Unser Väter Musik

Text: | Ressort: Musik | 24. August 2008

Ein Gespräch mit Michael Holland

Carrboro, Orange County, North Carolina. 16 500 Einwohner. Michael Holland, sein Sohn und seine Frau sind drei von ihnen. Holland ist erst seit ein paar Jahren im klassischen Sinne sesshaft. Das liegt daran, dass er jetzt ein Songwriter ist, der ohne großen Aufwand in den Kaffehäusern der Umgebung spielt, und den Beruf des Fast-Indie-Rock-Stars an den Nagel gehängt hat. Den größten Teil der Neunziger verbrachte er nämlich mit der Ersatzfamilie Band, bereiste pausenlos insgesamt 48 der US-Bundes-Staaten und lebte, trotz oder wegen kurzzeitigem Majorlabeldeal, aus dem Koffer und von der Hand in den Mund. Die Band, Jennyanykind, von so einigen immer noch glühend verehrt, gibt es nicht mehr. Wohl aber einen Musiker, der in der Lage gewesen ist, etwas zu beenden, bevor es zu einer Parodie, einem hohlen Spiel der Gesten auf einer immerwährenden Ochsentour, verkommen konnte.

„Es ist schon hart, wenn dein Nachbar ohne Reue tut, was ihm in den Sinn kommt. Irgendwann beginnst du den Himmel zu verfluchen. Wenn es sich nicht richtig anfühlt, kann ich mich nicht einmal körperlich mehr einbringen, sondern werde versuchen, es zu zerstören. Das ist es ungefähr, was Jennyanykind passiert ist. Ich konnte nicht mehr mitspielen und mich dabei gut fühlen. Man trifft Entscheidungen und lebt mit den positiven und negativen Konsequenzen – die Auswirkungen kann man nicht vorhersagen. Wäre ich wohlhabend gewesen, ich hätte nie darüber nachgedacht, wie es ist, eines Tages allein, traurig und isoliert zu erwachen. Ich hätte mich wohl, wie alle anderen Wohlhabenden auch, komplett zurückgezogen, um meine Privatheit zu schützen, wenn sie aus ihren Wäldern kommen, um ihren Vorteil daraus zu schlagen.“

Da überrascht ein Mensch, dessen aktuelle Platte „Simple Truths and Pleasures“ (Moll Tonträger) nach dem etwas dunkleren, aber nicht minder formidablen Vorgänger „Tomorrows American Treasures“ (checkt auf reverbnation.com: Mountains of the Moon, King Heartache, Crystal Meth Junkie from California et al!), durch Lebensbejahung, Urtümlichkeit und originäres Folk-Verständnis im ausgewogenen Verhältnis von Tradition und Moderne besticht, mit tiefen Einblicken in eine Seele, die einstmals krank geworden ist durch ein Leben, das nicht der eigenen Natur entsprach, und messerscharfen Beobachtungen bezüglich seines Lebensumfelds:

„Mich reiben die Errungenschaften dieser Zeit und das, was sich sich wieder und wieder fortsetzt, auf. Alles was ich weiss, ist, dass es fast unmöglich ist, unbehandelte Nahrungsmittel im Supermarkt zu kaufen, und wenn ich in den Bio-Laden gehe…finde ich heraus, dass alles nur Verpackung und Lüge ist, nur eine Marketing-Strategie. Dass die Produkte den gleichen Weg hinter sich haben und dass der Bioladen der Supermarktkette gehört. Ich bin noch gut 5 Jahre weit weg von einem riesigen Garten, einem Hühnerhagen, einem Schweinestall hinterm Haus. Wir wohnen in der Innenstadt. Gefangen in einem System, dass dir vorgaukelt, du brauchst eine zusätzliche Krankenversicherung, Autoversicherung, Lebensversicherung, und die Leute, die dir all das verkaufen wollen, arbeiten Hand in Hand mit den Leuten, die ich gewählt habe, sie wirtschaften sich gegenseitig in die Tasche, werden stinkreich und ein Ende ist nicht abzusehen. Aber war es nicht schon immer so? Ich gehe also in den zentralsten Supermarkt der Stadt, in der ich 17 Jahre gelebt habe und ich habe keine Ahnung, wer diese Leute sind, und wenn ich versuche, mit ihnen zu reden, erscheinen sie mir ohne Geist und Persönlichkeit. Was ist passiert, dass man nicht mehr sagen kann, was zur Hölle man will, ohne dass die Leute dir das Gefühl geben, du und deine blöde Meinung, mit der du uns beleidigst, sind die Zeit des Zuhörens nicht wert? Lieber ignorieren sie dich, geben dir das Gefühl, wohl nicht den Anstand zu besitzen, einfach die Klappe zu halten und abzuhauen, wo sie es dich doch klar spüren lassen, das, was du gesagt hast, ungebührlich und offensichtlich uninformiert sei. Und geschieht dies nicht im Sinne der Konzerne und Multinationalen, die ihre Interessen über die der Familien stellen, Fructose-Lactose-Sirup an unsere Kinder vermarkten, verhindern, dass an ihren Geburtstagen und Schulveranstaltungen die Eltern teilnehmen können, weil sie in Bottom Line Machines verwandelt wurden, alles unter dem unangreifbaren Business-Banner.“

