Stalken durch Bombennächte
Torsun & Linus

Text: | Ressort: Literatur, Musik | 25. Dezember 2012

Linus Volkmann (Intro) & Torsun (Egotronic)

berichten von ihrer gerade beendeten gemeinsamen Lesetour, über ihre gewachsene Beziehung zueinander, über Politik, sowie über Popjournalismus, Beef, Dresden, Games, Volllaufenlassen, Zombies und weitere Likes.

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Wie geht es Euch? Ihr habt gerade die zehn Stationen Eurer gemeinsamen: „Das Ende des bewaffneten Kampfes ist noch nicht vorbei“-Lesereise absolviert. Wir hatten uns unterwegs – bei der sechsten Veranstaltung war’s, glaube ich – kurz getroffen. Da sahst Du, Torsun, noch superfrisch und absolut entspannt aus. Linus, Du sagtest etwas in der Art, dass so eine Tour schon recht anstrengend – weil auch ungewohnt für Dich – sei. Wie war es denn insgesamt im Rückblick. Was genau habt ihr jeweils gemacht, gelesen? Es gab ja auch eine Slide-Show, bzw. Videoeinspielungen. Worauf zielte die Dramaturgie ab – falls es so etwas wie einen Plan gab. Und wie kam das an. Wie sah Euer Publikum aus. Welches Ereignis, welche Situation werden Euch vermutlich noch länger im Gedächtnis bleiben?

TORSUN:

Ich fühl mich nach der Reise absolut fit und zufrieden. Es war mir eine Freude mit Linus unterwegs zu sein. Ansonsten war der Plan, dass Linus sein neues Buch vorstellt und ich trag‘ drumrum ein paar passende und nicht so passende Texte vor. Das hat ganz gut geklappt, denke ich. Einzig merkwürdige Situation war, als wir in Dresden das Video meiner Büttenrede zur Bombardierung dieser Stadt gezeigt haben. Da herrschte dann absolute Stille.

LINUS:

Sehr gut beobachtet, Torsun sah frisch aus und ich abgekämpft. Dennoch behalte auch ich die Reise in guter Erinnerung. Ich habe mit vielen von Torsuns Fans knutschen können – und die zwei, die wegen mir da waren, engagieren sich jetzt in der Israel Defense Force. Triumph auf ganzer Linie. Vor allem im Gedächtnis blieben mir die Tipps bezüglich Zombie-DVDs, die ich von Torsun bekam und auch sofort bestellte.

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Die Idee zur gemeinsamen Lesetour kam meines Wissens vom Audiolith-Label (korrigiert mich bitte) und wurde präsentiert von Intro. Nun seit ihr beiden ja quasi Antagonisten – Du Linus bist stellvertretender Chefredakteur, also eigentlich auf der Kritikerseite zuhause; Torsun, Du giltst als Enfant Terrible der ersten Audiolith-Stunde. Ich erinnere mich düster an die ersten Jahre des Labels – und an kritische Begleitung seitens des Intro-Magazins. Damals schien es so, dass daraus wohl keine Liebesbeziehung entspringen könnte. Die Kritiken waren harsch, teilweise von Häme geprägt. Erinnert ihr Euch noch an das T-Shirt mit dem Intro-Zitat: „Könnte geil sein – ist es aber nicht!“? Du/Egotronic damals dazu: „Ich glaube eines der besten Zitate der Intro der letzten 20 Jahre!“

TORSUN:

Ich fand das Intro-Zitat damals ganz grandios, weshalb wir es auch für ein Shirt verwendet haben. Ich mag bei Besprechungen sowieso am liebsten, wenn ’ne Scheibe entweder extrem abgefeiert oder total zerrissen wird. Alles andere ist doch total langweilig. Lustig fand ich, dass die Intro das Shirt dann damals in ihren Shop aufgenommen hat, obwohl sie die Platte nicht mochten. Somit ist doch alles perfekt gelaufen.

LINUS:

Ich habe mich seinerzeit wirklich gewundert, wie gut der Verriss bei den Betroffenen ankam. Normalerweise bin ich Funkstille, Bedrohung, Hass und komische Kampagnen gewohnt. Dass sich jemand das auf’s T-Shirt druckt und gerade dadurch zeigt, dass er über so einigem steht, was andere total definiert, hat mich nachhaltig beeindruckt. Von dem Moment an war klar, den Alten muss ich ab jetzt stalken.

