Die PnG-Kinowoche

Text: | Ressort: Film | 25. Mai 2015

Flimmerzeit Mai2015 from inonemedia on Vimeo.

Film der Woche: Das Dream-Team des dänischen Dramenkinos bleibt sich treu. Regisseurin Susanne Bier und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen sind seit »Open Hearts« als kongeniale Kreativeinheit zuständig für die dramatischen Härtefälle. In Filmen wie »Brothers« und »Nach der Hochzeit« ringen sie ihren Figuren immer wieder moralische Entscheidungen ab, die auch im Betrachter vor der Leinwand arbeiten. Mit dem Oscar für »In einer besseren Welt« erreichte ihre kreative Zusammenarbeit 2010 ihren bisherigen Höhepunkt.
Auch »Zweite Chance«, ihr sechster gemeinsamer Film, stellt seinen Protagonisten, den Polizisten Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) an den moralischen Scheideweg. Dabei stehen die Dinge gut: er lebt mit seiner Frau Anna (Maria Bonnevie) und ihrem Neugeborenen in einem schicken Haus an der Küste. Die Nächte sind vom Kind bestimmt, aber die beiden teilen sich scheinbar liebevoll die Spaziergänge und -fahrten auf. Doch die Atmosphäre wird zunehmend unheilvoller und die Musik von Johan Söderqvist gewinnt an Dramatik. Als Andreas bei dem gewalttätigen Junkie Tristan (Nikolaj Lie Kaas) und dessen Freundin Sanne (May Andersen) ein total verwahrlostes Baby findet, trifft er eine folgenschwere Entscheidung.
Dichte Atmosphäre, stilvolle Bilder und nachvollziehbare Figuren sind auch hier wieder die Stärken der Inszenierung. Da fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass der Plot gewohnt konstruiert wirkt, wird er doch getragen von einem starken Ensemble. Nikolaj Coster-Waldau (»Game of Thrones«) bietet die Identifikationsfläche für den Zuschauer. Ulrich Thomsen (»Das Fest«) ist als sein versoffener Partner zu sehen und Nikolaj Lie Kaas (»Erbarmen«) gibt den kaputten Tristan mit beeindruckender Präsenz. Susanne Biers Inszenierung setzt voll auf Emotion und trifft dabei vor allem den Nerv junger Eltern. Aber auch alle anderen wird der Stoff ihres Films noch lange nach dem Abspann beschäftigen.

»Zweite Chance« DK/SW 2014, R: Susanne Bier, D: Nikolaj Coster-Waldau, Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas

Mad Max kann seine wilde Vergangenheit nicht vergessen und beschließt, dass er allein die besten Überlebenschancen hat. Dennoch gerät er in der Wüste an eine Gruppe Flüchtlinge in einem Kampfwagen – am Steuer sitzt die abtrünnige Herrscherin Furiosa. Die Gruppe ist aus der Zitadelle des Tyrannen Immortan Joe entkommen, dem etwas Unersetzliches gestohlen wurde. Also setzt der wütende Warlord seine Banden in Marsch, um die Rebellen zu verfolgen – ein Straßenkrieg beginnt.
George Miller inszenierte das 3D-Revival seines Action-Klassikers ganze 36 Jahre nach dem Original gleich selbst. Drei Jahre nach Beginn der Dreharbeiten ist das Werk nun vollendet und vielleicht der beste Actionfilm seit 1982 – als der legendäre zweite Teil erschien. Dabei liegt es vor allem an der unfassbaren Detailverliebtheit, die Miller an den Tag legt, dass sich »Mad Max: Fury Road« von allem bislang Dagewesenen abhebt. Der WETA Workshop schraubte monatelang an Waffen, fertigte Masken und Karossen, die Miller in den atemlosen zwei Stunden genüsslich zerlegt. Zusätzlich fügen sich die Spezialeffekte perfekt in die unfassbaren Stunts und der Plot wandelt von einer Klimax zur nächsten. Auch ohne übermäßige 3D-Effekte – die Konversion gibt den stilisierten Bildern angenehme Tiefe, ist aber weitgehend entbehrlich – will der Kiefer die gesamten zwei Stunden Laufzeit nie so richtig zuklappen. »Mad Max: Fury Road« ist irres Entertainment und kunstvolles Monumentalkino. Als hätte sich Miller mit Jodorowsky und Gilliam zum Tee getroffen und einen Actionfilm ausgeheckt, für den vor allem der Stuntcrew größter Respekt gebührt, nicht zuletzt aber auch Warner, die das Wagnis mit 100 Mio. Dollar Budget finanzierten und sich jetzt bestimmt schon Gedanken über möglich Pre- und Sequels machen. Dem Publikum wird es recht sein!

