Der Groove des Dunklen und Kalten – Omega Massif

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 26. September 2011

Omega Massif sind die, ähem, args, ööööhhh. Ja, die „Was“ des Doom Metal sind die nun eigentlich? Es ist so eine Sache mit den flott aus der Hand geschüttelten Vergleichen, den flapsigen Namedroppings, den locker konstruierten Brücken zwischen unterschiedlichen Styles und Attitudes. Die flotten, flapsigen und lockeren Versuche sind in aller Regel nicht viel mehr als gut gemeint (wobei natürlich jeder weiß, dass dies das genaue Gegenteil von gut ist), sobald man anfängt, darüber nachzudenken, wird‘s kompliziert. Und schwierig. Und inhaltsschwer. Tja, finde mal ein wirklich treffliches Pop-Äquivalent zum Omega Massif‘schen Doom-Entwurf. Wer jetzt mit dicken Namen wie Depeche Mode oder Pet Shop Boys um sich wirft, zeigt nur – er hat nix verstanden. Weder das eine noch das andere. Klar klingt das prima: Omega Massif sind die Pet Shop Boys des Doom. Sind sie aber nicht. Vielleicht Zoot Woman, wie mir nach wirklich langem Überlegen in den Sinn kam. Denn wir brauchen hier ein Äquivalent, das sich ähnlich wie Omega Massif in den durchaus eng abgesteckten Grenzen des bewußt gewählten Stils bewegt ohne auch nur einen winzigen Funken an Relevanz oder gar Qualität einzubüßen. „Karpatia“ ist ein wahrhaft beeindruckendes Monument dafür, dass man eben diese Relevanz und Qualität erreichen kann, ohne sich einem wie auch immer gearteten Crossover-Prinzip zu unterwerfen, ohne das Anrennen gegen Genregrenzen, ohne Brückenschlagen und ohne die Illusion einer hochfliegenden Vision. Der Begriff „Bodenständigkeit“ hat nun nicht gerade die beste Reputation in musikreflektierenden Kreisen – meistens zu Recht, hier aber nun mal vollkommen zu Unrecht. Omega Massif sind bodenständig im wirklich allerallerallerallerbesten Sinne. Durch Konsequenz, durch Streben nach Perfektion und durch das Gefühl für Groove.

Ein bißchen erstaunt bin ich ja, dass es offenbar allerlei Unstimmigkeiten betreffs der stilistischen Einordnung der Band zu geben scheint. Sie selbst bezeichnen sich als „Instrumental Downtempo Band“, was ich durchaus als Synonym zu „Doom (Metal)“ verstehe. Das „Encyclopedia Metallum“ ordnet das Ganze unter „Sludge Metal“ ein, was ich angesichts der Präzision, der Klarheit, der Strukturiertheit des Omega Massif‘schen Schaffens für reinen Blödsinn halte – allerdings ziehen sich diese seltsamen Sludge-Verweise permanent durch die Rezeption der Würzburger Band, habe ich festgestellt. Vielleicht mag mich ja mal einer erhellen, was die angesprochene Klarheit, Präzision und Strukturiertheit mit „Matsch“, „Zähigkeit“ oder gar EyeHateGod zu tun haben sollen. Ganz lustig wird‘s sogar, wenn gestandene Prog-Rocker diesen Stoff für sich in Anspruch nehmen. Richtig laut auflachen musste ich über die Begründung, die Verwendung von „düster-obsessiven Riffs“ sei einer der Links in Richtung Progressive Rock – irgendwie will mir gerade diese Verwendung als ein Merkmal für die Abwesenheit von Prog-Rock erscheinen, Tool hin oder her. Und irgendwie kann ich mir auch ganz gut vorstellen, dass die Jungs von Omega Massif ein ähnliches Unbehagen bei der Kollision mit „Progressive“ empfinden wie meine Wenigkeit. Das aber nur mal am Rande. Worum‘s mir eigentlich geht: Die durchaus unterschiedlichen Rezeptionen in durchaus unterschiedlichen Szene-Zusammenhängen, die eben auch mal über das klassische Doom Metal- und meinetwegen auch Sludge- oder Post Metal-Publikum weit hinausreichen, zeigen mir eines – „Karpatia“ hat so etwas wie Konsens-Fähigkeiten. Eine Platte, auf die sich viele Leute einigen können. Natürlich all jene, die sich sich für das schiere Gewicht in Musik interessieren (und da agieren Omega Massif aus Gründen, auf die ich noch eingehen werde, in einer sehr eigenen Liga). Aber auch all jene, die sich mit Macht und Mächtigkeit von Musik beschäftigen. All jene, die eine wahlweise apokalyptische oder gegen-modernistische Atmosphäre in Musik zu schätzen wissen (besonders interessant fand ich in dieser Hinsicht den Verweis auf eine durchaus erkennbare Folktradition – sie wissen schon, diese düster gegrummelten Lieder am Lagerfeuer, die von Mord, Totschlag, Zauberei und Übernatürlichen handeln – die vom De Bug-Rezensenten Bleed aufgemacht wurde). All jene, die musikalische Präzisionsarbeit zu schätzen wissen. All jene, die an die Vereinbarkeit von scheinbaren Gegensätzen glauben wie beispielsweise von Masse und Leichtigkeit. All jene, die einen Groove auch in einer Musik erkennen können, die nicht für den Tanzflur entworfen wurde. Und natürlich mal ganz abgesehen von all jenen, die sowieso aus Prinzip nie einen Bogen um im besten Sinne auf- und anregende Musik machen.

