„Wir machen das, worauf wir Bock haben“ – Die Kunst des Nein-Sagens: Stoned From The Underground 2023
Text: Redaktion | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 6. Juli 2023Es ist halt immer eine Frage der Perspektive: Auf der Online-Plattform der Zeit stolperte ich dieser Tage über eine Headline, die mich etwas ratlos machte. „Festivals sind kein Ort für Visionen mehr“, stand da geschrieben – in ordentlich aktuellen einem Artikel aus dem Jahr 2023, wohlgemerkt. Und im dazugehörigen Anreißer (der Rest verschwindet hinter der Paywall) stand geschrieben: „Sushi statt Ravioli, umzäuntes Luxus-Glamping statt Zusammensein im Matsch – Festivals sind durchkommerzialisiert. So geht die Idee einer besseren Gesellschaft verloren.“ Klar, das kann man so stehen lassen, ist aber nun wahrlich keine nagelneue Entwicklung: Schon beim letzten Besuch auf dem Highfield um die Ecke konnte man sich des Eindrucks einer gewissen monetär befeuerten Durchstrukturiertheit nicht erwehren – und dieser Besuch ist nun wirklich schon etliche Jahre her. Was auch irgendwie auf der Hand liegt: Betrachtet man ein Festival wie ein wirtschaftliches Unternehmen (was es ja nun einmal ist), kommt man um das Thema Geldverdienen nicht herum. Und da geht es nicht mal ausschließlich um den Dritt-BMW von irgendwem, der damit finanziert werden möchte, auch wenn dies – klar – auch eine Rolle spielt. Aber wer einen Deal macht mit Rock am Ring oder Highfield, mit Lollapalooza oder Wacken, mit Hurricane oder Southside, der möchte schon, dass sich dies auch auszahlt und zwar in barer Münze. Rechnet man dann noch solche Dinge wie Mindestlohn und so weiter hinzu, hat man ganz flott eine ordentliche Rechnung auf der Uhr. Was dann wiederum zur Frage der Perspektive führt: Kann man ein Festival ohne das Prinzip der Selbstausbeutung bestreiten? Und zwar, ohne dass man im Anschluss aber mal so etwas von pleite ist. Es gibt ja Beispiele – Freund Klaus könnte da beispielsweise vom Roskilde berichten, das in vielerlei Hinsicht andere Wege geht – aber halt auch nur funktioniert mit einer wahren Heerschar an Freiwilligen …
Andererseits: Warum sollte ausgerechnet ein Musikfestival ein Ort der Visionen sein? Wenn man sich mal ein Weilchen mit Ralf Burkart unterhält – seines Zeichens Mitstreiter im Organisationsteam vom Erfurter Stoned From The Underground Festival, das vom 13. bis 15. Juli an den Alperstedter See locken wird – ist von Visionen nicht die Rede. Eher schon von Spaß. Und von Zusammenhalt, von Familie. Gut, könnte man nun auch als Vision durchgehen lassen – aber es wird eben nicht garniert vom klassischen Promo-Sprech, mit dem man Dinge gern größer macht als sie eigentlich sind. Die SFTU-Crew ist eher gegenteilig unterwegs. Lieber ein bisschen tiefer stapeln, dafür aber richtig. „Auch kleine Festivals haben ihre Berechtigung“, sagt Ralf Burkart. Und eigentlich möchte man sagen: Gerade kleine Festivals haben ihre Berechtigung. Damit sind jene Veranstaltungen gemeint, die nicht in Materialschlachten in jeglicher Hinsicht werden. Die dann wiederum nicht müde werden, mit Worten wie Nachhaltigkeit um sich zu werfen. Dabei ist es eine Wahrheit: Wenn sich Zehntausende Leute irgendwo (am besten noch im nirgendwo) zusammenfinden, um x Tage richtig auf die Kacke zu hauen, ist nichts, wirklich gar nichts nachhaltig. Dessen sollte man sich bewusst sein – man kann ein wenig arbeiten an den Auswirkungen und so. In ökologischer Hinsicht ist ein großes Festivals schon eine ziemliche eine Katastrophe. Mir wäre wohler, man würde diese Ehrlichkeit mal aufbringen. Und mit dem Greenwashing – nix anderes ist es aus meiner Sicht – mal aufhören. Nein, ich will da auch nichts schlecht reden, aber ich mag Selbstbeschwindelung für ein möglichst reines Gewissen nicht so dolle.