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Ich habe diese Auseinandersetzung mit Wohlwollen beobachtet – nicht weil ich skandalsüchtig oder sowas bin. Sondern, weil es endlich mal wieder eine Reibung, eine Herausforderung zu geben schien, eine grundlegende, eben kein Tratsch, künstliche Dramatik für einen Tag oder so. Dort schien es plötzlich wieder Positionen zu geben, die hier mehr als eine nur eine Reaktion auslösten – fast konnte man schon wieder von verschiedenen Haltungen sprechen. Die natürlich auch aus Missverständnissen, politischen Gegensätzen her rührten. Eine Annäherung schien mir daher damals gar nicht unbedingt wünschenswert – gerade, weil das Seltenheitswert hatte. Allmählich kamen teilweise befriedigende Beurteilungen. Dann gar so ‚was wie Anerkennung. Und nun steht IHR (stellvertretend für Intro und Audiolith!?) gemeinsam auf der Bühne. Mein Eindruck ist – obwohl ich die Show leider nicht sehen konnte – ihr seid eine friedliche, freundschaftliche Konstellation. Spielen die alten Nicklichkeiten keine Rolle mehr. Oder, habt ihr nun endlich einen Weg gefunden, miteinander zu diskutieren – und dabei auch noch Spaß zu haben?

TORSUN:

Ich glaube, dass das jetzt so gut klappt, liegt daran, dass wir bei Audiolith nicht immer alles gleich persönlich nehmen. So kann es Beef geben und dann verträgt man sich halt wieder. Außerdem ist die Auseinandersetzung zwischen einem Label und einer Musikzeitschrift doch höchstens für Nerds interressant, oder? Richtig spannend ist doch eher, wenn sich das Label auch mit den eigenen Fans anlegt. Da gibt es dann wirklich Platz für Reibung und manchmal kann man so sogar etwas bewegen.

LINUS:

Ich verstehe, was du meinst. Und sicherlich spielen wir mit dem Dilemma, dass alles nur noch Buddytum und Kumpelkult ist in der hiesigen Popkultur, wenn wir sagen, zwischen uns herrscht irgendwie Krieg. Dass sich das auf der Bühne dann doch nicht erfüllt, ist dem Zuschauer dann aber erfahrungsgemäß nicht so wichtig. Hauptsache er hatte Spaß und eine gute Show. Prinzipiell würde ich mir aber auch mehr offene Battles wünschen, statt dieser ganzen unherzlichen Kollegialität, der man in den Beziehungen zwischen Künstlern immer wieder begegnet. Aber, Torsun und ich können keine Vorreiter dieses Moves sein. Wir haben uns über die Jahre wirklich zu schätzen gelernt.

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Linus, Du als stellvertretender Chefredakteur eines der populärsten deutschen Musikmagazine, und Du Torsun, als exponierte Figur der Agitprop- respektive der Rave-Punk-Szene, seid ihr doch beide auf eurem jeweiligen Gebiet recht einflussreich, was den aktuellen Popdiskurs anbetrifft. Ist euch dies bewusst. Wie geht ihr damit um. Seht ihr euch bereits als Identifikationsfiguren – was sagen eure Leser/Fans, gibt es Feedback. Oder überlasst ihr das bisweilen der alten Schule, Kritikern wie Diederichsen, Dath, Walter, oder Musikern wie Distelmeyer, Müller, Gaier, Spilker, Meinecke oder Hein?

TORSUN:

Als Identifikationsfigur herhalten zu müssen, macht mir immer ein wenig Angst und manchmal nervt es auch. Wenn mich z.B. Leute anschreiben und mir sagen, ich könne doch dies und jenes nicht tun, weil ich eine Vorbildfunktion hätte, kann ich immer nur sagen, dass ich kein Vorbild sein will. Zumindest kein gutes. Wenn ich mir diesen Schuh anziehen würde, könnte ich viele Dinge nicht so tun, wie ich sie eben tue. Wenn sich Leute durch meine Musik oder Aussagen inspiriert fühlen sich politisch zu informieren, dann find‘ ich das zwar gut, werd‘ mich aber hüten mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend zu laufen und das einzufordern. Die Aufgabe des Musikers ist halt schon eine andere, als die des Kritikers.

