Haldern 2018: Das 35ste.
Text: Klaus | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 24. November 2018Armbändchentausch
Poptalerumtausch
Der Weg von der Autobahn führt über flaches Land, sattes Grün, immer mal ein paar Bäume und auf den Weiden stehen abwechselnd immer mal ein paar Pferde oder Kühe. Die Häuser sind überwiegend in dunklen Ziegeln gehalten mit flach geneigten Dächern. Die Entschleunigung greift also früh. Doch zur Begrüßung auf dem Campingplatz öffnet der Himmel nochmal alle Pforten und schüttet aus, was er hat. Fünfzehn Minuten Platzregen und wir verharren noch kurz im schützenden Vehikel. Zum Glück war es das dann auch mit dem Niederschlag für die anstehenden drei Tage. Zum Glück, denn wir müssen uns ja auf die Musik konzentrieren und stets die Uhr im Auge behalten um uns rechtzeitig am nächsten Hotspot anzustellen, denn die Fassungsvermögen von Spiegelzelt, Jugendheim, Kirche, Popbar und Keusgenstudio sind begrenzt. Alles zu sehen ist also nicht drin, dann mal schnell Prioritäten gesetzt und ab dafür.
Donnerstag 09.08.2018:
Los gehts im katholischen Jugendheim. Kurzfristig eingesprungen verzauberte hier der Neuseeländer Jonathan Bree mit aus der Zeit gefallener Musik und ausgefallener Inszenierung.
Katholisches Jugendheim
Zweiter Stop nach kurzer Kaffeepause zurück im Jugendheim: Hannah Williams & The Affirmations überrollten mit körperlichem Soul die agetretene Zuhörerschaft.
Zu Herzen ging danach der verhuschte Indiepop im Zelt von Big Thief.
Public Service Broadcasting diesmal auf der großen Bühne uns siehe da, auch das funktioniert. Die Mischung aus Livemusik und eingespielten Ton- und Filmschnipseln sitzt perfekt.
Haifisch
Ganz anders, weniger artifiziell, dafür näher an den Wurzeln und der Straße: Einmannarmee Reverend Beat Man diesmal mit Unterstützung durch The New Wave. Herrlich dreckig, zum Schunkeln und erste Tanzbewegungen auf der Stelle.
Dirty Projectors: Breitwandindiepop mit gößerer Geste.
Weniger Geste, mehr Inhalt bei Kevin Morby.
Broen aus Norwegen zelebrieren ihre Show mit aufwenigen Kostümen und ausgefeilter Choreographie.
Danach großes Theater auf der Hauptbühne: Mario Batkovic & Friends heißt, der schwer einzuordnende experimentelle Akkordeonspieler wurde von Hinz und Kunz unterstützt. Mit dem Haus- und Hofchor Cantus Domus war dann auch die Bühne voll. Und die eh schon soghafte Wirkung des Drone und Soundscapespektakels wurde nochmal auf die Spitze getrieben. Imposant, auch wenn man sonst nicht soviel mit Quetschkommodenklängen anfangen kann.
Ganz anders die Russen von Shortparis. Vertackter, melancholischer Postpunk, bei dem immer mal ein Ruck durch Publikum ging.
Freitag 10.08.2018:
Taxi, leider schon besetzt
Schlange vor St. Georg
Doch das warten hat sich gelohnt: Jade Bird verzauberter mit jugentlicher Spielfreude und charmanter Geschwätzigkeit.
Mehr Understatement bei den The Barr Brothers. Folkrock vom Feinsten. In der heiligen Halle perfekt inszeniert.
The Barr Brothers & Stargaze
Stargaze Chef André de Ridder im Gespräch mit Greg Saunier von Deerhoof. Letztere hatten die Aufgabe Fugazi Songs zur Darbietung mit Orchester umzustricken. Erschwerend kam hinzu, dass Deerhoof bisher gar nicht so viel mit den Post-Hardcore Helden aus Washingston am Hut hatten.
Stargaze spielt Fugazi
Kirche
The loneliness of the barbeque area griller
Sampa The Great
Curtis Harding ließ die Siebziger wieder aufleben. Perfekte Show. Schönste Brille.
Housewives
Stargaze Hip Hop Challenge, hier mit The Lytics am Mikro.
Stargazemusikerinnen
Entspanntes Leben vor der Hauptbühne, auch deshalb ist das Festival so beliebt.
Angedüsterte Singer-/Songwriterin Hope im Spiegelzelt
Der Apfel fällt manchmal doch nicht so weit vom Stamm: Seun Kuti & Egypt 80
Background Sängerinnen
Deerhoof durften dann doch auch ohne Unterstützung noch selbst musizieren. Wie immer mitreißend und ein großer Spass.
