M83 – Fantasy
Text: Joerg | Ressort: Musik | 27. März 2023Eines ist dieses Album, entgegen seiner vordergründigen Leichtigkeit, auf keinem Fall: eine seichte und fluffige Streicheleinheit. Es gehört ziemlich eindeutig in die Kategorie: verdeckter, raffinierter Gegenentwurf zu gefälligen Pop-Illusionen, denn es ist immer noch ein Mehr enthalten, oder ein Darunter, etwas, das nicht unbedingt ganz ausgesprochen, ausgespielt wird. Es steht nicht Punk oder Hardcore auf dem Etikett, obwohl es in dieser Tradition angesiedelt ist. Insofern ein Konzeptalbum, auch wenn das Konzept nicht unbedingt neu ist, es wird versucht Implosionen der Entwertung, der Ausgrenzung ästhetischer Mittel zu erzielen, auf ekstatische und subtile Weise – ohne den Spaß daran zu killen. Anti- und Gegenhaltung müssen, bzw. wollen hier entschlüsselt werden, maskierte und teils auch mal beschädigte Indie-Codes schwirren wild umher und verlangen nach Mitwirkung. Sich ertappt und gefordert gleichzeitig fühlen zu dürfen, dieses Privileg bieten nicht viele Bands. Hier ist es, behaupte ich, gelungen.
Die Klang-Entwürfe musste ich mindestens zweimal hören, um das Ganze abschließend zu erfassen. Dies deutet auf eine Komplexität hin, die nicht jedes Pop-Album zu bieten hat. Fest steht auch, nach dem zweiten Hören werde ich es noch einmal auflegen, dann mit Kopfhörern, um auch die letzten Details zu erfassen. Es ist etwas dran an „Fantasy“, etwas, das mich nicht so schnell urteilen lässt, dazu liegen zu viele interessante Schichten übereinander, die identifiziert werden wollen! Das zieht sich bis zum Cover durch. Dieses ist Punk-, bzw. Metall-Style in Reinform, schockt und gruselt auf den ersten Blick, will allerdings genauer defragmentiert und gelesen werden: eine Person mit sichtbarer Horrorfilm-Maske, Marke Schlägertyp, gekleidet in Brando-Rockerjacke nebst konnotierten weißem T-Shirt, die Maske zeigt fünf Augen, die Mundöffnung lässt eine Reihe Haifischzähne erkennen. Geheimdienst, Verschwörung, Rock, Mythologie, Pop – diese ungewöhnliche Fratze vermischt diverse Codes miteinander und sorgt für Irritation. Dazu noch die Beleuchtung in sattem Orange-Grün und der eher Disco bis Progrock artige, im Kontrast dazu brave, unschuldige Schriftzug „Fantasy“ oben rechts auf der Hülle in Pink und Weiß.
Die Franzosen haben so großartige Alben gemacht wie Saturday=Youth, und ich hatte mich angesichts des schaurigen Covers mit dem schönen Titel bereits etwas zu früh gefreut beim Anklicken des ersten Tracks, weil ich ein Feuerwerk straff durchkomponierter, griffiger, abwechslungsreicher Songs erwartete. Aber es kam anders, trotz Nähe zum Sound des Gesamtwerks, entspinnt sich das Album langsam, was nicht heißt langweilig, und hält diesen durchaus spannend inszenierten Trip bis zum Ende durch. Zunächst schweben und schwingen die gewohnt verhallten Riffs vom Horizont her auf einen zu, werden dichter, lauter, dann kommt ein von einem stoischen Hypno-Beat getragener Song à la NEU! Das befriedigt die schnelle Urteilsfindung schlecht, Reinhören macht nur bedingt Sinn. Beim dritten Track kommt zart eine Stimme hinzu, der vierte hebt an zu einem The Cure/Disintegration-Aufwallen, und spätestens beim fünften Song kulminieren M83s gewohnte Prefab Sprout-Reminiszenzen zu einem romantisch-wabernden Sound-Berg, nicht undurchdringlich und monolithisch, eher eine zartbittere Konfusion erzeugend, obwohl ich es mir zu diesem Zeitpunkt fast wünsche: dass mehr Unvorhergesehenes passiert, außer Kontrolle gerät, entweder im Songaufbau oder bei den Klang-Zutaten.
Es verhält sich jedoch nicht so dieses Album, wie ich es mir vorstelle, es lässt sich Zeit, lässt immer wieder Raum, Flächen offen, trotz dichtem Sound. Der sechste Track bricht mit der Wall-of-Sound-Ästhetik, wird aber trotz angenehmer Entschlacktheit wiederum kein klassischer Song. Eher wie einer aus der späteren Fleet Foxes-Phase. Danach, Track sieben, wieder Schweben, Warten, endlich ein Beat, klirrende, gepresste Akkorde, fast ein wenig an Felt erinnernd, dann, kurz: hypnotisch klagende Stimme. Der Titeltrack wirkt danach geradezu funky und tanzbar von Anfang an, schweift dann aber erneut ab, zerfasert sich. Dieses Album wirkt unnahbar, lässt nichts an sich heran – Songfragmente tauchen auf und kurz danach verschwinden sie wieder. Man kann dies gut finden, wenn man Alan Parsons mag, an dessen Mix-Einfälle denkt, einem kitschig bis unheimlichen Füllhorn der Popdefragmentierung, jedoch immer beschwingt und gnadenlos romantisierend, sowie an die halb hereingeworfenen, halb hereinschwebenden Chorus-Passagen in Paddy McAloon-Kompositionen. Oder gar an Mike Batt-Arrangements, ein orchestriertes Werfen mit Soundschnipseln, hier allerdings mit einer gewissen Grundhärte, gemixt wie von Sonic Boom persönlich. Auch Coteau Twins-Fans dürften diese Pop-Ingridenzien unbedingt zusagen. „Fantasy“ wird kurz vor Schluß noch mal bewegter und unruhig, teils sogar zappelig. Schlecht ist das nicht – es nervt, wenn du es nicht ganz ernst – oder zu ernst – nimmst, oder wirkt wie aus einem Guss, wenn du loslassen und dich treiben lassen kannst.
Jörg Gruneberg
M83 – Fantasy, 17. März 2023 – Mute Rec.