Früher war alles besser Part 1 – Beginner mit „Advanced Chemistry“

Text: | Ressort: Allgemein, Diary, Musik | 21. Mai 2017

Die Beginner haben eine Platte gemacht, sie ziemlich demonstrativ „Advanced Chemistry“ und wer zum Teufel, wenn nicht wir elenden alten Säcke sollten darüber reden? Eine Auseinandersetzung mit einer Platte, von der ich mittlerweile nur noch eines denke – mir wäre deutlich wohler, würde es sie einfach nicht geben.
Klar, ich habe mich auch gefragt, was dieser komische „Jason Derulo featuring Tyga Flow“ sein soll. Und weil man einer von denen ist, die es genau wissen wollen, habe ich mal recherchiert und bin auf Aussagen gestoßen. Im Interview mit All Good (http://allgood.de/features/interviews/mehr-liebe-mehr-flash-und-mehr-detail/) erklärte Denyo, damit sein ein Flow gemeint, „der etwas vermissen lässt: Dringlichkeit, Schmerz, das Bedürfnis, etwas für die Kunst zu machen“. Puh, das werde ich nun nie wieder los. Und ich werde mir nie wieder „Advanced Chemistry“ anhören können – denn ehrlich gesagt ist höre ich da eine Platte, die schon auch etwas vermissen lässt: Dringlichkeit, Schmerz, naja und so weiter und so fort. Wenn da nicht links oben das Wörtchen Beginner stehen würde, wäre das Ding nicht einmal komplett durchrotiert (schon allein dieses Cover turnt mich jedes Mal gnadenlos ab).
Am Ende des Tages kauf‘ ich ihnen den ganzen Kram einfach nicht ab – diese permanente große Fresse, diese ausgebeulte dicke Hose, dieses leicht peinliche Kokettieren mit dem Suff, dieses permanente Real-Gequatsche. Weil man einem alten Sack in Sachen Background halt auch nix vormachen kann: Die Konter-Schelle vom Spex hat’s ja schon gegeben (http://www.spex.de/2016/08/15/liebe-beginner-es-war-einmal-anders/) (waren übrigens ein paar geile Leserbriefe im Spex damals, hehehe) und wenn nicht gleich Ruhe ist an der Elbe, hole ich die Electric Beat Crew aus dem Sack – da seid ihr noch mit ner Trommel um den Christbaum gezogen, als die in der Zone schon am Start waren. Wobei wir schon mal beim Thema sind – dass ich diese Platte nicht leiden mag und nicht hören will, liegt vermutlich daran, dass sie mich so gnadenlos alt macht. Ich habe mich schrecklich gefühlt – unfassbar alt, ein wenig peinlich berührt, weil das eben keine Jungs mehr sind, die da von 50 Kurzen erzählen und von dicker Hose, vom xxx. Und ertappt, da ist das schreckliche Bild vom Dirty Old Man, der immer noch an der Bar herumhängt und mit seinen immer gleichen Geschichten von vergangenen Heldentaten reüssieren will. Ich geb‘ zu, den Fehler gemacht zu haben, „Es war einmal …“ in Verbindung mit dem Video zu sehen und ich habe mich fünf Minuten lang geschämt. Bäh. Diese semilustige Werbeclipverscheißerung, dieses grässliche Hitler-Feature, dieses permanente Promi-Dropping. Ürgs. Immerhin – H.P. Baxxter als Rummelplatzrausschmeißer zum Schluss bringt die ästhetische Zumutung wenigstens auf den Punkt (nein, ich finde nicht, dass man Scooter in den Kreis kredibiler Musik aufnehmen kann).
Dabei nervt es mich nicht einmal, dass die Beginner offenkundig keine großartigen Topics mehr haben (außer sich selbst prima zu finden). Ich war nie der große Anhänger der Vorstellung, Musik müsse in erster Linie eine Message haben, eine Botschaft, eine Aussage. Ne Digger, Musik kann formidabel ästhetischer Selbstzweck sein. Das Zelebrieren der eigenen Großartigkeit kann ebenso gut musikalisch absolut Außergewöhnliches hervorbringen wie jeder andere Ansatz. Und wenn ich ehrlich bin, bringt der Opener „Ahnma“ wenigstens etwas, das mich packen kann – dieses fette Pumpen der stilisierten Schiffssirenen, der simple, aber einigermaßen effiziente Beat. In guten Momenten kann ich sogar mit dem Gzuz-Guesting etwas anfangen, weil das in seiner Gegensätzlichkeit schon etwas hat – der ähnliche Effekt wie bei Michael Jacksons „Beat It“, wenn auf einmal Eddie van Halen durch den Song pfeift wie eine Rakete. Und wenn Denyo und Eizi Eiz genug Eigenironie mitbringen, um sich mal auf der eigenen Platte so richtig zeigen zu lassen, wo der Hammer in Sachen Style hängt, ist das ja erstmal eine schicke Sache. Wenn nur Gentleman nicht wäre – das ist der berühmte Tropfen zuviel, der unnötige Schlenker, der sinnlose Umweg, der überflüssige Kropf. Was soll das? Warum einen okayen Track kaputt machen? Da war es dann das erste Mal, das irritierende Gefühl bei mir, es hier mit ein paar ganz besonders abgezockten Kalkulierern zu