Kühle Nächte
Text: Redaktion | Ressort: Musik | 22. Oktober 2019„Denn im Kummer liegt Hauptquelle des Elends. Aber es gibt auch für ihn und die übrigen Erkrankungen der Seele nur eine einzige Heilungsmöglichkeit, nämlich die Erkenntnis, dass alles auf Einbildung und Freiwilligkeit beruht und nur deshalb hingenommen wird, weil man es für richtig hält.“
(Marcus Tullius Cicero, Tuskulanische Gespräche, 45 v. Chr., viertes Buch, letzter Abschnitt)
Die Band Isolation Berlin hat nach ihrem eskapistischen Debut-Album, „Und aus den Wolken tropft die Zeit“, offenbar den Nerv einer Generation um die Zwanzig getroffen – jedenfalls nehmen das jene Medien an, die sich kommerziell mit der Jugend-Kultur befassen. Ich spreche von dem Umstand, dass Isolation Berlin, wie auch SängerTobias Bamborschke, mit seinem Buch “Mir platzt der Kotzkragen”, im letzten Jahr auf eine von Axel Springer Verlag (ASV)/Musikexpress, beziehungsweise Henkell-Freixenet finanzierte Tour gegangen waren.
“Help! / I need somebody / Help! / Not just anybody / Help! / You know I need someone / Hee-eelp!”(1)
Dass die Musik von Isolation Berlin kein Spaß ist, keinen doppelten Boden, nichts Unschuldiges hat, obwohl es um nichts Greifbares geht – außer vielleicht um Desintegration und Flucht ins Neue, ins Unbekannte und Zukünftiges – , das ahnte ich schon. Ja, das ist sympathisch. Diese positiven Vibes, die sich unter jungen Menschen rasch mitteilten, entgingen auch den schlauen Headhuntern vom ASV, dem Medien-Unternehmen, dem mittlerweile (mit Metal-Hammer, Rolling Stone – Deutschland und Musikexpress) große Teile der deutschen Rest-Popmusik-Print-Presse gehören, nicht. Und der ASV möchte zudem mit seiner wachsenden Macht auf Internet-Modelle wie Leistungsschutzrecht und „Verimi“***** offenbar gern auch Einfluß auf einige der Unbedarften, sowie die Mehrheit der braven jugendlichen Content-User, ausüben. Tatsächlich steht der ASV kurz davor als größter und einer der wenigen echten Profiteure aus diesem Krieg mit den US-Internetgiganten hervorzugehen. Und auch, wenn es für User schwierig sein sollte, im Zeitalter des erzwungenen Finger-Prints ein Medium zu finden, dass kommerziell und politisch keinen Makel hätte, so sehe ich im Agieren des ASV den Künstlern gegenüber viele Nebelkerzen und Fallenstellerei. Tobias Bamborschke im Interview mit der taz* 2016 – auf die Frage: „Gibt es Sachen, die ihr nicht machen würdet, um von Eurer Musik leben zu können? Bundesvision Song Contest? Grand Prix? Werbespots? Oder ist das heute alles egal?“ – klipp und klar antwortete: „Nein, natürlich ist das nicht egal. Du kannst nicht auf dem NPD-Parteitag spielen. Wir sollten ja mal Werbung für Backfactory machen. Haben wir auch abgesagt. Bundesvision Song Contest würden wir auch nie machen. Es gibt Grenzen, selbst wenn unser Label das wollte.“
“People try to put us d-down (Talkin‘ ‚bout my generation) / Just because we get around (Talkin‘ ‚bout my generation) (2)
Erkenntnis offenbart sich heute teils nicht mehr, da die Jugend nicht mehr offensiv abfällig behandelt, sondern subversiv kommerziell abgezockt und abgehängt wird. Offenbar scheint der Axel Springer-Verlag heute bei jungen Bands wie auch Labels, diesbezüglich keinen besonderen Argwohn zu erregen – unter anderem der spärliche Kontakt junger Menschen mit den alten großen Print-Dinosauriern könnte ein Grund für diese Nachlässigkeit und Fehleinschätzung sein. Die Grenzen scheinen für Isolation Berlin also schwerer sichtbar; ich persönlich fände Backfactory und Staats-Songcontest vielleicht auch super peinlich, aber weniger schlimm, als mich von Springer am goldenen Nasenring durch die Manege führen zu lassen, sprich sie eiskalt gewinnbringend zu vermarkten und nebenbei inhaltlich irrelevant respektive lammfromm zu machen: Wenn man die naiven Jungs von Isolation Berlin dabei beobachtet, wie sie für Springers Musikexpress vermeintlich harmlos eine Plattenkiste besprechen (dürfen), in der sich versteckte Kommerz-Labels verbergen, könnte man Mitleid bekommen. Dann kommt ein guter Song und alle wundern sich. Uups, wieso haben wir diese schrecklichen Songs hier eigentlich jetzt angehört? Ja, Springer kann man nicht mit dem NPD-Parteitag vergleichen, nicht einmal mit einem AfD-Parteitag. Stimmt, Springer fördert viel perfider die neoliberalen Eliten und benutzt eine zivilisierte Sprache – ausser im Umgang mit Konkurrent Google. Zudem schreiben beim ME jetzt auch Ex-Intro und Spex-Leute, daneben lassen sich auch die Ärzte oder Sido dort besprechen; also alles gut, Niveau garantiert?
