Jakuzi – Hata Payı
Text: Redaktion | Ressort: Musik | 18. Juli 2019Zurück aus der Realität
Jakuzi erzählen auf ihrem neuen Album „Hata Payı“ von innerer Verwüstung als Spiegel äußerer Konflikte .
„Etwas Geschieht“ (Bir Şey Olur): Eine Menge Dinge, die sich unserer Kenntnis entziehen/ Sehen auf mich herab / Befrei mich von der hektischen Jagd/ Mein Mangel treibt mich weiter / Plötzlich geschieht etwas / Kommtund findet Dich“. Tatsächlich klingen Jakuzi wie die perfekte Chimäre aus Depeche Mode und den Pet Shop Boys. Ihr Retro-Elektro-Pop besticht zunächst nicht durch neuen Sound – doch handelt es sich, wie bei den oben genannten Bands, um extrem eingängige, melodisch-romantische Kompositionen, die es ebenbürtig schaffen, Emotionen authentisch auszudrücken. Obwohl sie mit dem malträtierten Unterbewussten offenbar in Dauerkontakt stehen, scheinen sich Jakuzi sehr klar über ihre Situation und das was sie tun. Aus diesem Spannungsverhältnis entsteht der, ihren Liedern innewohnende, geheimnisvolle Nachklang, der sie von anderen Interpreten unterscheidet. Das Betrachten der Befindlichkeit einer queeren Wave-Elektro-Band, die ausschließlich türkisch singt, ist in Zeiten nationalistischer Politik und Angriffen auf die Sexuelle Selbstbestimmung per se nicht langweilig. Eine gesteigerte Wirkung erzielen Jakuzi aber nicht allein über diese prekäre Sonderstellung im Musik-Geschäft, sondern über ihre rauen, frappierend treffsicheren Arrangements, verbunden mit der herausragende Stimme Kutay Soyocaks, die den gefühlvollen Konterpart zum bisweilen harten Sound spielt. War das letzte Album noch eine Suche nach dem endgültigen Stil, dem perfekten Song, so haben Jakuzi offenkundig ihre Mischung gefunden: eine tanzbar-balladeske Midtempo-Musik, dunkel, skeptisch, dabei jederzeit euphorisierend, fiebrig, zittrig, geradeaus bis zum letzten Ton. Für direkte politische Agitation stehen Jakuzi nicht, ihre Texte enthalten allesamt eher verschlüsselten, in Poesie eingefassten Diskurs. Dass man in konservativen Kreisen dennoch Provokatives und Anti-Autoritäres daraus liest, oder die Ablehnung der realen Zustände mittels lustvoller, tanzbarer Popmusik sehr wohl schon als Angriff wertet, ist nicht auszuschließen: „Der Traum, Den Ich Sehe (Gördüğüm Rüya):Dass die Sonne aufgegangen ist, weiß ich / Ich bin aber im Bett / Nicht den Vorgang aufziehen! / Ich klettere auf einem sanften Hügel / So schön ist der Traum, den ich sehe / Ist es eine gute Idee, zur Realität zurückzukehren?“
Das Cover des ersten Jakuzi-Albums zeigt den nackten, tätowierten Oberkörper einer männlichen Person vor knallgelbem Hintergrund, mit lederähnlicher Fetisch-Gesichtsmaske, die ihre kraftvolle Geste, plus einer Mischung aus schmerzverzerrtem bis genussvollen Grinsen, mit Blickkontakt zum Betrachter, regelrecht zelebriert. Aufgebrochen wird dieses Bild von einem künstlichen Blumenkranz, der mehr an Grabschmuck denn an Hawaii erinnert, und den der Protagonist um den Hals trägt. Diese gleichsam aggressiv-zärtliche bis devote Aufführung wirkt alles andere als zahm – so geben sich Jakuzi über Plattenhüllen und Videos deutlich aufdringlicher als in ihren Texten. Wie bereits bei „Fantezi Muzik“, benutzen sie für das Cover zu „Hata Payı“ ein stark allegorisches Bild und verzichten wiederholt auf Schrift. Das wirkt plakativ, aber stimmig, weil es, wie die Texte, Interpretationsräume schafft. Auf „Hata Payı“, was wörtlich ungefähr soviel heißt wie „Fehler-Quote oder Schuld-Anteil“, sitzt ein Mann im tiefschwarzen Hemd vor einem Tisch mit blauer Tischdecke und einer weißen, mit Kirschen verzierten, Torte mit brennender Kerze. Der starke Verwacklungscharakter des Bildes, vermindert die Wirkung eines feierlichen Moments deutlich, oder anders: das Erinnerungs-Foto erscheint, im Hinblick auf die Konvention eines schönen Bio-Pics, misslungen und müsste demnach wiederholt werden, denn der Wackler macht aus dem Lächeln eine Grimasse, aus den strahlenden Augen des Geburtstagskinds einen Zombie vor einer Kirschtorte, die plötzlich als blutiges Festmahl wahrgenommen wird.
Es ist ein zupackendes, ein zärtliches Album geworden, unbedingt hörenswert! Ein starker Auftritt ohne viel Diskurs, dafür voller Elegien, die zugleich optimistisch klingen. Politische Tanzmusik mit Seele statt Zeigefinger: „Dich betreffend, gibt es da nichts – hier drinnen / Dich betreffend, gibt es da nichts“ (Sana Göre Bir Şey Yok).
Jörg Gruneberg
Jakuzi – Hata Payı, erschien am 05.04.2019 bei City Slang / Rough Trade (Übersetzung aus dem Türkischen via City Slang)