LINUS:

Auch wenn Torsun das gern von sich weist, finde ich ja, er ist einfach ein Role Model. Antideutsch, Beats, Feiern, Israel. Das ist eine der subkulturellen Bewegungen des letzten Jahrzehnts gewesen. Und die ganze Szene verweist fast monolithisch immer wieder auch auf Egotronic. Das ist echt ein Knaller. Soviel Definitionsmacht gibt Musikjournalismus gerade der Neuzeit nicht her. Aber ich versuche genauso da ein Feld zu besetzen: Abseits von geschmäcklerischem Popdiskurs-Connaisseurtum lieber mal auf La Fee abgehen, statt immer nur Mark Hollis oder The Pop Group. Statt öde esoterisch die langweilige Musik von Mumford & Suns in uninteressante Bilder zu packen, lieber mal auf ein Punkkonzert in selbstverwalteten Räumen gehen. Und das alles aber mit dem salbungsvollen Background und der hochtrabenden Plattform Popkritik verbinden. Das ist jedenfalls meine Intention im „Game“.

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Nochmal bezogen auf euren Identifikations-Faktor: Habt ihr mit eurem Auftritt vielleicht auch Erwartungen geweckt, die ihr so gar nicht erfüllen konntet, erfüllen wolltet. Ich meine, gab es überhaupt Äußerungen, Erwartungen, Forderungen in Richtung mehr Diskussion – und wenn, seid ihr darauf eingegangen, habt den geplanten Vortragsablauf daraufhin unterbrochen, improvisiert?

TORSUN:

Die Leute haben garantiert erwartet, dass wir uns amtlich volllaufen lassen und das haben wir ziemlich gut erfüllt, denke ich.

LINUS:

Eine Lese-Gala ist ja kein offenes Plenum. Außerdem hasse ich Improvisation. Auf der Bühne muss abgeliefert werden und möglichst immer noch ein Ass im Ärmel sein. Aber es kam ohnehin niemand mit der Idee, wir würden hier Widersprüche von Pop, Autor und Identität verhandeln.

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Apropos Popdiskussion und Journalismus. Ich hab das Gefühl, heute feuern eher Leute wie Du, Torsun, den intellektuellen Diskurs an, als dass dies aus Richtung der Fanzines oder gar der Magazine noch nennenswert geschähe. Gleichzeitig stehst Du auch noch ganz körperlich, auf der Bühne, für die Auseinandersetzung mit politischen Fragen und Gegnern. Es gab eine Zeit, da war dies einmal anders. Musikmagazine und Journalisten sorgten ebenfalls für ordentlich Druck, sahen sich als Teil eines Ganzen, als echte Diskussionspartner in Sachen übergeordnete Ideen. Daraus entstanden interessante Modelle gegenseitiger Befruchtung. Heute scheint Alles und Jeder lustig, beschwingt nebeneinander zu sitzen, so das Neo-Paradise-Sofa des Popdiskurses. Wo sind die Streitfragen. Wo sind die Kampfplätze. Dürfen wir künftig künftig alle nur noch – zu Olli-Schulz-Nebentätigkeiten verdammt – auf den großen liberal-konservativen Konsens hoffen?

TORSUN:

Das ist wirklich ein Punkt, den ich schade finde. Musikmagazine sollten meiner Meinung nach wieder mehr politisch intervenieren und Debatten anregen. Sollte es nämlich wirklich so sein, dass Musiker die Auseinandersetzung mehr fördern, als die Magazine, wäre das doch ein eher trauriges Bild, da ein Song niemals einen wirklichen theoretisch anspruchsvollen Text ersetzen kann. Musik kann anregen, aber Magazine wären – so glaube ich zumindest – in der Lage, wirklich Einfluss zu nehmen.