»Mad Max: Fury Road« USA/AUS 2015, R: George Miller, D: Tom Hardy, Charlize Theron, Nicholas Hoult

Jeder Einstellung seines Regiedebüts »Lost River« merkt man an, das Ryan Gosling Film liebt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er hinter die Kamera wechseln würde, um seinen Helden Tribut zu zollen. Betrachtet man das Ergebnis, sind vor allem Lynch und Malick seine Ziehväter. Als Schauplatz wählte er Detroit, eine zerfallene Stadt. Einst war sie Inbegriff des amerikanischen Traums, Heimat von Motoren und Motown. Heute liegt sie im Sterben. Die Skelette der ehemaligen Fabriken beherrschen die Geisterstadt. Immer wieder brennt ein leerstehendes Haus – und davon gibt es viele, seitdem etliche Einwohner ihr Glück andernorts suchen. Eine reizvolle Kulisse für ein existentialistisches Drama. Gosling formte aus ihr die fiktive Stadt Lost River. Hier überlebt die alleinerziehende Mutter Billy mit ihren Söhnen, dem kleinen Franky und dem erwachsenen Bones. Manch einer nennt sie dickköpfig, weil sie ihr Haus nicht aufgeben und die Stadt nicht verlassen will. Stattdessen kämpft sie gegen die Bank und nimmt schließlich den zwielichtigen Job des schmierigen Bankmanagers Dave an, der sie in einen seltsamen Club der Perversionen treibt. Währenddessen versucht Bones mit dem Verkauf von Metall aus den Ruinen etwas hinzu zu verdienen. Dabei legt er sich allerdings mit Bully an, dem selbsternannten Herrscher der Stadt. In »Rat«, die alleine mit ihrer verrückten Großmutter lebt, findet er eine vertraute, ebenso verlorene Seele.

»Lost River« ist ein klassisches Debüt, mit all den typischen Anfängerfehlern. An Ambitionen fehlt es Gosling nicht. Vielmehr reicht der Stoff seines sozial engagierten Mystery-Thriller-Dramas für mindestens drei Filme. So wird kein ganzer draus, aber viele Ansätze sind gelungen. Dabei wirken vor allem die atmosphärischen Bilder nach. Etwa die gespenstischen Schauplätze, vom überladenen Haus der Oma, bis zu Straßenlaternen, die halb im See versunken sind, aber immer noch leuchten. Im letzten Akt verliert sich der Plot zunehmend und man wünscht dem vielversprechenden Debüt einen weniger überladenen Nachfolger.

»Lost River«, USA 2014, R: Ryan Gosling, D: Christina Hendricks, Iain De Caestecker, Saoirse Ronan, Matt Smith

Dora (Victoria Schulz) ist fast 18 und voller Entdeckungsfreude. Ihre beruhigenden Medikamente hat ihre Mutter Kristin (Jenny Schily) erst kürzlich abgesetzt. Nun stürzt sich die geistig beeinträchtigte junge Frau ungebremst ins Leben und findet Gefallen an dem gut aussehenden Peter (Lars Eidinger). Bald haben die beiden spontan Sex – zum Schrecken von Mutter Kristin. Dora trifft sich ohne das Wissen ihrer Eltern weiterhin mit dem undurchsichtigen Mann, der sichtlich von ihrer befreiten Sinnlichkeit angetan ist. Eine klassische Geschichte vom Erwachsenwerden und den Problemen, die sich daraus zwischen Mutter und Tochter ergeben. Doch Dora ist nicht wie andere junge Frauen. Ihr Gehirn arbeitet anders. Ihre Mutter kümmert sich aufopferungsvoll um sie. Als Dora volljährig wird und selbstständig leben will, kommt es zum Konflikt. Das Drama von Stina Werenfels stellt interessante Fragen zu Selbstbestimmung und Mündigkeit, die auch nach dem Abspann Diskussionen nach sich ziehen werden. In der Hauptrolle beeindruckt Victoria Schulz.

»Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern«, R: Stina Werenfels, D: Victoria Schulz, Jenny Schily, Lars Eidinger

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