tun zu haben. Mit ein paar gerissenen Geschäftsleuten, die ganz genau wissen, was sie wie zu machen haben. Auf welche Knöpfe sie drücken müssen. Und es wurde ja nicht besser – das bereits erwähnte Video zu „Es war einmal …“ war am Ende des Tages eine einzige Bewerbung für’s Feuilleton: Guck mal, der di Lorenzo ist auch dabei (womit die Beginner-Heavy-Rotation auf Zeit Online erklärt wäre) und der Böhmermann, Helge Schneider, Tim Mälzer, Fatih Akin und Klaas Heufer-Umlauf – Scheiße, da MÜSSEN wir was drüber machen. Ach ja – falls euch die Frauennamen fehlen, nun, so viele gibt’s in dem Cast jetzt nicht (acht aus 41, wenn ich mich nicht verzählt habe), was ja auch irgendwie ein Statement ist. Das Blöde bei so einem Gefühl – man hört anders hin. Man sieht sich die Dinge anders an. Und dann bekommen Features wie jenes von Haftbefehl (wobei das Stück „Macha Macha“ aber auch von einer wirklich verunsichernden Schlechtigkeit ist) einen faden Beigeschmack. Plötzlich ist sie da, die Liste im Kopf. Das Reggae-Stück? „Schelle“ – check. Der For-The-Ladies-Track? „So schön“ – check. Trap? „Macha Macha“ – check. Wie wäre es noch mit ein paar EDM-Avancen? „Rambo No. 5“ – check. Credibility? Gentleman, Torch, Dendemann, Sammy Deluxe für die alten Säcke, Haftbefehl und Gzuz (wegen mir auch Megaloh) für die jungen Hüpper – check. Boah, ey! Und da will ich mich nicht mal auf jene Ebene begeben, auf der grundsätzlich am Style der Agierenden gekrittelt wird – dazu fehlt mir zum einen mittlerweile ein wenig der Background, da HipHop abseits der üblichen Verdächtigen (so die Kendrick-Lamar-Vince-Staples-Chance-the-Rapper-Liga) bei mir nicht mehr soooo häufig rotiert, und andererseits ist mir das auch wiederum herzlich egal, wenn das Gesamtpaket stimmt.
Es sind inzwischen sogar gewisse Theorien aufgekommen – die einen halten das alles für einen großen Witz, andere verweisen darauf, man solle doch eher das Mixtape „Foxy Music“ als eigentliche Platte goutieren. Ich kann beiden Sichtweisen eine gewisse Logik nicht absprechen, ohne sie zu teilen: Nachdem ich mich mal durch diverse Entäußerungen der Protagonisten gearbeitet habe (und davon gibt es unendlich viele – offenkundig wurde jedem, der bei Drei nicht auf dem Baum war, ein Interview gegeben) und auf ein paar einigermaßen ernstzunehmende Äußerungen gestoßen bin, habe ich eine andere Befürchtung. Das meiste ist ja ziemlich klassischer PR-Sprech, nur halt mit Flash und mit Flow und mit fresh und diesem ganzen Kram – aber ein paar Mal fallen die Hosen doch runter. Als ich da las, wie von Erwartungshaltungen gesprochen wird und davon, dass man jetzt nicht mit irgendwas „Halbgaren“ um die Ecke kommen könne (zu finden beispielsweise in der Interviews mit Intro und Visions – vor allem das Delay’sche Statement zum Schluss machte mich nachdenklich), hörte ich sie lautstark schnappen, die klassische Falle. Reingetappt mit Schwung und mit Anlauf, besoffen von dem Glauben an die eigene Relevanz, irrsinnig geflasht vom eigenen Größenwahn und gnadenlos überzeugt von der vorhandenen künstlerischen Potenz. Und zack, dann wird aus einer Platte ein Projekt, dann starten die Diskussionen darüber, dass man jetzt mit einem „Statement“ um die Ecke kommen müsse und schon drückt die Erwartungshaltung, die fremde und noch viel mehr die eigene. Kenn ich alles, hab‘ ich alles schon selbst erlebt, wenn auch ein paar Nummern kleiner. Es erklärt irgendwie, warum „Advanced Chemistry“ in jeder Millisekunde irgendwas mit Anspruch und Bedeutsamkeit vermitteln will. Und warum dies in der Konsequenz so furchtbar gequält und ohne einen winzigen Hauch von Unbeschwert- oder gar Lockerheit rüberkommt. Eine Platte als Krampf. Und ein klein wenig wird mir bei diesem Gedanken wohler, weil er den Alpdruck nimmt. Den Alpdruck der Vorstellung, es gäbe „Advanced Chemistry“ eigentlich nur, um beim demnächst startenden Armdrücken um die lukrativsten Festival-Slots 2017 noch irgendwas als Gegengewicht in der Hinterhand zu haben. Der Alpdruck, es gehe hier halt irgendwie doch nur um Kohle. Ne, die sind einfach nur am eigenen Größenwahn gescheitert, aber immerhin cool genug, dies mit dem bereits erwähnten Mixtape zu konterkarieren (hier ist nämlich alles zu finden, was ich an den eigentlichen Tracks so schmerzlich vermisse). Wohler wäre mir trotzdem, die Beginner wären ohne das Gegengewicht ins Armdrücken gegangen.

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