihen? Kann man machen. Nicht nur der alten Zeiten wegen.

Elektrisches Einhorn

The XX, diesmal komplett und sehr souverain. Was soll da schief gehen? Super Platten, Publikum textsicher…

Tim Darcy Ought

Eine Klasse für sich: The Jesus & Mary Chain. Lärm, sorry: Noise, Nebel und Feedback. Jugenderinnerungen inklusive. Die Stücke der neuen Platte schließen aber nahtlos an das epochale Frühwerk an. Ein Muss!

Freitag 30.06.: Zauberhafter Start in den Tag mit Karen Elson. Leider ist neue Platte eher dem Country zugeneigt als im Vaudeville verankert wie der Vorgänger.

Etwas lauter: Of Mice & Men

Ein sehr schönes Konzert gab Angel Olsen. Begleitet von einer größeren Band im Stile eines Swing- oder Countryorchesters. Alle in Hellblau mit Rüschenhemden. Die leiseren Töne blieben bei der Opulenz etwas außen vor und man kann nur hoffen, dass der intime Charme ihrer Soloauftritte sich in Zukunft noch in ihren Konzerten finden läßt.

Regen

Against Me!

Trentemøller

Die ganz große Rockshow natürlich mit den Foo Fighters und Dave Grohl.

Main Stage

Nicht weniger großartig: Lorde

Wartende

Vorfreude

Cult Of Luna . Bombastisch!

Quirlig, verspielt: Noga Erez

Samstag 01.07.: Pig Destroyer. Alter, was haben euch denn denn die armen Schweinchen getan?

Zahnpflege muss sein. Ordentlich mit Bier runtergespült und der Tag kann kommen.

Die Kuscheltypen beim Plausch am Merch. Im Hintergrund die Pissrinne…

Experimentell, vertrakt, verhuscht: Circuit Des Yeux

Jenny Hval brachte ihr Konzeptalbum „Blood Bitch“ zur Aufführung. Es war eher artifizielle Performance als Konzert. In seiner Symbolik für den Uneingeweihten schwer zu durchschauen, die Musik sperrig, aber mit vertreuten Höhepunkten.

Ja nach Regen kommt irgendwann auch Sonne, aber bis dahin sieht der Boden eben aus, wie er aussieht.

Triple Ping Pong

Slowdive, nicht mit einem Album des Jahres, sondern auch mit einem Konzert des Jahres!!!

Gleich nebenan war Schluß mit Einkehr und softer Umwölkung. Shouter McKenney suchte Publikumskontakt und das High Energy Label im Konzertplan war vollkommen berechtigt. (Grins)

Etwas weniger Action bei Neurosis. Dafür mit Tiefgang.

Für mich die Entdeckung in diesem Jahr: Priests. Herrlich ungestümer Indiepunkpop. Katie Alice Greer als energiegeladene Rampensau mal Furie, mal keck mit dem Publikum flirtend. Drums ebendfalls weiblich besetzt, am Bass ein Milchbubi und an der Gitarre ein frank Black Wiedergänger scheinbar doppelt so alt, wie der Rest der Band. Spitze!

Noch mehr alte Haudegen bei Anthrax. Die Achtziger nehmen kein Ende.

Wie der Herre – so’s Gescherre.

Der alles vereinende Großauftritt des kanadischen Wanderzirkus‘ Arcade Fire. Viel los auf der Bühne, alle Hits, alle singen mit.

Nebenher noch der Auftritt der elektrifizierten Baby Woodrose im Kontrast zum Soloakustikauftritt des Frontmannes Lorenzo am Donnerstag. Schleppender Bluesrock mit psychedelischer Breitenwirkung.

Als absoluter Rausschmeißer auf der Hauptbühne dienten in diesem Jahr Moderat und Modeselektor.

Die einzigen deutschen Bands auf der Orange Stage an die ich mich erinnern kann waren in den letzten 18 Jahren Seeed, Kraftwerk und Rammstein.

Für uns klingt das Festival im Gloria, der kleinen Scheunenbühne, mit Atomikylä aus. Finnischer Noise mit Mitgliedern von Oranssi Pazuzu.

Geschafft, platt und gerädert, aber auch die kulturellen Batterien wieder voll aufgeladen. Schön! Eigentlich wie immer.

www.roskilde-festival.dk

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