Weil man dann irgendwie auch sinnvoller mit der Idee von Nachhaltigkeit umgehen kann. Und das Nachhaltige auch in vielerlei Hinsicht ausdehnen kann – was man auch am SFTU sehen kann. Denn eines wird schnell klar: Die allgegenwärtigen Probleme der Veranstaltungsbranche sind auch an diesem Festival nicht spurlos vorbeigegangen. Yep, die Zahlen sind – vorsichtig formuliert – bedrückend: Die Kostenexplosionen allein schon bei der unbedingt notwendigen Infrastruktur. „Es ist komplizierter geworden“, sagt Ralf Burkart ganz schön diplomatisch. Und ergänzt: „Manche Preiserhöhung kann man beim allerbesten Willen nicht nachvollziehen.“ Manchmal lässt sich da was machen – weil man nachhaltig denkend mit dem ein oder anderen Partner nun auch schon seit Jahren, ach was Jahrzehnten zusammenarbeitet. Manchmal aber eben auch nicht: „Deshalb mussten wir unsere Preise anpassen. Da kamen wir einfach nicht drumherum.“
Andererseits gibt es da noch ein drittes Manchmal – das Manchmal des Nein-Sagens. Es sind – auch dies gehört zur Festival-Wahrheit 2023 – nicht selten die handelnden Personen in der Musikbranche selbst, die ein Problem werden können. Bands, Managements, Labels. Irgendwo im Niemandsland zwischen Verkäufe?-Welche Verkäufe? und Mit-Konzerten-Lässt-Sich-Noch-Geld-Verdienen. No, no, kein Bashing, ich kann auch diese Seite schon verstehen. Aber eine Balance zu finden ist schon schwierig. Und der Schritt zum Wettrüsten ein ganz schön kleiner (was in der Rock-Am-Ring-Story im Visions 363 überraschend deutlich auch festgestellt wurde). Die Antwort darauf ist das erwähnte Nein-Sagen. „Wir haben nicht den unbedingten Zwang, mit großen Bands um die Ecke kommen zu müssen“, analysiert Ralf Burkart eher nüchtern: „Es ist eine einfache Rechnung: Wir haben eine gewisse Kapazität. Und wir haben ein Publikum, dass auch kommt. Und warum sollte man da nicht ein Festivals gestalten, auf dem Bands aus dem Underground am Start sind?“ Und nach einer Weile ergänzt er: „Irgendwie ist es auch eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Spirit.“
Wozu dann wieder passt, dass diese Idee des Nein-Sagens die Basis des ganzheitlichen Denkens geworden ist. Wenn es Leute gibt, die nicht in das ideelle Raster des SFTU passen – in diese umfassende Vorstellung von Toleranz und von Humanität – dann holt man sie sich nicht an Bord. Was vielleicht dann wirklich mal ein Modell werden könnte, um die Festival-Idee mit etwas Visionären aufzuladen. Das Andocken an eigenen Underground beispielsweise. Das Bühne-bereiten für aufregende Bands. Das Aufladen mit einer humanistischen Agenda. Im Grunde, sagt Ralf Burkart, habe sich die Herangehensweise nicht verändert: „Wir machen das, worauf wir Bock haben. Und mit dem wir uns treu bleiben können.“ Schön zu sehen, dass da immer noch genug bereit sind, diesen Weg mitzugehen: Die drei Tage sind fein gefüllt, mit guten alten Bekannten und Dingen, die neugierig machen. Und ach ja – in diesem Jahr stehen wir endlich auch wieder alle auf einer Wiese vor der Bühne.
Stoned From The Underground: 13. bis 16. Juli in Erfurt-Stotternheim am Alperstedter See.
Line-up: Donnerstag, 13. Juli, ab 17 Uhr mit u.a. Acid Mammoth, Black Rainbows, Minami Deutsch und 1000 Mods
Freitag, 14. Juli ab 13 Uhr mit u.a. Lucid Void, Weite, Swan Valley Heights, Dÿse und Colour Haze
Samstag, 15. Juli ab 13 Uhr mit u.a. Confusion Master, Iron Walrus, Gnome, Temple Fang und Orange Goblin
mehr Bilder der letzten Jahre findet Ihr hier: www.flickr.com/photos/personanongrata
alle Fotos: K. Nauber