Bestimmt, denn da ist zum Beispiel Linus Volkmann, der, wie man jetzt regelmäßig lesen kann, dort sein „Heimweh to Hell“** als Kolummnist auslebt. Was er so schreibt, von Springer aus Richtung gegen Rechts? Dies zum Beispiel***: „Beim geschassten „Spiegel“- und „Die Welt“-Veteran Matthias Matussek geben sich die finstersten Gestalten des Neo-Cons-Game die Mistgabel in die Hand: Franz Josef Wagner, Erika Steinbach, Jan Fleischhauer… Von den richtigen Nazis gar nicht zu reden!“ Hey, Linus, Du musst noch Deine Wikipediaseite updaten, dass Du jetzt für Springer schreibst, und man dort aber echt politisch korrekt gegen die richtigen (sic!) Nazis, beziehungsweise gegen Antisemitismus immun ist! Wow – Jugendkultur von ganz unten, aus dem Hause Axel Springer, gesponsert von Spirituosen-Henkell-Freixenet. Allein, wie Henkell – ja, Gorbatschow gehört zu Henkel, also der Schnaps natürlich – seinen Kunden diese coole Jugendkultur-Vernüpfung intern anpreist, man möchte Schaumwein kotzen.****
God save the queen / The fascist regime / They made you a moron / Potential H-bomb (3)
Das Lineup der „Coolnights“-Tour listete noch weitere coole junge MusikerInnen auf: DER RINGER, YUKNO, KANN KARATE, SCHNIPO SCHRANKE, LEA PORCELAIN, FLUT, HAIYTI, REEZY, ANTIFUCHS, JOMO, MOUNT KIMBIE, WEVAL, KID SIMIUS und PEREL. Punk und Protest war ja mal, und kann ja noch, etwas konkreter, zielgerichteter sein, nämlich gegen das Establishment. Ohne Verwechslungsgefahr mit bourgeoisen, rechten Eliten, die gegen die Regierung aufzustehen vorgeben –gegenüber dem Allen, und vor allem gegenüber Popkultur ist Links heute oft niedlich-blöd geworden und umgekehrt. Als Band muss man da aufpassen, einerseits nicht als harmlos und naiv dargestellt zu werden, nur weil man nicht genau in die Falle namens Hochgerüstetes Klassenkampf-Kollektiv im Rebellions-Outfit geht, andererseits darf man sich auch nicht von den Neocons verfrühstücken lassen, die der Pop-Jugend den roten vergifteten Wodka kredenzen.
Wenn Du mich suchst / Du findest mich / am Pfandflaschen-Automat / da hol’ ich mir zurück / was mir gehört (4)
Wegen dem pathogenen Gesellschaftsspiel: “Wegklicken per Ellenbogencheck”, sehne ich gleich Postpunk und das sehr, sehr tiefenromantische Album “Disintegration” von The Cure herbei. Erklangen mit den ersten Tönen von „Und aus den Wolken tropft die Zeit” noch Dire Straits-artiger Orgelsound und ein Gottesdienst-Intro, so beginnt die LP “Vergifte Dich” ganz unmittelbar mit dem Einsatz des Sprechgesangtexts: “Wenn Du mich suchst / Du findest mich / am Pfandflaschen-Automat / da hol’ ich mir zurück / was mir gehört”, kurz darauf, setzt eine Art Dylan/John Wesley Harding-Schrummelbeat ein. Dieses Intro klang für mich, wegen seiner schlichten Inbrunst, recht überzeugend. Es gibt Songs, die innerhalb von fünf, zehn Sekunden die Stimmung der Zeit einfangen. Dies ist Isolation Berlin hier wirklich gelungen. Natürlich besteht die halbe Pop-Geschichte aus der Aneinanderreihung existenzialistischer Klagen, von Aufschreien, Slogans oder Trauerliedern. Aber, gute, treffende Sätze fallen selten genau zur richtigne Zeit – werden darum dankbar aufgegriffen und dem popkulturellen Kanon zugeordnet. Im Falle des Songs “Serotonin” trifft die Aussage genau den Kern der gesellschaftlichen Spaltung, die sich vor unser aller Augen täglich abspielt und die Wut und Intoleranz nährt, die auf Nebenschauplätzen ausgelebt werden.