LINUS:

Ach, Nostalgie! Wer wirklich Diskussionen, Dissens und andere Blickwinkel abseits der verdammten Markttauglichkeit sucht, war bei Musikmagazinen schon immer nicht nur gut aufgehoben. Okay, früher gab es zumindest einen simulierten Diskurs, der aber letztlich geschmäcklerisch, gewichst und harmlos blieb. Wer sich abseits des Kommerziellen bewegen möchte, muss auf Blogs, kleinere Gigs, autonome Fanzinekultur ausweichen. Das war schon immer so. Bis auf dass es kein Internet gab.

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Der unermüdliche Phänomenologe Klaus Walter bemerkt in seinem Newsletter (zur seiner Sendung auf byte.FM) zu einem Essay des englischen Autors Owen Hatherley („A Guide to the New Ruins of Great Britain“) über die Band Pulp und britische Pop- (Klassen-) Verhältnisse, dass die staatlichen „Art Schools“ im Vor-Thatcher-Britannien „Brutstätten der Popmusik“ waren, aus denen Bands wie The Who oder Roxy Music entstehen konnten, in denen sie  ungehemmt experimentieren durften. Heute dagegen, so zitiert Klaus Walter weiter Hatherley, führten „Ex-Privatschüler“ wie Mumford & Sons, Coldplay oder Florence Welch die Charts an. Und dann konstatiert er: „Jetzt wissen wir, warum die englische Popmusik so trostlos ist.“ Wie sieht es denn hier, unter Merkel aus. Alles „Dead School Hamburg“, – oder gibt es Hoffnung? Welche musikalischen UND welche popjournalistischen Strömungen haltet ihr aktuell für nennenswert. Gibt es bei Intro, außer dem Gedenken an Martin Büsser auch eine Denkschule, die seinen Intentionen nun vielleicht stärker folgt, als dies zu seinen Lebzeiten geschah. Würde das Audiolith-Personal sich dann vielleicht widerstandslos  inthronisieren lassen?

TORSUN:

Wir leben in einer Zeit, in der du gar nicht mehr wirklich provozieren kannst. Alles ist plötzlich dazu geeignet gewinnbringend vermarktet zu werden. Das ist bitter, aber mir fällt dazu derzeit nicht wirklich eine Lösung ein. Von daher ist die Frage, ob eine „musikalische und popjournalistische Strömung “ wirklich „nennenswert“ wäre, zwar berechtigt, aber ich für meinen Teil kann sie nicht beantworten.

LINUS:

Alter, deine Fragen sind zu lang. Bei PNG ist wenigstens noch alles Old School. Weiß ich auch zu schätzen. Die Frage trifft dabei den Kern der herrschenden Situation. Jeder ästhetisch halbwegs geile Move wird sofort aufgegriffen und zur Ware. Selbst wenn die Währung erstmal nur Distinktion oder ein „Like“ ist. Insofern kann Musikjournalismus höchstens noch auf die Nischen deuten, die nicht kommerziell verwertbar sind. Und daher eben die Power haben. Denn, es ist ja auch denkfaul, ständig neue Highs von der Poplinken einzuklagen, die es so einfach nicht mehr geben kann. Daher, wenn jemand wirklich an einen (echten) Ort, und nicht nur die Diskussion darüber will, empfehle ich einigen, die Apple und Becks nämlich nicht mit der Kneifzange anfassen würden: Veganismus, Anti-Fa-Arbeit, Konzertorte erobern und autonom bespielen, etc. Die Zeit des akademisch aufgeladenen Geschwätz über eine neue Madonna ist nämlich einfach bereits feindlich übernommen und hoffähig gemacht. Da wird es für Musikjournalisten auch keinen Weg mehr zurück geben. Also Schluss mit dem Gejammer. Es geht immer noch was, wenn man sich selbst mal aus der Comfort-Zone hebt. Und letzter Satz: Ich vermisse Martin Büsser auch sehr.

PNG: Vielen Dank für das Interview.

Photos: jrg-photo.de

Torsun/Kulla: „Raven wegen Deutschland“

(Doku-Roman) Ventil Verlag Mainz 2011; Linus Volkmann: „Kein Schlaf bis Langenselbold“ (Roman) Ventil Verlag Mainz 2012.

ventil-verlag

* intro.de – torsun-egotronic-linus-intro-auf-lesetour-durch-deutschland

audiolith päesentiert eine lesereise mit torsun & linus

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