Villagers, oder besser Conor O’Brien verzauberte einmal mehr das Publikum. Kein Wunder die neue Platte ist der Hammer und das Frühwerk sowieso. Gediegen und zu Herzen gehend.
Hein Fokker
The Lytics kochen das Zelt auf.
Festivalgelände
Nils Frahm ist ja mittlerweile eine Klasse für sich. Grenzgänger zwischen Klassik und Pop. Inzwischen schlägt das Pendel eher zu Letzterem aus. Das reduzierte Solopianospiel tritt hinter Sequenzer und Drummachines zurück. Dennoch beeindruckend und einnehmend.
Samstag 11.08.18.
Fortuna Ehrenfeld eröffnet den Reigen am letzten Tag. Verspulter Songschreiber, Gossenpoet mit viel Herz und bei genauem Hinhören auch gar nicht so doof. 70er Schlager ala Stephan Suhlke in Katerstimmung. Undankbar natürlich der Slot am Mittag.
Der Preis für die schicksten Hausschuhe geht natürlich an Fortuna.
Szenenwechsel: Protomartyr. Joe Casey meckert wie Mark E. Smith über ein fettes Soundbett aus bretternden Gitarren. Der perfekte Soundtrack zur aktuellen Unzufriedenheit. Auf dieser Schiene auch Brüder im Geiste mit den Sleaford Mods, die später am Tag uns noch den Abend abrunden werden. Sehr sehr schönen Doppelpack.
Love A
Jenny Lewis: entspannter Folkpop, der charmanten Sorte. Inszeniertung: amerikanisch.
Auf der Picknickdecke kann sich der Tag langsam entwickeln…
Ganz anders: White Wine. Frontmann Joe Haege (Tu Fawning, 31 Knots) ist ein Getriebener. Die Verstörung des Publikums gehört zum Konzept. Gerade deshalb auch großes Kino und ein richtiger Schritt, die Band, die erst im letzten Jahr in der festivaleigenen Popbar zugegen war diesmal ins Zelt zu holen.
Das komplette Zelt wird bespielt, hier auch mal aus der Ehrenloge der Beteiligten.
Nochmal die Siebziger, oder was auch immer. Irgendwie aus der Zeit gefallen: Lemon Twigs und ihre Hits.
Noch ein Neuseeländer: Marlon Williams hat mit Make Way For Love dieses Jahr nicht nur ein zauberhaftes Crooneralbum herausgebracht, sondern mit dem Song „Nobody Gets What They Want Anymore“ auch das Duett der Saison mit Aldous Harding, die erst im letzten Jahr in Haldern zu Gast war.
Gisbert zu Knyphausen
Phoebe Bridgers mal zart, mal zupackend, stets berückend und überwältigend.
Nochmal Südhalbkugel und zwar psychedelisch und mit jeder Menge Spielfreude befeuert: King Gizzard & The Lizard Wizard. Ein großartiger Auftritt. Leider hab ich dadurch Amyl and The Sniffers im Zelt verpasst, aber zum Glück spielten die kurze Zeit später auch in unserer Heimatstadt. Sollen aber das olle Zelt ordentlich durchgewackelt haben.
Mainstage
Rolling Blackouts Coastal Fever: Indypop der entspannten Art. Die Küste nicht nur im Bandnamen, sondern auch im Herzen.
Irgendwann erklärt irgendjemand mal Kettcar den Unterschied zwischen gut und gut gemeint….
Düsterer Postrock oder besser Noise ohne Gesang: Schnellertollermeier
Sleaford Mods: herrlicher Gossensprech aus Nottingham, die Stimme des kleinen Mannes ohne Filter auf bollernden Beats. Spitzenbühnenshow: der Eine giftet sein Inneres nach außen, der andere steht mit nem Bier am Laptoptop drückt auf „Play“ und zappelt ansonsten auf der Stelle. Herrlich!!
Zum Ausklang mit Ariel Pink noch ein Verrückter, ein Getriebener, ein Gefangener im eigenen Kosmos. Speziell aber auch immer wieder faszinierend. Ein schöner Ausklang und wieder einmal sind drei Tage rum, die schöne Zeit vorbei und wir müssen uns auf den Heimweg machen. Das war also das 35. Jubiläum, da haben wir noch gar nicht drüber geredet. das 25. und 30. sind noch gar nicht so lange her. Gefühlt. Wichtig ist nur, dass die treuen Organisatorinnen und Organisatoren, Mitarbeiterinnen und Mitstreiter bisher durchgehalten haben und es auch weiterhin so halten wollen. Das feine Näschen für musikalische Entdeckungen kann man auch dieses mal wieder loben und sicher sein, dass sich das im nächsten Jahr wiederholt. Wir wären wieder dabei!
Noch mehr Bilder aus den vergangen Jahren findet Ihr in den entsprechenden Ordnern hier: www.flickr.com/photos/personanongrata/albums
alle Fotos: K. Nauber