Die drei Punkte, die aus meiner Sicht aus „Karpatia“ ein wahrhaftiges Erlebnis machen, hatte ich schon angesprochen. Da wäre Konsequenz. Die Konsequenz, wirklich alles, absolut alles aus den gegebenen Möglichkeiten eines musikalischen Styles herausholen zu wollen. Da sind Omega Massif konsequent bis zum Gehtnichtmehr: Natürlich werden die Riffs im höchstmöglichen Grad von „Fett“ aufeinander geschichtet und getürmt, bis sich daraus ein erschlagender Wall Of Riff-Sound ergibt. Und ebenso natürlich wird im logischen Wechselspiel von An- und Entspannung eben dieser Wall Of Riff-Sound abgetragen bis auf den kargen Erdboden, auf dem sich dann atmosphärisch wertvolle Bass- und Gitarrensounds schlängeln dürfen (in dieser Hinsicht ist gerade „Im Karst“ eine achtminütige Offenbarung, für mich DAS zentrale Stück dieser Platte, das alles, absolut alles, was Omega Massif auszeichnet, unfassbar stimmig auf den Punkt bringt). Natürlich rollt die Lawine, wenn erst mal in Gang gesetzt, in eben jenem nackenmuskelzerfetzenden Headbanger-Tempo-Modus zu Tal, dem man sich als Metaller schon gleich gar nicht, aber auch als Außenstehender nur ziemlich schwer entziehen kann. Und davon, dass die hier konsequent das Naheliegende, das Logische, das Offensichtliche tun, will ich gar nicht erst anfangen – natürlich folgt auf den Wall Of Riff-Sound die katharsische Auflösung, auf die Anspannung die Entspannung. Aber diese Konsequenz hat noch eine weitere Ebene: Omega Massif sind ebenso konsequent Teamplayer. Eine Band. Eine Band als Einheit von vier Leuten, die sich diesem Band-Prinzip (mehr als die Summe der einzelnen Teile, wir erinnern uns noch) auch konsequent unterordnen – bis hin zur künstlerischen Selbstaufgabe des Individuums. Was für mich noch einmal ein weiterer wesentlicher Unterschied zu Progismen jeglicher Art zu sein scheint: Hier geht‘s eben nicht um die Inszenierung von Muggertum. „Karpatia“ verzichtet komplett auf Schnickschnack, auf unnötige Details und Verschnörkelungen, auf Arabesken und Selbstdarstellungsversuche der einzelnen Beteiligten. Es wird getan, was aus Sicht des Stücks/Tracks logischerweise getan werden muss – im Wechsel von An- und Entspannung. Oder weil es in diesem Moment höchstmögliche Wirksamkeit erzielt (und auf höchstmögliche Wirksamkeit legen Omega Massif eindeutig großen Wert). Mehr als die Summe der einzelnen Teile eben.