There must be some way out of here / said the joker to the thief / There’s too much confusion / I can’t get no relief (5)
Sinn und Ziel dieser Review soll es weder sein, Isolation Berlin in irgend einer Form zu überhöhen, also das übliche Best-Of-Geschwätz mitzusingen und damit den Oberflächen-Journalismus zu bedienen, noch sie auf Grund ihrer Naivität und Gutmütigkeit als Verräter oder Sonstiges zu schmähen. Sie sind eine Gruppe unter zahlreichen MusikerInnen, die um ihr Auskommen zu haben, sich auch an die Freßnäpfe der betuchten Medienverlage hängen. Über sich berichten lassen ist dann zwar noch mal etwas Anderes, als dort mitzumachen – eine Tour finanziert zu bekommen, dürfte so dazwischen liegen. Isolation Berlin verfügen trotz dieser allgemein grassierenden Wankelmütigkeit, über jene Gabe, die nur einigen Bands vergönnt ist, sie sagen seltsamerweise genau das, was viele zu sich selbst im Stillen schon sagten, bzw. das, was diese laut nach Innen schreien. Dies zusammenmit einer Verlorenheit und einer Suche nach Nähe, ergibt vielleicht keinen extravaganten politischen Stil, keine besondere intellektuelle Masche, oder ein Markenzeichen, aber es wirkt einigermaßen authentisch, literarisch nahe am Echten. Darüber hinaus wird dieses Gefühl für Stimmungen für gewöhnlich im R&B und Soul vorgefunden, weniger bis gar nicht in der deutschen Pop-Musikszene: mit innerer Zerrissenheit und Schwermut, so ganz ohne Abgleiten in Ironie, Fundamentalismus, Kitsch oder doppelten Boden. Ob nun echt gelebt, oder nur literarisch echt wirkend, dies ist mir in Zeiten des Kummers egal, in denen ich lieber The Cure, John Coltrane, Billy Holiday oder die Beach Boys, statt Rolling Stones oder Ton Steine Scherben auflege. Irgendwo zwischen The Hollies und The Jam, stehen die nativen Proto-Platten von Isolation Berlin.
Load up on guns / bring your friends / It’s fun to lose and to pretend (6)
Ich sprach vor ein paar Jahren mit Isolation Berlin über die Welle des Proto-Metal, weil ich dabei Parallelen zu anderen Genres feststellte. Dort legen Bands wie Sleep – anders als die Bands des Proto-Pop – größten Wert auf Vergleiche mit Bands der Vergangenheit. Trotz eines fundierten Überblicks über die Musikgeschichte, mochte sich Isolation Berlin im Gespräch nicht auf Stile und Vorgänger festlegen. Das alles irgendwie Rock sei, wie ich vorschlug, fanden sie nicht verkehrt, spassten sogar mit dem Gedanke, das nächste Album werde vielleicht tatsächlich “Rock-Power” heissen. Auf Paul Weller oder Nick Lowe kamen wir nicht zu sprechen. Ich merkte, dass es keine Festlegung geben sollte, wenn es um Schubladen ging. Dennoch wollte die Band konsumiert, publiziert werden, das fühlten sie, und schien sie gleichzeitig etwas zu verunsichern. Dassdabei ein Bekenntnis zu leicht schizoidem Kannibalismus herauskommen musste, wunderte mich nicht. Dass sie es gleich an den Anfang ihres letzten Albums gestellt hatten, als Zeichen aufmerksamer Selbstbeobachtung, schon: „Ich bin ein Produkt / Ich will, dass ihr mich schluckt / Dass ihr mich konsumiert / Euch in mir verliert.“ Das war – wie auch ihre Auftritts-Politik – alles andere als dogmatisch. So verbot sich schon damals jeglicher Vergleich mit Ton, Steine, Scherben und deren Zeit. Und unter die Summe ihrer Lieder kann man jetzt bereits einen roten Desillusions-Unterstrich setzen.