Irgendwie ist es beruhigend zu wissen, dass man sich das Gefühl von Ohnmacht weltweit teilt. Es in einer anderen Provinz, anderen Kleinstadt, anderen Familie um die gleichen Dinge gehen kann wie im eigenen Heim. Dass darunter die Kunst nicht leiden muss. Im Gegenteil. Dass da Künstler agieren, die sich für ein regionales Leben im Kleinen entschieden haben, um geistig und körperlich gesund zu bleiben und alt-tradierte Werte wie Familie und Kind, die dem gemeinen Kulturinteressierten unserer Kragenweite für gewöhnlich antiquiert und obsolet erscheinen, zu reanimieren und gar zu propagieren. Manche nennen es Rückbesinnung, sich schliessende Kreise zugunsten einer höheren Harmonie. Innerer Frieden. Der Zustand, aus dem die beste Musik gebiert.

„Na ja..nur manchmal verfalle ich noch in selbstsüchtige Verhaltensweisen. Oder meine Geistesabwesenheit. Ich verschwinde dann quasi vor deinen Augen, aber meine Frau Jamie kennt das von mir und ist sehr geduldig. Ich habe nichts dadurch verloren, mich für ein Familien-Leben zu entscheiden. Meine Art Lieder zu schreiben hat sich etwas geändert, auch weil ich inzwischen etwas älter, nämlich 39, bin, ich habe nicht mehr die Enrgie und das Verlangen, tagtäglich mich mit irgendwelchen Dingen abzulenken. Wie in College-Zeiten, als ich den Tag damit zubrachte, in ein Magazin zu starren, schreibe ich im Kopf, während ich nun die Alltagsarbeiten erledige. Ich gehe viel spazieren, was für mich sehr rhythmisch und hypnotisch ist…ich hasse es Gras zu mähen, aber immer, wenn ich das tue, denke ich viel über Musik nach; letztens habe ich Bilder von Songwritern in ihrer inspirierendsten Umgebung gesehen, und alle haben sich in kleinen Räumen in ihren Häusern aufnehmen lassen…meines wäre ein Bild von mir beim Rasenmähen gewesen! Ich jage der Musik nicht mehr hinterher, ich lasse sie mich finden, wenn die Umstände es zulassen. Mein Alltag sieht nämlich so aus, dass ich zum einem meinem kleinen Job als Tontechniker an der Uni nachgehe, meinen Sohn zur Vorschule bringe und abhole, meiner Frau in ihrem Laden helfe und meinen Teil der Arbeiten im Haushalt verrichte. Dies wird durch 1-2 Shows pro Woche unterbrochen, manchmal am Tag, manchmal nachts. Unser Sohn ist Viereinhalb, das Geschäft meiner Frau, wir nennen es das andere bedürftige Kind, ist drei, wir müssen also jede Woche gut planen und besprechen. In 1-2 Jahren wird Jack alt genug sein, mich zu den Shows zu begleiten, er ist noch ein echter Wildfang. Die einzigen Menschen, die mich wirklich kennen, sind meine engste Familie. Ich bin nicht berühmt, aber etwas bekannt, aber die Person, die du außerhalb meines Heims siehst, ist eine Erfindung, ein Bild, das Eigentliche behalte ich bei mir. Ich bin einer von denen, der eine Menge Bekannte hat, aber nur wenig Freunde. Eigentlich kennt nur meine Frau, die mit mir schläft, mein wahres Ich. Sie würde dir sagen, dass das das Kreuz ist, das sie zu tragen hat, ha! Und ja, ich habe doch etwas verloren durch das Familienleben, aber ich vermute, dass sie vorher schon verloren war: die Freiheit zu tun, wasimmer ich will, wannimmer ich Lust habe. Dafür aber habe ich eine höhere Form der Liebe und Selbstlosigkeit erhalten, ich bin ein besserer Mensch geworden. All die Erfahrungen, die ich vorher alleine machte, kann ich nun mit meiner Familie teilen. Darüber geht nichts. Es gibt kein großartigeres Gefühl, als auf geteilte Verbundenheit aufzubauen…wie wenn du und deine Töchter jetzt im Sommer draußen im Garten schlafen. Der diesjährige Independence Day war das erste Mal, dass Jack lange aufblieb und das Feuerwerk anschaute, und ich hätte ehrlich fast geheult als ich seinen Ausdruck sah, als der Himmel erleuchtete…“

Dies ist die Stelle, an der eigentlich nur noch zu erwähnen ist, dass die Menschen sich schon immer in Eltern und Nichteltern aufgeteilt haben, man das allerdings erst begreift, wenn man auf die Seite der Eltern gewechselt hat. Nichts kann deine Welt neuer machen als das. Nichts.

Micheal Holland bei Reverbnation
Michael Holland auf MySpace
Michael Holland noch einmal auf MySpace

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2 Kommentare »

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