Und dann wäre da noch das Streben nach Perfektion, dass mit der erwähnten Konsequenz eine gewinnbringende Reaktion eingeht – aus der dann die ebenfalls schon erwähnte Präzision entsteht. Eine Präzision im Songwriting, die eben jene konsequente Perfektion oder wahlweise perfekte Konsequenz als musikalische Vision hat. Und eine Präzision im Zusammenspiel, die die Kraft hat, auch über widrige Umstände hinweg zu gehen. Über widrige Umstände in Live-Situationen, um genauer zu sein. Die Studio-Situation ist ja das eine – die Umsetzung auf der Bühne etwas ganz anderes. Und genau da haben mich Omega Massif immer wieder mit jener höchstmöglichen Wirksamkeit und konsequenten Perfektion geradezu weggeblasen. Vollkommen gleichgültig, ob da ein exzellenter Kerl am Mischpult sitzt, der aus feinster Technik das Beste herauszuholen weiß. Oder man sich auch in technischer Hinsicht den Bedingungen von Punk stellen muss. Da glaube ich nur zu gerne, dass sich diese Band voll und ganz in ihrer Musik versenkt. Dass sie ihr Tun und Handeln einzig und allein auf ihre Musik ausrichtet. Dass sich ihre Existenz um ihre Musik dreht – weil ich es in „Karpatia“ nicht nur hören, sondern beinahe körperlich fühlen kann. Weil jede Note genau an dem Platz sitzt, an den sie hingehört. Weil keine einzige Millisekunde dieser Platte in irgendwie überflüssig wäre. Weil sich dies alles so wunderbar richtig anfühlt. So stimmig. So logisch. So perfekt und so konsequent. Und ja, so bewußt. Natürlich ist dies am Ende des Tages ein wohl durchdachtes Kalkül, an dem Omega Massif feilen (und zwar offenbar mit echter Obsession, immerhin stammt der direkte Vorgänger „Geisterstadt“ aus dem Jahre 2007 – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Band seither an „Karpatia“ feilte). Aber wenn es mit einem solchen Groove zum Leben erweckt werden kann, soll es mir allemal recht sein.

Denn dies ist – aus meiner Sicht – das Außergewöhnliche, dass diese Band aus dem normalen Szenekontext heraushebt. Dieser Groove. Diese Leichtigkeit. Diese Fähigkeit, diese innere Logik im Track-Aufbau nicht wie kunsthandwerkliches Malen nach Zahlen klingen zu lassen, sondern wie die echte Offenbarung. Dabei geht es mir nicht einmal darum, dass Omega Massif nun den Groove in den Doom gebracht hätten – herrje, den gab‘s ja nun auch schon bei den Schreihälsen von Black Sabbath. Aber das die konsequente Verdüsterung von Atmosphäre, Verdunklung von Räumen und Verkältung von Sound eine derartig ausgeprägte Sexyness haben könnte, naja, das finde ich schon überraschend. Weshalb ich persönlich ja auch der Ansicht bin, Omega Massif im Doom-Kontext unter Pop einsortieren zu können, dürfen, wollen. Ihr wisst schon, diese Geschichte mit dem Konsens, mit der Wirksamkeit über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinaus. Deshalb auch der Einstieg. Scheinbare Widersprüche inklusive – natürlich sprechen oberflächlich Dinge wie der fehlende Gesang (der allerdings aus zwingenden Gründen fehlt, ansonsten würden wir ja nicht über perfekte Konsequenz reden) oder der Track-Aufbau mit zentralen Stücken jenseits der Acht-Minuten-Grenze auf den ersten Blick dagegen. Auf den zweiten hat sich Pop nie um derartige Oberflächlichkeiten geschert. Was jetzt eine zwingende Ermunterung sein soll, sich „Karpatia“ unbedingt und auf jeden Fall einmal anzuhören. Nur um mal zu schauen, ob es auch dann die erwähnte Offenbarung ist. Ich jedenfalls möchte diese Erfahrung auf gar keinen Fall missen.

PS: Ausdrücklich sei auch noch einmal auf das formidable Artwork hingewiesen, dass sich – natürlich – mit konsequenter Perfektheit bzw. perfekter Konsequenz in den Band-Kontext einordnet.

PPS: Selbstredend spielen Omega Massif zum Denovali Swingfest am kommenden Wochenende – am Sonnabend, genauer gesagt. Ich kann da nicht hin, was mich gehörig ärgert, aber wer irgendwie in der Nähe der Weststadthalle in Essen sein sollte, muss da dringend mal hinschauen. Warum, kann man hier nachlesen.

„Karpatia“ von Omega Massif ist via Denovali erschienen. Unbedingt emfehlenswert ist auch die Doppel-CD-Kombination „Geisterstadt – Kalt“, die gleichfalls via Denovali zu kriegen ist.

www.denovali.com

Fotos: K. Nauber auf dem South Of Mainstream 2008

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