I’m waiting for my man / Got 26 dollars in my hand / Up to Lexington 125 / Feelin‘ sick and dirty / For a day and a life (7)
Mit einer Mischung aus zartem, bissigen aber unzynischem Blues und Folk à la The Freewheelin` Bob Dylan, kombiniert mit den hervorbrechenden Gefühlsstürmen des Sängers Tobias Bamborschke, dessen Stimme im Timbre manchmal – und das muss nicht unangenehm sein, denn BAP waren am Anfang durchaus ungestüm – an den jungen Niedecken, aber auch an frühe Protest-Gruppen wie Blue Cheer, die Stooges, die MC 5, erinnert, bekommt die Musik einen nicht unerheblichen Drang nach vorne, – ich meine: Dringlichkeit und Unruhe, mit dem Bekenntnis etwas Scheiße finden zu wollen, ohne Illussionen oder Pläne, mit einem ungeschönten, direkten Blick. Lass es literarisch, erfunden sein – und: “Vergifte Dich” ist auch keine Streetfighter-Musik, aber immerhin ein Schlag mit der Dachlatte ins poetisch-lamoryante Fach des Radio-Pops. Die Bravo für Beamte, der Geheimdienst der Plattenindustrie, der oben erwähnte Musikexpress, darf so etwas als Feigenblatt hegen, Geld damit drucken. Es kommt jetzt darauf an, ob solch scharfe Beobachtungsgabe sich von den erwähnten Verdächtigen weiter korrumpieren und ausbeuten lässt, ob den Fans literarisches Aufbegehren auf Dauer genügt, oder der Band der politische Kotzkragen auch mal platzt.
Jörg Gruneberg
Isolation Berlin, „Vergifte Dich“, Staatsakt, 2018
Quellen:
(1-7) Song-Text-Anfangszeilen von: The Beatles, The Who, The Sex Pistols, Isolation Berlin, Bob Dylan, Nirvana und The Velvet Underground.
*(https://blogs.taz.de/popblog/2016/03/30/interview-mit-isolation-berlin-du-kannst-auch-in-eine-eckkneipe-gehen-ohne-im-bergwerk-arbeiten-zu-muessen-es-reicht-auf-ne-andere-art-kein-geld-zu-haben/)
**(https://www.ventil-verlag.de/titel/90/heimweh-to-hell, dort: “Heimweh to hell”, Ventil-Verlag Mainz, 2003:)
***(https://www.musikexpress.de/linus-volkmann-popkolumne-11-2019-1210473/)
****(https://www.henkell-freixenet.com/de/presse/pressebereich/reportshow/heisse-beats-eiskalte-drinks.html, dort: „Ein cooles, hochkarätiges Line-Up aus Live-Acts und DJ Sets in angesagten Clubs deutscher Metropolen – die Musikexpress Klubtour powered by Wodka Gorbatschow geht in die dritte Runde! Nach dem großen Erfolg der letzten beiden Jahre startet die musikalisch abwechslungsreiche Tour mit angesagten Künstlern und coolen Drinks in diesem Jahr am 2. September in Berlin (Lido), macht am 15. September Station in Köln (Gebäude 9) und am 8. Oktober in Hamburg (Uebel & Gefährlich), bis sie am 25. Oktober in München (Blitz Club) endet.“)
*****(https://www.golem.de/news/uploadfilter-der-generalangriff-auf-das-web-2-0-1903-140022-4.html, ebendort: “Hinter Verimi stehen unter anderem die Gesellschafter Allianz, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Daimler, Volkswagen, Lufthansa und der Medienkonzern Axel Springer. Springer-Chef Mathias Döpfner kritisierte vor kurzem die Proteste gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform. Die Reform stelle sicher, dass die jungen Leute mit Inhalten im Internet Geschäfte machen können, sagte Döpfner am 7. März 2019. Es fällt schwer, zu glauben, dass Döpfner mit der Reform nicht zuallererst an seine eigenen Geschäfte denkt. Vielleicht mit Verimi, vor allem durch das Leistungsschutzrecht in Artikel 11.”)